Ehre

Ehre

Moment mal

Ehren?!

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Ehre, dem Ehre gebührt?!

Wer oder was wird geehrt? Und warum, wozu?

Zum Beispiel am Muttertag: Eine „gute Mutter“ wird vom „dankbaren Kind“ geehrt, weil die Mutter nicht nur an sich selbst gedacht hat, sondern auch ihre Lebenszeit mit ihm teilte. Das erwachsen gewordene Kind verteilt keine Noten oder nur goldene Worte, sondern bedankt sich aufrichtig für das „vorbildliche Beispiel“ der Mutter. Als Identifikations- und Leitfigur hat die Mutter zur eigenen Reifung und Mündigkeit beigetragen – trotz aller menschlichen Widersprüchlichkeiten und sozialen Spannungen. Und bleibt als Gesprächspartner und Wegbegleiter des Kindes in Rufweite.

Oder bei einer Ordensverleihung: Ein Bürger wird mit einem Orden vom Staat geehrt, weil er kein kopf- oder herzloser Zuschauer ist, auch kein knirschender und zerstörerischer Sand im Getriebe des sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Geschehens, sondern bewegendes Schmieröl der Menschlichkeit, der Nächstenliebe und des Fortschritts. Durch den persönlichen Einsatz des Bürgers ist keine Sahne geschlagen oder oberflächliche Mittelmäßigkeit geschaffen worden, wohl aber konnten sich ein sozialer Zusammenhalt und geistige Einheitsbänder entwickeln. Und ansteckende Perspektiven – ein Gewinn für (fast) alle.

Doch was ist mit den vielen Nicht-Müttern oder mit den unbekannten Namen, die ebenfalls Respekt und Wertschätzung verdienen?

Nicht alle können öffentlich geehrt werden. Und überhaupt: Nicht alle Menschen wollen öffentlich geehrt werden. Manche möchten ohne öffentliche Geräuschkulisse hilfsbereit sein und mit gutem Beispiel vorangehen. Und ohne selbstbezogenes Vorteilsdenken („Was hab ich davon?“) und ohne soziales Genussdenken („Ich verteile gerne, solange ich selbst kein Opfer erbringen muss.“) der Allgemeinheit mit Freude dienen. Und verlassen deshalb ihre Kuschelecke der Selbstzufriedenheit und das Jammertal der Unzufriedenheit; suchen nicht ehrgeizig den Gipfel der Eitelkeiten oder die Wiese der Ehrsucht, sondern tun auf leisen Sohlen und unauffällig, ohne Hintergedanken, aber mit Rückgrat – wie selbstverständlich – ihre Menschen- und Bürgerpflicht.

Doch was ist mit den Nichtgeehrten, die eine verdiente öffentliche Ehrung als Triebfeder guter Taten und der Zivilcourage vermissen?

Eine Frau sagte mir: „Ein Zeichen des Dankes von meinem Kind hätte meine traurige Seele gut getan.“ Eine andere Frau, die sich ein Leben lang ehrenamtlich für eine Organisation eingesetzt hat, verriet mir. „Undank scheint mein Lohn gewesen zu sein.“ Ein Bürger, der sich in seiner Ehre verletzt fühlte, weil er trotz seines Einsatzes keinen Orden erhielt, vermutete: „‘Ehre, dem Ehre gebührt‘, scheint nur für Gleichgesinnte zu gelten.“ Und er dachte vielleicht dabei an die „Ehre“, die in der Geschichte an eine soziale Gruppe wie den Adel gebunden war und erst im 16. Jahrhundert zur Tugend einer ruhmreichen Tat des Einzelnen wurde. Allerdings auch bei Feigheit und Skandal wieder verloren werden konnte. Und bei kleinlichen „Beleidigungen“ zur Rache oder zum Duell führte.

Heute hat es jedenfalls kein selbstbewusster und aufgeklärter Mensch unbedingt nötig, öffentlich geehrt zu werden: Weil eigentlich Gott (allein) die Ehre gebührt, der dem Menschen seine unverlierbare Würde geschenkt hat. Wobei der Mensch öffentliche Anerkennung verdiente, der sich vorbildlich und beispielhaft für die Menschenwürde einsetzt. Denn seine herausragende Leistung könnte durch eine demonstrative sowie würdige Ehrung Kreise ziehen. 

Burkhard Budde

Anker der Hoffnung

Anker der Hoffnung

Moment mal

Anker der Hoffnung

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Der Anker der Hoffnung 

Kann ein Anker für alle gleich wichtig sein?

Das große Boot, an dem an einer Halterung am Bug eine Ankerkette befestigt war, lag gut geschützt und sicher in einer felsigen Meeresbucht. Regelmäßig und viele Jahre lang kamen Menschen, um auf dem Boot zu arbeiten und ihre Freizeit zu verbringen. Es gab Zeiten der Anspannung, aber auch Zeiten der Entspannung. Manchmal mischte sich auch beides. Oder aus Muße wurde quälender Stress und aus Anstrengung gähnende Langeweile. Häufig bewegte die Menschen die Sehnsucht nach dem offenen Meer, das Boot wetterfest und zukunftsfest zu machen, auf den neuesten Stand zu bringen, es aus- und umzubauen. Konkrete Ziele und Pläne, Bedürfnisse und Interessen sahen jedoch sehr unterschiedlich aus.

Viele Menschen wussten, dass eine Seekarte, ein Kompass und auch ein modernes Sattelitennavigationsgerät das Wagnis einer Reise auf hoher See nicht ersetzen kann. Doch noch wichtiger erschien es ihnen, das Sagen auf dem Boot haben zu wollen, wohin die Reise gehen und wann es mit welchem Proviant losgehen sollte. Und sie riefen unüberhörbar „Ich“. Oder „Wir“, wenn sie in Gruppen oder Gesinnungsgemeinschaften organisiert waren. Im Durcheinander, das sich immer mehr zu einem gefährlichen Gegeneinander entwickelte und scheinbar nur durch ein gleichgültiges Nebeneinander zusammengehalten werden konnte, kamen einige auf die Idee, alten Ballast über Bord zu werfen, um neue Lebensräume auf dem Boot zu erschließen und gestalten zu können.

Selbsternannte Pioniere des Fortschritts waren wie geblendet und gefesselt von ihren Gewissheiten und ihrem Wissen über das Meer, das mit unendlicher Weite, unerschöpflicher Energie und unbekanntem Horizont lockte und alle neugierig machte. Sie betrachteten das Meer jedoch nur durch ihre Brille und versuchten, mit bitterernster Miene und angstmachendem Eifer die alleinige Deutungshoheit über das vielfältige Leben auf dem Boot zu kapern, Teile der Sprache und der gewachsenen Kultur, Schatten der Geschichte und liebgewordene Tradition zu säubern und zu reinigen sowie zu sieben, um sie dann über Bord zu werfen. Alle, die nicht mitmachten, wurden mürbe gemacht, sollten die Kommandobrücke oder das Deck verlassen oder einfach schweigen. Oder Andersdenkenden zogen sich „freiwillig“ genervt und frustriert in ihre Kojen zurück.

Was viele allerdings im Laufe der Zeit und bei aller Aufregung vergaßen oder einfach nicht (mehr) wissen wollten, war die zentrale Bedeutung des Ankers für das ganze Boot. Da war die Kette am Bug, aber nicht der Anker selbst zu sehen. Als sie wegen ihrer „augenscheinlichen Sinn- und Zwecklosigkeit“ entfernt werden sollte, gab es nur wenige warnende Stimmen: „In der Tiefe liegt die Wahrheit.“ „Das Unsichtbare steht in helfender Verbindung mit dem Sichtbaren“. „Wenn Stürme kommen, muss das Boot einen sicheren Halt haben.“

Aber die Aktivisten, die sich selbst als Haupt- oder Ersatzanker deuteten, hielten sich die Ohren zu, wurden lauter und brüllten: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“

Doch all die Menschen, die an den unsichtbaren Anker der Hoffnung glaubten, ließen sich nicht in die Knie zwingen. Sie hatten die Hoffnung, dass der Anker ein Bootsleben in Würde, Freiheit und Solidarität ermögliche, dass man gemeinsam scharfe Winde aushalten und Zusammenstöße mit anderen Booten vermeiden könne. Mutig und standfest blieben sie fest verankert, gerade um beweglich sowie in einer fairen und konstruktiven Auseinandersetzung frei für bessere Lösungen sein zu können, um das Mögliche und Notwendige auf dem Boot zu tun.

Und sie schafften es, sich – mit dem Anker der Gewissheit auf dem Boot – auf das offene und bewegte Meer des Ungewissen in Zuversicht und Verantwortung zu wagen. 

Burkhard Budde

Gottesbezug?

Gottesbezug?

Moment mal

Gottesbezug?

Von Burkhard Budde

„Wenn Gott für uns ist, wer mag gegen uns sein?“

Gottesbezug ein alter Zopf? 

Ist eine moderne Gesellschaft von allen guten Geistern verlassen? Oder ist der Gottesbezug tatsächlich ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört, weil er von vielen Menschen nur noch kopfschüttelnd hingenommen, belächelt oder gar verachtet wird? Zum Beispiel der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, in der Eidesformel am Schluss eines Amtseides oder im Grundsatzprogramm einer Partei? Ist dieser Hinweis auf Gott etwa eine religiöse Dekoration, die mehr abschreckt als einlädt, mehr spaltet als zusammenführt, mehr Gleichgültigkeit als Gemeinsinn verbreitet, weil sie missbraucht werden kann und aus der Zeit fällt?

Braucht der moderne Mensch, der sich am eigenen Schopf aus dem Lebenssumpf zu befreien versucht, überhaupt noch ein unsichtbares Gegenüber, dessen Existenz nicht beweisbar ist, nur im religiösen Wort als allgegenwärtige und allgütige Lebenskraft versprochen wird, aber im realen Leben ein Nischendasein fristet? Ist der Mensch von heute nicht ohnehin alleiniger Maßstab und selbstbestimmter Chef seines Lebens?

Um bei all diesen Fragen sich nicht im Nebel der Gefühle zu verlaufen, ist die Unterscheidung der Geister zu empfehlen: In unserer säkularen, vielfältigen und toleranten Demokratie, die christliche und humane Wurzeln und Prägungen hat, sollte niemand von Juden, Christen oder Muslime erwarten, dass sie ihren Gott leugnen (die Lateiner sprechen von „ignoratio Dei“). Oder dass Nicht-Gott-Gläubige einen Gott, den sie nicht kennen, anrufen („invocatio Dei“). Wohl aber können alle Menschen aus rationalen Gründen Gott benennen („nominatio Dei“).

Die Nennung des Namens Gott im Grundgesetz erinnert nämlich an die menschenverachtende Zeit des Nationalsozialismus. Diese bleibende Erinnerung ist zugleich eine ständige Aufforderung, aus der Geschichte zu lernen und den Anfängen von Antisemitismus und Rassismus, Hass und Gewalt zu wehren. Kein Staat, keine Partei, keine Organisation darf jemals wieder allmächtig und totalitär werden, und dem Menschen seine individuellen Freiheiten nehmen, ihn zum Sklaven einer ideologischen Gruppe machen oder zum Handlanger eines entmenschlichten Denkens erziehen wollen. Auch eine liberale Demokratie braucht ein unverfügbares Gegenüber („Theonomie“), um ihre aufgeklärte Menschlichkeit („Autonomie“) nicht zu verlieren.

Ein genannter Gottesbezug ist eine Vergewisserung: Jeder Mensch hat eine angeborene Würde geschenkt bekommen. Und dieses Geschenk kann kein Mensch an keinem Ort und zu keiner Zeit verlieren, weil kein Mensch, sondern der Geber dieser bedingungslosen Gabe außerhalb des menschlich Denkbaren liegt. Manche nennen es „Zufall“; aber vielleicht ist ja der „Zufall“ eine Möglichkeit Gottes, durch die Achtung der unantastbaren Würde seiner Geschöpfe zu wirken.

Schließlich weist der Gottesbezug alle Menschen auf eine letzte Verantwortungsinstanz hin: Auch der mächtigste Machtmensch, der brutal und gottlos lebt, wird sich hoffentlich vor menschlichen Gerichten, aber auch eines Tages – er lebt ja nicht ewig – vor der Instanz seines Schöpfers für seine Taten rechtfertigen müssen, der keine Moralkeule schwingt, wohl aber schon jetzt nach der Verantwortung des Menschen fragt.

Für bekennende Gottgläubige ist Gott kein abstraktes Objekt, keine leere Formel, kein Instrument der eigenen Wunscherfüllung, sondern ein freies handelndes Subjekt in allen Lebenslagen.

Für Nichtgläubige bietet die aufrichtige Nennung des Gottesbezuges die Möglichkeit, den eigenen Kopf von Allmachtsphantasien zu befreien und auf dem Teppich zu bleiben – kein alter Zopf, sondern ein attraktives Aussehen einer Gesellschaft mit menschlichen Gesichtern und klugen Köpfen, die eine wehrhafte Demokratie so nötig braucht.

Burkhard Budde

 

„Einfrieren“?

„Einfrieren“?

Moment mal

„Einfrieren“ wäre Selbstaufgabe

Von Burkhard Budde

Leserbrief (veröffentlicht am 18. April 2024) zum Kommentar „Selenskyjs Hilferuf“ von Reinhard Veser (F.A.Z. 12. April 2024)

Demokraten gedankt

Demokraten gedankt

Moment ml

Demokraten gedankt

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Demokratie lebt von Demokraten – Danke!  

Im Fluss des Lebens sollte das Rauschen eines Wortes nicht überhört werden. Es ist zwar kein Zauberwort, wohl aber ein Schlüsselwort, um eine positive Dynamik zu entfachen: Die fünf Buchstaben des Wortes „Danke“ können Wertschätzung zum Ausdruck bringen, aber auch Herzen, Köpfe und Hände öffnen und bewegen, wenn dieses Schlüsselwort nicht berechnend oder heuchlerisch, sondern ehrlich und aufrichtig gemeint ist.

Es gibt viele Gründe, aufrichtig dankbar zu sein; zum Beispiel:

Dass es Menschen gibt, die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich engagieren, sich begeistert einbringen, um andere zu begeistern, Flagge zeigen und Verantwortung übernehmen. Und nicht ständig miesepetrig auf die Uhr schielen, mit neidischem Blick vergleichen und andere ausbremsen oder das Haar in der Suppe suchen.

Dank für überzeugenden Einsatz ist sowohl im Blick auf die Zivilgesellschaft als auch auf die Demokratie notwendig.

Unsere Demokratie lebt von überzeugten Demokraten. Nicht von Zuschauern, die meinen, dass sie die besseren Flussschwimmer sind, aber nur am Ufer hocken bleiben. Nicht von Mitschwimmern, die sich selbst nicht anstrengen, aber im Wasser von anderen getragen werden wollen. Nicht von Schwimmmeistern, die in ihr eigenes Spiegelbild auf der Oberfläche des Flusswassers vernarrt sind. Oder von Moralaposteln, die meinen über dem Fluss zu schweben und sich erst gar nicht ins erfrischende Wasser der Wahrheitssuche begeben, weil sie ja ohnehin wissen, welches Wasser sauber und welches verschmutzt ist.

Dem kritischen Bürger sei vielmehr gedankt, weil er die Werte der Demokratie wie Freiheit und Vielfalt, Eigenverantwortung und Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung im Rahmen des Rechtsstaates verteidigt und vor allem mitten im Fluss (vor-)lebt. Und weil er eine parlamentarische Demokratie von einer Gewalt- und Willkürherrschaft unterscheiden kann.

Neben dem Dank für das Engagement in der Zivilgesellschaft gehört auch der Dank für den Einsatz in einer demokratischen Partei. Demokratische Parteien sind keine eiskalten Machtmaschinen jenseits von Gut und Böse. Sie bieten vielmehr auf der Grundlage ihres jeweiligen Selbstverständnisses beständige Kommunikationsräume, in denen Mitglieder versuchen, unterschiedliche Werte, Interessen und Meinungen zum Ausgleich zu bringen, um der Öffentlichkeit ein Politikangebot zur Gestaltung des Gemeinwesens zu machen. Demokratische Parteien schlagen Brücken zwischen Staat und Gesellschaft und „wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ (Grundgesetz Artikel 21 Absatz 1) So können sie im Wettbewerb mit anderen Parteien dauerhaft und kontinuierlich Motor des gesellschaftlichen und politischen Fortschritts innerhalb und außerhalb von Parlamenten und Regierungen sein.

Es gibt darüber hinaus Gründe, dem Fluss selber bzw. seiner Quelle dankbar zu sein, im Fluss seine „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ (Präambel des Grundgesetzes) ernst zu nehmen. Die Urquelle allen Lebens kann verborgen, versteckt, vergessen sein – oder einfach ignoriert werden. Aber ohne diese Quelle des Lebens gäbe es keinen Lebensfluss. Und vor allem ist der Glaube an Gott wie ein Leuchtturm in stürmischen Zeiten: Als Gottes Geschöpf muss ich nicht selbst zum allmächtigen Gott werden; als sein Ebenbild nicht würdelos; als sein Beauftragter nicht perfekt; als Glaubender kann ich vielmehr mit Gottes schöpferischem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit rechnen. Ich bleibe stets Mensch mit Rückgrat, der auch gegen den Strom der Zeit schwimmen und seinen Kopf über die Wasseroberfläche halten kann, weil er selbstständig denkt und – getragen vom Waser des Lebens – in dankbarer Haltung seine Verantwortung wahrnimmt. 

Burkhard Budde

Der Artikel basiert auf einem „geistlichen Wort“, dass der Autor zu Beginn des Landesparteitages Braunschweig in Goslar am 13. April 2024 gehalten hat.