Pfingsten

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Moment mal

Faziniernde Liebe

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

„Faszinierende Liebe“ 

Sie hat viele wundervolle Gesichter: Die faszinierende Liebe, die sich nicht ängstlich versteckt, sondern sich offen bekennt. Dann spricht das pochende Herz mit leuchtenden Augen: Zum Beispiel von einer geliebten und liebsten Frau, einem geliebten und beliebtesten Sänger, einem geliebten und treuesten Hund. Oder von einer geliebten Heimat, in der ein Mensch Mitglied seines geliebten Fußballvereins ist, seiner „wahren Liebe“.

Aber nur selten ist die Rede von einer geliebten Kirche. Warum eigentlich? Ist der Funke der Liebe nie wirklich übergesprungen? Ist das Feuer der Liebe durch Kränkungen endgültig erloschen? Weil eine enttäuschte Liebe durch vorgetäuschte Liebe nicht mehr heilbar ist? Weil das Kribbeln im Bauch als Schwärmerei entlarvt worden und zu Staub und Asche geworden ist, zur kalten Gleichgültigkeit, zur vergifteten Wahrheit mit bitteren Folgen?

Aber es gibt überraschende Ausnahmen. Vor Jahren traf ich einen Mann, der mir begeistert seine geliebte Kirche zeigte: Hier – vor dem Altar – sei er getauft und konfirmiert sowie getraut worden. Diese Kirche besuche er regelmäßig zu Gottesdiensten und Konzerten – wie bereits seine Eltern und Vorfahren.

Die geliebte Kirche ist nicht nur ein persönlicher Erinnerungsort, sondern auch ein Erbauungsort von Emotio und Ratio. Dann wird die Seele gestreichelt und beruhigt, ermutigt und wieder aufgebaut; der Geist bewegt, um nach- und weiterzudenken oder auch umzudenken. Und Seele und Geist gehen mit dem Körper eine untrennbare Einheit ein.

Ein Kirchenbesucher beispielsweise, der zufällig, allerdings auch vorbehaltlos in einem Gottesdienst saß, berichtete anschließend, dass es bei ihm während der Predigt „Klick“ gemacht habe. Er sei zu einer neuen Sichtweise seiner Probleme gekommen, weil er sich von einem biblischen Wort angesprochen gefühlt habe.

Bei ihm war die Kirche mit ihrer Einladung zum Gott- und Christusvertrauen zu einem Quellort geworden. Solche oder ähnliche Oasenerfahrungen sind in Wüstenzeiten von Krisen, aber auch angesichts von Bosheiten und Feindschaften, von Uneinsichtigkeiten und Herzlosigkeiten besonders wichtig. Wer dann aus der Quelle der biblischen Botschaft schöpft, dem wachsen neue Kräfte zu: Kniefälle vor Gott werden wichtiger als Kniefälle vor Menschen, weil Gott seine geliebten Geschöpfe wieder aufrichtet, ihnen ihr Gesicht und ihr Rückgrat zurückgibt. Der biblische Kompass der letzten Verantwortung vor Gott verhindert dann die Herrschaft einer moralischen Keule, macht frei von Erpressung und unabhängig von Verführung, stärkt Souveränität und Mut. Und die Gewissheit der letzten Geborgenheit in Gott, die keine Zauberei ist, wird zur liebenden sowie persönlich erfahrbaren Zusage.

Wenn die Kirche nur Echoraum weltlicher Ideen ist, wird ihr Echo auf ihre eigene Botschaft überhört. Wenn sie nur eine Nischenwelt von Weltflüchtigen ist, die eine konstruktive Auseinandersetzung im Lichte des Evangeliums scheut, kann sie ihre Botschaft nicht in Wort und Tat glaubwürdig vertreten.

Wenn sie aber für Lebensdurstige bekennender Zufluchts- und Quellort der bedingungslosen und grenzenlosen Liebe Gottes bleibt, dann bekommt sie ein unverwechselbares und unvertretbares Gesicht. Und kann bei einer gleichzeitigen Rundumerneuerung ihrer Strukturen, Hierarchien und Angebote zur geliebten Kirche der unsichtbaren Kirche Jesu Christi werden.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kolumne „Auf ein Wort“ am 28.5.2023

Himmelfahrt

Himmelfahrt

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Himmelfahrtstag

Von Burkhard Budde

Zum Himmelfahrtstag:

Grenzenlose Möglichkeiten Gottes

Das Fest Christi Himmelfahrt, das am 40. Tag nach Ostern gefeiert wird, erinnert an den endgültigen Abschied und die unwiderrufliche Trennung des gekreuzigten, gestorbenen und auferstandenen Jesus von der Erde in den Himmel, in den unsichtbaren und unerreichbaren Teil der göttlichen Schöpfung.

Zur Geschichte:

Jesus wird nach dem Bericht der Apostelgeschichte des Lukas vor den Augen der Jünger von einer Wolke zusehends aufgehoben und „in den Himmel aufgenommen“ – wie zwei Männer in weißen Kleidern den Jüngern anschließend erläutern (vgl. Apg 1, 9-11).

Die „Entrückung Jesu“ – „Und da er sie segnete, schied er von ihnen.“ (Lk 24, 51) – geschah nach dem Bericht der Apostelgeschichte nachdem Jesus 40 Tage seinen Jüngern erschienen war und ihnen Weisung durch den Heiligen Geist gegeben hatte. „Und er redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ (Apg 1, 3b) Die Jünger, Augenzeugen des irdischen Wirkens Jesu, sollten zugleich Zeugen der Auferstehung Jesu sein – in der Öffentlichkeit und „bis an das Ende der Welt“ (Apg 1, 8b). Und der Heilige Geist war als Lebenskraft sozusagen der Motor ihres Zeugendienstes.

Die „Erhöhung Jesu“ – „Und der Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte, ward er aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur rechten Gottes.“ (Mk 16, 19) – geschah, um am unsichtbaren und sichtbaren Wirken Gottes im Himmel und auf Erden durch den Heiligen Geist teilzuhaben.

Der Evangelist Lukas berichtet, dass die Himmelfahrt Christi am Auferstehungstag in der Nähe Bethaniens sozusagen als Abschluss des Lebens Jesu stattgefunden habe; in seiner Apostelgeschichte ist von der Himmelfahrt erst nach 40 Tagen am Ölberg die Rede, sozusagen als Anfang der Zeit der Kirche, um sie mit der Zeit Jesu zusammenzuführen.

Zunächst feierten die Christen am Pfingstfest die Himmelfahrt Christi mit; seit 370 wurde es ein eigenständiges Fest 40 Tage nach Ostern.

Zur Bedeutung:

Der sichtbare Himmel – englisch „sky“ – kann vom unsichtbaren Himmel – englisch „heaven“ – unterschieden werden. Gleichwohl gibt es einen allumschließenden Zusammenhang: Der naturwissenschaftliche Himmel um einen Menschen herum kann die Augen für die schöpferische Hand Gottes öffnen; der religiöse Himmel in einem Menschen kann eine Triebfeder für die Suche nach den Gesetzen der Natur sein. Kein Himmel hat eine Rückseite oder ist ein Gegenstand, um den man herumgehen kann. Jeder Himmel ist nah und zugleich fern. Der Himmel als Horizont der Erde und die Erde als Abglanz des Himmels sind nicht voneinander zu trennen.

Jesus Christus hat die Tür zum unsichtbaren Reich Gottes im sichtbaren Horizont der Welt geöffnet. Der Geist Christi wohnt nicht nur am unsichtbaren Sitz Gottes oder der Engel, auch nicht nur am Aufenthaltsort der seligen Toten oder am Ort der ewigen Glückseligkeit und des göttlichen Lichtes, sondern er wirkt erfahrbar in der sichtbaren Welt durch das Wort Gottes, die göttlichen Sakramente und seine Zeugen.

Himmelfahrt bedeutet „Jesus ist im Himmel – bei Gott“. Das Fest Christi Himmelfahrt lädt ein, an die unendlichen und grenzenlosen Möglichkeiten Gottes jenseits der endlichen und begrenzten Möglichkeiten der Menschen zu glauben. Und das Wirken des Geistes Christi schon hier auf der Erde zu entdecken. Um sich vom Geist der Liebe von himmlischen Kräften der Vernunft bewegen zu lassen.

Burkhard Budde

Medienfreiheit

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Medienfreiheit

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Der Schatz der Medien und Demokratie 

Es gibt einen außergewöhnlichen Schatz: Die liberale Demokratie mit ihrer Verfassung, die sich besonders durch die individuellen Grundrechte auszeichnet, lebt nicht nur von einem Parlament und einer Regierung, die sich beide durch Wahlen legitimieren, sondern auch von einer unabhängigen Justiz und freien Medien. Vor allem jedoch gehören zu diesem Schatz Bürger (generisches Maskulinum, alle Identitäten sind gemeint!), die sich mit ihrer Demokratie identifizieren und sich für das Gemeinwesen engagieren.

Die bekannten Medien – Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften und Anzeigeblätter sowie die öffentlich-rechtlichen Anstalten (ÖRR) – bleiben auch in der Zeit der Digitalisierung, der sozialen Medien und eines veränderten medialen Nutzungsverhalten ein Lebenselixier im Schatz der Demokratie. Bürger – ein heterogenes Publikum! – können aus der Vielfalt und der Vielzahl journalistischer Quellen schöpfen, sich informieren und sich so leichter eine eigene Meinung bilden.

Allerdings gibt es besondere Erwartungen im Blick auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die sich durch Zwangsgebühren aller – und nicht wie private Medienhäuser marktorientiert – finanzieren. „Die „Oberlehrer der Nation“ wollen mich erziehen“, schimpfte ein Bürger und verwies auf die Dominanz der Gendersprache in den politischen Nachrichtensendungen und die der Minderheitenthemen in Krimis und Spielfilmen. Ein anderer Bürger kritisierte die einseitige Zusammensetzung der politischen Talk-Shows sowie das Totschweigen unbequemer Wahrheiten, aber auch die vielen gleichen Angebote in immer größer werdender Anzahl von ZDF und ARD. Zugespitzt fragte er: „Muss der ÖRR ein nerviger Trendsetter sein, immer nur nach Quoten und dem angeblichen Mainstream schielen? Warum gibt es keine Konzentration auf die Grundversorgung der Bevölkerung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung?“

Begründetes Vertrauen jedoch kann in der Arbeit des ÖRR als täglicher Begleiter aller Bürger nur wachsen, wenn der Nutzer keinen belehrenden oder einseitigen Journalismus erlebt, keinen Dreschflegel einer Weltanschauung, keine Keule der Moral, wohl aber einen verlässlichen Qualitätsjournalismus. Aber wie entdecke ich die „Qualität“?

Die Achillesferse eines Journalismus mit Qualitätsanspruch sind die Menschen, die das Programm machen und verantworten. Die eine Berichterstattung von einem Kommentar unterscheiden können und die sowohl mit dem Florett des pflichtgemäßen Ermessens als auch mit dem Kompass eines journalistischen Ethos ihren Dienst im Rahmen von Recht und Gesetz tun. Beispielsweise im Blick auf die Berichterstattung:

Die unabhängig berichten – jenseits der angeblich herrschenden oder eigenen Meinung oder der von Minderheiten.

Sich fair verhalten – ohne Ansehen der Person oder Gruppe und auch die andere Seite zu Worte kommen lassen.

Wahrheitsgetreu recherchieren – die tatsächlich wahrgenommene Lebenswirklichkeit und nicht die gewünschte oder eigene Welt wiedergeben.

Ausgewogen arbeiten – differenziert und kritisch, nicht pauschal oder einseitig, erklärend und aufklärend, nicht verklärend oder missionierend.

Und die ÖRR-Mächtigen sollten Eintrittskarten für die Redaktionsstuben nicht nach der Gesinnung oder der Gruppenzugehörigkeit vergeben, sondern nach fachlicher Kompetenz und nach der Gesamtpersönlichkeit, um den offenen Schatz der lebendigen Demokratie zu sichern und mit Qualitätsbeiträgen zu mehren.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kulumne

„Auf ein Wort“ am 21. 5.2023

Muttertag

Muttertag

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Muttertag – Grund zur Dankbarkeit

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Muttertag – Grund zur Dankbarkeit 

Etwa 500 Nelken soll Anna Jarvis, eine unverheiratete und kinderlose Lehrerin aus West Virginia, nach einem Gottesdienst verteilt haben. Mit der Lieblingsblume ihrer verstorbenen Mutter wollte sie an die Lebensleistung ihrer Mutter, aber auch an die „Werke aller Mütter“ erinnern. Mit dieser Aktion aus dem Jahr 1908 begann die Geschichte des Muttertages, der jährlich am 2. Maisonntag gefeiert wird.

Der Gedenktag an die eigene Mutter ist für viele Menschen immer noch wichtig – weniger als ein Geschenktag, mehr als ein Tag des Dankens. Die Gründe sind vielfältig, individuell unterschiedlich und ganz persönlich:

Für manche war oder ist die Mutter Mittelpunkt und Rückgrat der Familie. Andere beschreiben ihre Mutter als Vorbild und Taktgeberin der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Wieder andere erinnern sich ganz konkret an ihre Fürsorge und Zuwendung. „Meine Mutter war zugleich eine meiner besten Freundinnen“, erzählt eine Tochter über ihre verstorbene Mutter.

Aber auch gemischte Gefühle können auftauchen. So berichtet ein Sohn über seine Mutter: „Es gibt im Leben meiner Mutter Sonnenseiten, aber auch Schatten“.

Am Muttertag wird es wohl stets einen subjektiv ausgewählten Erinnerungs- und Deutungsmix geben. Man belastet sich auch nur selbst, wenn man einen Menschen  – unabhängig von seiner Rolle als Mutter, Vater oder Kind  – auf ein Merkmal oder eine Erinnerung reduziert. Denn ein Mensch ist zu komplex, zu widersprüchlich, zu undurchsichtig, zu unberechenbar, als ihn einfach und für immer in ein „gutes“ oder „schlechtes“ Schubfach einzusortieren. Weder eine Romantisierung („die beste Mutter auf der ganzen Welt!“) noch eine Dämonisierung („ein undankbares und böses Kind!“) werden der Wirklichkeit eines Menschen gerecht, die noch verzwickter und überraschender ist als jede Vorstellung über oder jede Erinnerung an ihn. Denn immer gibt es bei der Suche nach einer gerechten Beurteilung nur persönliche Teilwahrheiten oder auch eigene Interessen, häufig Wahrnehmungskonflikte und Erinnerungslücken im Blick auf eine konkrete Situation mit ihren besonderen Bedingungen.

Nichtsdestotrotz bietet der Muttertag jenseits kalter Gleichgültigkeit und heißer Schwärmerei die Gelegenheit, der Mutter für das eigene Leben aufrichtig zu danken – ohne Theaterspiel, ohne Träumerei und ohne Berechnung. Die Bejahung der eigenen Geburt ist leider keine Selbstverständlichkeit. Sie ist deshalb der eigentliche Grund der Dankbarkeit.

Am Muttertag kann darüber hinaus deutlich werden: Jeder Mensch braucht einen Menschen, der wie eine „gute Mutter“ ist – mit einer wertschätzenden und positiven Grundhaltung, einem empathischen und selbstkritischen Verhalten, einem konstruktiven und produktiven Aushalten unterschiedlicher Bedürfnisse, Interessen, Vorstellungen und Deutungen.

Manchmal reicht eine Rose aus, die blüht und duftet, aber auch Dornen haben kann, um der geliebten und liebenden Mutter eine Freude zu bereiten. Oder ein Anruf. Und dem Dankbaren, der gerecht und weit genug zu denken versucht, wird durch die Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit ein gemeinsames Glückserlebnis geschenkt.

Burkhard Budde

Geburtstag Israel

Geburtstag Israel

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75 Jahre Israel

Kommentar von Burkhard Budde

Die Menora vor dem israelischen Parlament Knesset in Jerusalem. Der Siebenarmige Leuchter mit einem Bildprogramm ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums, auch Wappensymbol Israels. Geschaffen wurde dieses Bronzemonument von Benno Elkan (1877 bis 1960) in den Jahren 1949 bis 1956. Der jüdische Künstler stammte aus Dortmund, erhielt von den nationalsozialistischen Behörden Berufsverbot und emigrierte 1935 nach London. eben seinen Kunstwerken als Bildhauer hat er auch im Sport als Mitbegründer des FC Bayern München seine Spuren hinterlassen.

    Am 14. Mai 1948 – also vor genau 75 Jahren – war die Geburtsstunde des Staates Israel: David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, verlas in Tel Aviv die israelische Unabhängigkeitserklärung.

    Was war vorangegangen? Ein kurzer Rückblick: Der Schriftsteller Theodor Herzl, Hauptbegründer des politischen Zionismus, hatte in seinem Buch „Der Judenstaat“ (1896) seine Vorstellungen von einem souveränen jüdischen Staat angesichts von dauerhaftem Antisemitismus und gesetzlicher Diskriminierung entfaltet. Sein Buch gab den Anstoß zur internationalen Zusammenarbeit nationaljüdischer Vereine und zum ersten Zionistenkongress, der 1897 in Basel stattfand, und ein gemeinsames Programm beschloss: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.“ Diese Idee fand Unterstützer: 1917 befürwortete Großbritanniens Außenminister Arthur James Balfour die Errichtung einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk. Der Völkerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war und bis zur Gründung der Vereinten Nationen (UNO) nach dem Zweiten Weltkrieg bestand, stellte seit 1922 weitere Weichen für eine nationale Heimstätte für Juden in Palästina. Am 29. November 1947 – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der systematischen Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa, dem nationalsozialistischem Völkermord aller Juden im Machtbereich der Hitler-Diktatur mit brutalsten auch industriellen Methoden – beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen schließlich einen Teilungsplan: Palästina sollte in einen arabischen und jüdischen Staat geteilt, Jerusalem unter internationale Kontrolle gestellt werden. Gegen die Teilung sprachen sich jedoch die arabischen Länder aus.

    Doch die programmatische Vision der Zionistenbewegung sowie der UNO, einen sicheren Zufluchtsort für Juden aus aller Welt in Palästina zu schaffen, war stärker und wurde Wirklichkeit, die allerdings keine Insel der Seligen werden sollte, sondern immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden musste. Eine lebendige Erinnerungskultur an die Schoa bzw. den Holocaust sowie eine gelebte Verteidigungsbereitschaft zur Sicherung der Existenz halfen und helfen, den neuen und modernen Staat mit seiner vielfältigen und spannungsreichen Mosaikgesellschaft zusammenzuhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln.

    Wer heute Israel besucht, erlebt ein kleines Land, das so groß wie Hessen ist, jedoch über eine starke sowie einzigartig abwechslungsreiche Anziehungs- und Ausstrahlungskraft verfügt – geprägt von vielfältigen Landschaften, Wüsten, Oasen und Bergen, von den Reizen des Mittelmeeres, des Toten Meeres und des Sees Genezareth, von den Perlen wie Jerusalem mit seinem mehr religiösen Charakter und Tel Aviv mit seinem mehr säkularen Charakter, die pulsierendes und buntes Leben schaffen. Fast überall kann der Besucher sprudelnden religiösen und kulturellen Quellen begegnen, mal ganz abgesehen von den historischen Spuren, die nicht nur sichtbar grüßen und verwundern, sondern auch mit ihren alten Botschaften in der Gegenwart laut sprechen können und nachdenklich machen.

    Und doch ist das Heilige Land, das am Knotenpunkt zwischen Asien, Afrika und Europa liegt, voller politischer Sprengsätze, Widersprüchlichkeiten und Spannungen. Israel ist nicht nur Heimstätte für säkulare und orthodoxe Juden, die um die Zukunft ihrer Demokratie kämpfen: Soll sie eine mehr jüdische, vielleicht sogar jüdisch theokratische oder eine mehr säkular-liberalere Ausrichtung haben?

    Israel ist jedoch darüber hinaus ein konflikt- und emotionsbeladenes Land im Blick auf das Verhältnis zu den Palästinensern sowie den palästinensischen Gebieten im Westjordanland: Soll das gefährliche Nebeneinander, das schnell zu einem gewalttätigen Gegeneinander werden kann, vor allem durch weitere Besiedlungen und unterschiedliche Rechtssysteme schleichend verfestigt werden oder kann es einen Wandel „von oben“ geben, ein gleichberechtigtes, kooperatives und friedliches Miteinander?

    Aber wie? Wenn die bekannten Visionen -„Zweistaatenlösung“ mit zwei souveränen und unabhängigen Staaten Israel und Palästina sowie „Einstaatenlösung“ mit gleichen Rechten und Pflichten für alle – sich für viele zu unrealistischen Wunschvorstellungen entwickelt haben?

    Ob angesichts der komplexen und komplizierten israelischen Lage eine demokratische Verfassung, die fehlt, weiterhelfen könnte? Ein gemeinsamer rechtlicher und verbindlicher Rahmen, der sowohl jüdische als auch säkulare Anliegen achtet, Gewaltenteilung und Gleichberechtigung sowie Minderheiten- und Gruppenschutz regelt, vor allem die unantastbare Würde aller sowie Einhaltung der Menschenrechte fordert? Ein gemeinschaftsstiftender Rahmen, der zugleich als gemeinsames Fundament politischen Treibsand verhindert und eine konstruktive Wirkmacht in der Realität entwickeln kann?

    Israelische Freunde brauchen keine klugen Ratschläge von außerhalb, aber unter Freunden lebt eine wahre Freundschaft vor allem von einem offenen, vorurteilsfreien und ehrlichen Dialog mit unterschiedlichen Erfahrungen, Verantwortungen und Perspektiven. Vor allem jedoch tragen die Israelis selbst Verantwortung für ihre Demokratie so wie die Palästinenser für ihre Autonomiebehörde eine primäre Verantwortung haben. Und beide tragen eine gemeinsame Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten im Zusammenspiel mit politischen Nachbarländern und der Weltgemeinschaft. Und doch liegt es insbesondere in der Hand der direkt Betroffenen, mit welchen politischen Mitteln sie ihr wunderschönes Land in vielfältiger Einheit im Frieden und in Sicherheit weiterentwickeln.

    Zum 75. Geburtstag jedenfalls die besten Wünsche für die Zukunft – vor allem שלום, Schalom, Heilsein und Wohlergehen, Frieden und Sicherheit als Frucht der Gerechtigkeit und des Gottvertrauens.

    (Der Verfasser des Kommentars hatte im Februar 2023 Israel im Rahmen einer Studienreise besucht.)

    Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster am 14.5. 2023

    An der Klagemauer in Jerusalem begrüßen am Freitagabend  junge Israelinnen den Sabbat als Braut oder Königin Israels mit frohen Gesängen und Tänzen. Die Klagemauer, 48 Meter lang und 18 Meter hoch, ist eine religiöse Stätte des Judentums, wo viele fromme Juden beten. Sie war Teil der Westmauer des Plateaus des Herodianischen Tempels. In die Ritzen und Spalten der Mauer stecken viele Menschen aufgeschriebene Gebete.

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    Am Strand von Tel Aviv, der zweitgrößten Stadt Israels sowie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum Israels. Das Stadtzentrum von Tel Aviv („Frühlingshügel“), das unmittelbar am Mittelmeer liegt, hat ein säkulares und liberales Milieu. Die  moderne Hochhausstadt wurde 1909  gegründet; seit 1950 ist sie mit dem ursprünglichen Vorort Jaffa („Joppe“), einer seit der Antike bestehenden Hafenstadt, vereinigt.

    Gendern?

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    Gendern?

    Von Burkhard Budde

    Auf ein Wort

    Vom Fürsten, der eine neue Sprache anordnete 

    Es war einmal ein Fürst, der wollte in seinem Reich mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern herstellen. Sein ehrgeiziges Programm mit sprachlichen Benimmregeln fand unter seinen Lieblingen und Günstlingen viel Applaus. Sie bekamen die Weisung, die Leute fest an die Hand und unter ihre Fittiche zu nehmen, um sie in eine heile Welt ohne Diskriminierungen zu führen.

    Gehorsam sorgten seine Claqueure, die vor und hinter der großen Bühne saßen, zunächst für eine „Vergeschlechtlichung“ der Sprache: Immer mehr Sterne, Doppelpunkte, Binnen-I s und Unterstriche tummelten sich in der Öffentlichkeit. Das generische Maskulinum, das nicht nach dem biologischen Geschlecht fragt, sondern alle Menschen unabhängig vom Geschlecht meint, wurde bekämpft, als ginge es um Leben und Tod. Ein ständiges Trommelfeuer mit giftigen Blüten strapazierte die Ohren und nervte das Sprachgefühl: Die unerbittliche Beidnennung von Frauen und Männern, die von Inhalten ablenkte, sollte die Regel sein und aus „Mutter“ „gebärende Person“ werden. Und Knacklaute waren von besonders strengen und eifernden Dienern zu hören.

    Fürst und Gefolge jedoch, die auf einem hohen Ross saßen, weil sie wussten, was für alle Leute gut und richtig ist, hatten sich vergaloppiert.

    Manche Menschen suchten zwar ihre Ruhe in der Bequemlichkeit, zogen verängstigt die Köpfe ein und ließen ihr Fähnlein im Wind der neuen Sprachpolitik wehen. Andere versuchten, das bierernste Sprachanliegen des Fürsten wegzulächeln oder nach dem Motto „Die Gedanken sind ja frei“ zu ignorieren. Wieder andere bewegten sich auf dem schmalen Grad einerseits beim Erziehungsprogramm zu mehr sprachlicher Sensibilität mitzumachen und andererseits zu ihrer Überzeugung, dass die Sprache keine ideologische Zwangsbetreuung von oben braucht, zu stehen und drohten dabei abzustürzen.

    Aber immer mehr Menschen hatten auch die Nase voll von hochnäsigen Belehrungen, die Anderssprechende zum Schweigen bringen sollten und Kritiker unterstellten, rückständig zu sein oder kein Fingerspitzengefühl zu haben.

    Viele Leute des Landes begrüßten zwar mehr und überhaupt Geschlechtergerechtigkeit, aber nicht die neue Waffe des Genderns, die im Namen von Toleranz die Freiheit des Einzelnen bedrohte, so zu reden wie ihm der Schnabel gewachsen war und so zu schreiben, wie es die gelernten und anerkannten Schreibregeln verlangten. Immer mehr Menschen fragten sich: Kann eine Sprachpolitik mit dem Holzhammer, der einer schönen Sprache Gewalt antut, tatsächlich gerechtere Verhältnisse schaffen? Gebiert das Gendern nicht eher neue Ungerechtigkeiten mit neuen Diskriminierungen? Sollte nicht eine Sprache, die verständlich, verstehbar und vermittelbar ist, die Menschen miteinander verbinden statt sie zu spalten oder zu verunsichern?!

    Manche mündige Bürger entwickelten sogar ein gelebtes Gegenprogramm. Sie sprengten die Fesseln der Bevormundung. Sie klärten auf: Wie ausgerechnet die von ihrer Selbstgerechtigkeit Gefesselten ihre freien Mitmenschen schleichend fesseln wollen. Wie die Moralkeule der Gleichmacherei den sozialen Fortschritt bremst. Aber auch wie sich der Einsatz für eine faire Chancenfreiheit in einer humanen Leistungsgesellschaft lohnt, weil der Zusammenhalt gestärkt wird – nicht in einer gendergerechten Gruppengesellschaft mit Etiketten und Schubfächern, sondern in einem sprach- und menschensensiblen Leben mit der Achtung und Verteidigung der Würde aller.

    Burkhard Budde

    Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel am 7.5.2023 in der Kolumne „Auf ein Wort“