Moment mal

Faziniernde Liebe

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

„Faszinierende Liebe“ 

Sie hat viele wundervolle Gesichter: Die faszinierende Liebe, die sich nicht ängstlich versteckt, sondern sich offen bekennt. Dann spricht das pochende Herz mit leuchtenden Augen: Zum Beispiel von einer geliebten und liebsten Frau, einem geliebten und beliebtesten Sänger, einem geliebten und treuesten Hund. Oder von einer geliebten Heimat, in der ein Mensch Mitglied seines geliebten Fußballvereins ist, seiner „wahren Liebe“.

Aber nur selten ist die Rede von einer geliebten Kirche. Warum eigentlich? Ist der Funke der Liebe nie wirklich übergesprungen? Ist das Feuer der Liebe durch Kränkungen endgültig erloschen? Weil eine enttäuschte Liebe durch vorgetäuschte Liebe nicht mehr heilbar ist? Weil das Kribbeln im Bauch als Schwärmerei entlarvt worden und zu Staub und Asche geworden ist, zur kalten Gleichgültigkeit, zur vergifteten Wahrheit mit bitteren Folgen?

Aber es gibt überraschende Ausnahmen. Vor Jahren traf ich einen Mann, der mir begeistert seine geliebte Kirche zeigte: Hier – vor dem Altar – sei er getauft und konfirmiert sowie getraut worden. Diese Kirche besuche er regelmäßig zu Gottesdiensten und Konzerten – wie bereits seine Eltern und Vorfahren.

Die geliebte Kirche ist nicht nur ein persönlicher Erinnerungsort, sondern auch ein Erbauungsort von Emotio und Ratio. Dann wird die Seele gestreichelt und beruhigt, ermutigt und wieder aufgebaut; der Geist bewegt, um nach- und weiterzudenken oder auch umzudenken. Und Seele und Geist gehen mit dem Körper eine untrennbare Einheit ein.

Ein Kirchenbesucher beispielsweise, der zufällig, allerdings auch vorbehaltlos in einem Gottesdienst saß, berichtete anschließend, dass es bei ihm während der Predigt „Klick“ gemacht habe. Er sei zu einer neuen Sichtweise seiner Probleme gekommen, weil er sich von einem biblischen Wort angesprochen gefühlt habe.

Bei ihm war die Kirche mit ihrer Einladung zum Gott- und Christusvertrauen zu einem Quellort geworden. Solche oder ähnliche Oasenerfahrungen sind in Wüstenzeiten von Krisen, aber auch angesichts von Bosheiten und Feindschaften, von Uneinsichtigkeiten und Herzlosigkeiten besonders wichtig. Wer dann aus der Quelle der biblischen Botschaft schöpft, dem wachsen neue Kräfte zu: Kniefälle vor Gott werden wichtiger als Kniefälle vor Menschen, weil Gott seine geliebten Geschöpfe wieder aufrichtet, ihnen ihr Gesicht und ihr Rückgrat zurückgibt. Der biblische Kompass der letzten Verantwortung vor Gott verhindert dann die Herrschaft einer moralischen Keule, macht frei von Erpressung und unabhängig von Verführung, stärkt Souveränität und Mut. Und die Gewissheit der letzten Geborgenheit in Gott, die keine Zauberei ist, wird zur liebenden sowie persönlich erfahrbaren Zusage.

Wenn die Kirche nur Echoraum weltlicher Ideen ist, wird ihr Echo auf ihre eigene Botschaft überhört. Wenn sie nur eine Nischenwelt von Weltflüchtigen ist, die eine konstruktive Auseinandersetzung im Lichte des Evangeliums scheut, kann sie ihre Botschaft nicht in Wort und Tat glaubwürdig vertreten.

Wenn sie aber für Lebensdurstige bekennender Zufluchts- und Quellort der bedingungslosen und grenzenlosen Liebe Gottes bleibt, dann bekommt sie ein unverwechselbares und unvertretbares Gesicht. Und kann bei einer gleichzeitigen Rundumerneuerung ihrer Strukturen, Hierarchien und Angebote zur geliebten Kirche der unsichtbaren Kirche Jesu Christi werden.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kolumne „Auf ein Wort“ am 28.5.2023