Moment mal

Gendern?

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Vom Fürsten, der eine neue Sprache anordnete 

Es war einmal ein Fürst, der wollte in seinem Reich mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern herstellen. Sein ehrgeiziges Programm mit sprachlichen Benimmregeln fand unter seinen Lieblingen und Günstlingen viel Applaus. Sie bekamen die Weisung, die Leute fest an die Hand und unter ihre Fittiche zu nehmen, um sie in eine heile Welt ohne Diskriminierungen zu führen.

Gehorsam sorgten seine Claqueure, die vor und hinter der großen Bühne saßen, zunächst für eine „Vergeschlechtlichung“ der Sprache: Immer mehr Sterne, Doppelpunkte, Binnen-I s und Unterstriche tummelten sich in der Öffentlichkeit. Das generische Maskulinum, das nicht nach dem biologischen Geschlecht fragt, sondern alle Menschen unabhängig vom Geschlecht meint, wurde bekämpft, als ginge es um Leben und Tod. Ein ständiges Trommelfeuer mit giftigen Blüten strapazierte die Ohren und nervte das Sprachgefühl: Die unerbittliche Beidnennung von Frauen und Männern, die von Inhalten ablenkte, sollte die Regel sein und aus „Mutter“ „gebärende Person“ werden. Und Knacklaute waren von besonders strengen und eifernden Dienern zu hören.

Fürst und Gefolge jedoch, die auf einem hohen Ross saßen, weil sie wussten, was für alle Leute gut und richtig ist, hatten sich vergaloppiert.

Manche Menschen suchten zwar ihre Ruhe in der Bequemlichkeit, zogen verängstigt die Köpfe ein und ließen ihr Fähnlein im Wind der neuen Sprachpolitik wehen. Andere versuchten, das bierernste Sprachanliegen des Fürsten wegzulächeln oder nach dem Motto „Die Gedanken sind ja frei“ zu ignorieren. Wieder andere bewegten sich auf dem schmalen Grad einerseits beim Erziehungsprogramm zu mehr sprachlicher Sensibilität mitzumachen und andererseits zu ihrer Überzeugung, dass die Sprache keine ideologische Zwangsbetreuung von oben braucht, zu stehen und drohten dabei abzustürzen.

Aber immer mehr Menschen hatten auch die Nase voll von hochnäsigen Belehrungen, die Anderssprechende zum Schweigen bringen sollten und Kritiker unterstellten, rückständig zu sein oder kein Fingerspitzengefühl zu haben.

Viele Leute des Landes begrüßten zwar mehr und überhaupt Geschlechtergerechtigkeit, aber nicht die neue Waffe des Genderns, die im Namen von Toleranz die Freiheit des Einzelnen bedrohte, so zu reden wie ihm der Schnabel gewachsen war und so zu schreiben, wie es die gelernten und anerkannten Schreibregeln verlangten. Immer mehr Menschen fragten sich: Kann eine Sprachpolitik mit dem Holzhammer, der einer schönen Sprache Gewalt antut, tatsächlich gerechtere Verhältnisse schaffen? Gebiert das Gendern nicht eher neue Ungerechtigkeiten mit neuen Diskriminierungen? Sollte nicht eine Sprache, die verständlich, verstehbar und vermittelbar ist, die Menschen miteinander verbinden statt sie zu spalten oder zu verunsichern?!

Manche mündige Bürger entwickelten sogar ein gelebtes Gegenprogramm. Sie sprengten die Fesseln der Bevormundung. Sie klärten auf: Wie ausgerechnet die von ihrer Selbstgerechtigkeit Gefesselten ihre freien Mitmenschen schleichend fesseln wollen. Wie die Moralkeule der Gleichmacherei den sozialen Fortschritt bremst. Aber auch wie sich der Einsatz für eine faire Chancenfreiheit in einer humanen Leistungsgesellschaft lohnt, weil der Zusammenhalt gestärkt wird – nicht in einer gendergerechten Gruppengesellschaft mit Etiketten und Schubfächern, sondern in einem sprach- und menschensensiblen Leben mit der Achtung und Verteidigung der Würde aller.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel am 7.5.2023 in der Kolumne „Auf ein Wort“