Moment mal

75 Jahre Israel

Kommentar von Burkhard Budde

Die Menora vor dem israelischen Parlament Knesset in Jerusalem. Der Siebenarmige Leuchter mit einem Bildprogramm ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums, auch Wappensymbol Israels. Geschaffen wurde dieses Bronzemonument von Benno Elkan (1877 bis 1960) in den Jahren 1949 bis 1956. Der jüdische Künstler stammte aus Dortmund, erhielt von den nationalsozialistischen Behörden Berufsverbot und emigrierte 1935 nach London. eben seinen Kunstwerken als Bildhauer hat er auch im Sport als Mitbegründer des FC Bayern München seine Spuren hinterlassen.

    Am 14. Mai 1948 – also vor genau 75 Jahren – war die Geburtsstunde des Staates Israel: David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, verlas in Tel Aviv die israelische Unabhängigkeitserklärung.

    Was war vorangegangen? Ein kurzer Rückblick: Der Schriftsteller Theodor Herzl, Hauptbegründer des politischen Zionismus, hatte in seinem Buch „Der Judenstaat“ (1896) seine Vorstellungen von einem souveränen jüdischen Staat angesichts von dauerhaftem Antisemitismus und gesetzlicher Diskriminierung entfaltet. Sein Buch gab den Anstoß zur internationalen Zusammenarbeit nationaljüdischer Vereine und zum ersten Zionistenkongress, der 1897 in Basel stattfand, und ein gemeinsames Programm beschloss: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.“ Diese Idee fand Unterstützer: 1917 befürwortete Großbritanniens Außenminister Arthur James Balfour die Errichtung einer „nationalen Heimstätte“ für das jüdische Volk. Der Völkerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war und bis zur Gründung der Vereinten Nationen (UNO) nach dem Zweiten Weltkrieg bestand, stellte seit 1922 weitere Weichen für eine nationale Heimstätte für Juden in Palästina. Am 29. November 1947 – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der systematischen Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa, dem nationalsozialistischem Völkermord aller Juden im Machtbereich der Hitler-Diktatur mit brutalsten auch industriellen Methoden – beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen schließlich einen Teilungsplan: Palästina sollte in einen arabischen und jüdischen Staat geteilt, Jerusalem unter internationale Kontrolle gestellt werden. Gegen die Teilung sprachen sich jedoch die arabischen Länder aus.

    Doch die programmatische Vision der Zionistenbewegung sowie der UNO, einen sicheren Zufluchtsort für Juden aus aller Welt in Palästina zu schaffen, war stärker und wurde Wirklichkeit, die allerdings keine Insel der Seligen werden sollte, sondern immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden musste. Eine lebendige Erinnerungskultur an die Schoa bzw. den Holocaust sowie eine gelebte Verteidigungsbereitschaft zur Sicherung der Existenz halfen und helfen, den neuen und modernen Staat mit seiner vielfältigen und spannungsreichen Mosaikgesellschaft zusammenzuhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln.

    Wer heute Israel besucht, erlebt ein kleines Land, das so groß wie Hessen ist, jedoch über eine starke sowie einzigartig abwechslungsreiche Anziehungs- und Ausstrahlungskraft verfügt – geprägt von vielfältigen Landschaften, Wüsten, Oasen und Bergen, von den Reizen des Mittelmeeres, des Toten Meeres und des Sees Genezareth, von den Perlen wie Jerusalem mit seinem mehr religiösen Charakter und Tel Aviv mit seinem mehr säkularen Charakter, die pulsierendes und buntes Leben schaffen. Fast überall kann der Besucher sprudelnden religiösen und kulturellen Quellen begegnen, mal ganz abgesehen von den historischen Spuren, die nicht nur sichtbar grüßen und verwundern, sondern auch mit ihren alten Botschaften in der Gegenwart laut sprechen können und nachdenklich machen.

    Und doch ist das Heilige Land, das am Knotenpunkt zwischen Asien, Afrika und Europa liegt, voller politischer Sprengsätze, Widersprüchlichkeiten und Spannungen. Israel ist nicht nur Heimstätte für säkulare und orthodoxe Juden, die um die Zukunft ihrer Demokratie kämpfen: Soll sie eine mehr jüdische, vielleicht sogar jüdisch theokratische oder eine mehr säkular-liberalere Ausrichtung haben?

    Israel ist jedoch darüber hinaus ein konflikt- und emotionsbeladenes Land im Blick auf das Verhältnis zu den Palästinensern sowie den palästinensischen Gebieten im Westjordanland: Soll das gefährliche Nebeneinander, das schnell zu einem gewalttätigen Gegeneinander werden kann, vor allem durch weitere Besiedlungen und unterschiedliche Rechtssysteme schleichend verfestigt werden oder kann es einen Wandel „von oben“ geben, ein gleichberechtigtes, kooperatives und friedliches Miteinander?

    Aber wie? Wenn die bekannten Visionen -„Zweistaatenlösung“ mit zwei souveränen und unabhängigen Staaten Israel und Palästina sowie „Einstaatenlösung“ mit gleichen Rechten und Pflichten für alle – sich für viele zu unrealistischen Wunschvorstellungen entwickelt haben?

    Ob angesichts der komplexen und komplizierten israelischen Lage eine demokratische Verfassung, die fehlt, weiterhelfen könnte? Ein gemeinsamer rechtlicher und verbindlicher Rahmen, der sowohl jüdische als auch säkulare Anliegen achtet, Gewaltenteilung und Gleichberechtigung sowie Minderheiten- und Gruppenschutz regelt, vor allem die unantastbare Würde aller sowie Einhaltung der Menschenrechte fordert? Ein gemeinschaftsstiftender Rahmen, der zugleich als gemeinsames Fundament politischen Treibsand verhindert und eine konstruktive Wirkmacht in der Realität entwickeln kann?

    Israelische Freunde brauchen keine klugen Ratschläge von außerhalb, aber unter Freunden lebt eine wahre Freundschaft vor allem von einem offenen, vorurteilsfreien und ehrlichen Dialog mit unterschiedlichen Erfahrungen, Verantwortungen und Perspektiven. Vor allem jedoch tragen die Israelis selbst Verantwortung für ihre Demokratie so wie die Palästinenser für ihre Autonomiebehörde eine primäre Verantwortung haben. Und beide tragen eine gemeinsame Verantwortung für den Frieden im Nahen Osten im Zusammenspiel mit politischen Nachbarländern und der Weltgemeinschaft. Und doch liegt es insbesondere in der Hand der direkt Betroffenen, mit welchen politischen Mitteln sie ihr wunderschönes Land in vielfältiger Einheit im Frieden und in Sicherheit weiterentwickeln.

    Zum 75. Geburtstag jedenfalls die besten Wünsche für die Zukunft – vor allem שלום, Schalom, Heilsein und Wohlergehen, Frieden und Sicherheit als Frucht der Gerechtigkeit und des Gottvertrauens.

    (Der Verfasser des Kommentars hatte im Februar 2023 Israel im Rahmen einer Studienreise besucht.)

    Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster am 14.5. 2023

    An der Klagemauer in Jerusalem begrüßen am Freitagabend  junge Israelinnen den Sabbat als Braut oder Königin Israels mit frohen Gesängen und Tänzen. Die Klagemauer, 48 Meter lang und 18 Meter hoch, ist eine religiöse Stätte des Judentums, wo viele fromme Juden beten. Sie war Teil der Westmauer des Plateaus des Herodianischen Tempels. In die Ritzen und Spalten der Mauer stecken viele Menschen aufgeschriebene Gebete.

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    Am Strand von Tel Aviv, der zweitgrößten Stadt Israels sowie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum Israels. Das Stadtzentrum von Tel Aviv („Frühlingshügel“), das unmittelbar am Mittelmeer liegt, hat ein säkulares und liberales Milieu. Die  moderne Hochhausstadt wurde 1909  gegründet; seit 1950 ist sie mit dem ursprünglichen Vorort Jaffa („Joppe“), einer seit der Antike bestehenden Hafenstadt, vereinigt.