Sterne

Sterne

Moment mal

Faszination Sterne

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Faszination Sterne 

Sie können führen, manchmal auch verführen. Am nachtschwarzen Himmel leuchten Sterne, die Orientierung schenken wollen und die Seele zärtlich berühren können. Das Himmelszelt mit Millionen funkelnder Sterne zieht magisch an, lädt zum Staunen ein, macht demütig und bescheiden angesichts der grenzenlosen Weite, der unendlichen Tiefe, der unerreichbaren Ferne und der unbeschreiblichen Schöpferkraft und Dynamik des Universums.

Doch auch hier auf Erden blinkt und flimmert es. Nur dass der Griff nach den Sternen beim Flunkern und Täuschen ins Leere gehen kann, nur Eitelkeit, Ohnmacht und Vergeblichkeit offenbaren. Wie Möchtegernsterne zeigen, die mit hohlem Pathos ihrer Scheinwahrheiten prahlen und sich gerne ins Licht ihrer fanatischen Anhänger baden, schneller verglühen als sie aufgegangen sind.

Doch ist dies nicht zugleich das Schicksal aller menschlichen Sterne: Aufzugehen und zu strahlen, Leuchtkraft zu gewinnen und auf Dauer wieder zu verlieren, von anderen Sternen überstrahlt, an den Rand gedrängt und in den Schatten gestellt zu werden, zu verdunkeln und in der ewigen Finsternis zu verschwinden, aus der die Sterne einmal das Licht der Welt erblickten?

Dennoch oder gerade deshalb bleibt die Sehnsucht groß: Wo finde ich meinen Stern, der mir in meiner einsamen Nacht wenigstens zeitweise Nähe und Wärme, Halt und Orientierung bietet, der über sich selbst hinausweist und mit dem ich wertschätzende sowie sinnstiftende Gemeinschaft habe?

Was die zwei Menschen entdecken, dass in sternklarer Nacht Sterne ihrem Liebesglück auf die Sprünge helfen, ohne dass sie dabei kopflos werden. Sie staunen über die grenzenlose Offenheit und die ständige Bewegung nach allen Seiten und Richtungen. Sie verspüren immer deutlicher einen geheimnisvollen Glanz in ihrem Inneren. Sie öffnen ihre Herzen füreinander und finden so ihr unbeschreibliches Glück. Beide haben kein emotionales Blitzlichtgewitter erlebt, auch kein kurzes Feuerwerk der Gefühle, sondern ein verbindendes Geschehen, ein ganz persönliches Echo des Himmels in ihren durch Liebe entzündeten Herzen.

Himmel und Erde berühren sich zudem im Glauben an den Schöpfer aller Sterne. Der Leitstern der Weisheit Gottes erinnert daran, dass das Wissen aller Sterne und das Wissen über alle Sterne endlich und vorläufig ist, dass kein Mensch ewig lebt, vor allem dass das Wissen des Menschen die Frage nach dem letzten Sinn der dynamischen und noch nicht vollendeten Schöpfung nicht ersetzt.

Die Empfehlung der biblischen Botschaft lautet deshalb: Verlass dich lieber auf den „Stern von Bethlehem“, der auf Jesu Geburt hinweist. Und auf ein Lebensmodell, in dem die Geschöpfe vor ihrem Schöpfer auf die Knie gehen, um von ihm selbst wieder aufgerichtet zu werden. Damit sie ihre Würde, ihre Demut und ihren Mut, ihren Realismus und ihre Gelassenheit, ihr Rückgrat und ihre Besonnenheit, ihre Zuversicht und ihre Freude behalten sowie ihre persönliche Verantwortung als Teil der Schöpfung wahrnehmen. Und sich als von Gott Befreite von den Fesseln falscher und verführerischer Sterne zu einem neuen Leben befreien.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch in der Kolumne „Auf ein  Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters am 3.12.2023

 

Goslarer Rede

Goslarer Rede

Moment mal

Freie Demokratien

Von Burkhard Budde

Richter Peter Müller (l.) beim Empfang nach seiner Festrede.

Demokratie braucht Demokraten

Richter Müller hielt Goslarer Rede 2023 

Demokratie braucht Demokraten. Und den Rechtsstaat, um als Staats- und Lebensform auf Dauer existieren zu können. Freiheit und Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde, seien keine Selbstverständlichkeit. Weltweit, so Peter Müller, Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, lebten weniger als ein Viertel der Menschen in einer freien Demokratie, die es nur im Doppelpakt mit dem Rechtsstaat gebe. 

Demokratien seien zudem auf dem Rückzug, sagte Müller in der diesjährigen „Goslarer Rede“ zum Thema „Wandelt sich die Zeit gegen die Demokratie“ vor 185 Teilnehmern auf einer Veranstaltung der Konrad- Adenauer-Stiftung am 22. November im Goslarer „Achtermann“. Als Beispiele des Abbaus demokratischer Freiheiten durch populistische und autokratische Bewegungen nannte der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes (von 1999 bis 2011) u. a. die Türkei und Ungarn, aber auch die AfD in Deutschland. 

Peter Müller empfahl, die Herausforderungen beim Namen zu nennen. Das Diktat des „Political Correctness“ dürfe die Probleme nicht unter den Teppich kehren, die sonst giftiger würden. Prioritäten müssten definiert und dann müssten Konsequenzen gezogen werden. 

Ferner erinnerte der Festredner an das christliche Menschenbild sowie an Prinzipien als „Grundlage der deutschen Erfolgsgeschichte“. „Gerechtigkeit“ z.B. dürfe nicht mit „Gleichheit“ verwechselt werden. Sie sei zudem mehr als Generationengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit. Zur Gerechtigkeit gehöre auch die Leistungsgerechtigkeit. 

Der Staat habe nicht nur eine Verpflichtung für die „Schwachen“, sondern auch eine für die Entwicklungsmöglichkeiten der „Starken“, damit gegenwärtige Probleme nicht auf künftige Generationen übertragen würden und das Land durch die Abschaffung der Leistung keinen weiteren schleichenden Abstieg erfahre. Ein anstrengungsloser Wohlstand, so Müller, sei eine Illusion. Und das bewährte Prinzip der „Subsidiarität“ bedeute „Privat vor Staat“ und damit Stärkung der Eigenverantwortung in allen gesellschaftlichen Bereichen. 

Ein starker Rechtsstaat, in dem alle Bürger die Gesetze einhalten müssten, weil das Motto „Not kennt kein Gebot“ sowie „Der Zweck heilige die Mittel“ falsch seien, habe ein Gewaltmonopol, um sich um die innere und äußere Sicherheit seiner Bürger zu kümmern. 

Scharf kritisierte Peter Müller, der an dem aktuellen Karlsruher Urteil zum Nachtragshaushalt der Bunderegierung mitgewirkt hatte, den „strammen Marsch“ in den Schuldenstaat, der zu Lasten der Kinder und Enkelkinder versuche, gegenwärtige Probleme zu meistern: Die Zinslast des Bundeshaushaltes sei auf 40 Milliarden Euro im letzten Jahr gestiegen; die 29 Sondervermögen von heute würden Rückzahlungen bzw. eine Zinslast von 80 Milliarden Euro ab 2030 bedeuten. Sondervermögen seien kein „Vermögen“, sondern Schulden, die Spielräume politischer Gestaltung in der Zukunft einschränkten. Es sei seitens der Regierung verfassungswidrig gewesen, den Haushaltsplan 2021 im Jahr 2022 rückwirkend zu ändern, um die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu umgehen. Der Klima- und Transformationsfons werde als eine „Art Eier legende Wollmilchsau“ angesehen. 

Besserwisserei und Ideologien seien jedoch keine Alternativen, sondern schlechter als vernünftige und kluge Lösungen, meinte Staatsbürger Peter Müller, der allen Zuhörern Mut machte, den Druck auf die Demokratie angesichts der vielen Krisen auszuhalten, nicht zu verzagen, sondern mit Begeisterung und Entschlossenheit sowie selbstbewusst anzugehen. 

Ein Schlusswort der „Goslarer Rede“, die jedes Jahr an den CDU Gründungsparteitag im Oktober 1950 in Goslar erinnert, das viele Demokraten bewegte; u.a. Christoph Bors, Landesbeauftragter der Konrad- Adenauer- Stiftung in Niedersachsen und Gastgeber, Ralph Bogisch, Ratsherr der Stadt Goslar und Kreisvorsitzender der CDU, Christoph Plett, Mitglied des niedersächsischen Landtages und Landesvorsitzender der CDU Landesverband Braunschweig, Carsten Müller, Mitglied des Bundestages und Kreisvorsitzender der CDU Braunschweig, Prof. Dr. Reza Asghari, Professor für High-Tech Innovation & Entrepreneurship an der TU Braunschweig und Ostfalia Hochschule, Senatorin a.D. Kathrin Weiher aus Bad Harzburg sowie Florian Schmidt, FDP- Kreisvorsitzender aus Goslar. 

Burkhard Budde

Alter

Alter

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Jung bleiben?

von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Wann bin ich alt? 

Bin ich jetzt alt? fragt ein 70jähriger. Was kann man ihm antworten? Ist das Alter eine nackte Zahl, ein Termin in seinem Lebenskalender? Oder sein persönliches Gefühl, im Körper eines 50jährigen zu leben, was nichts oder nur wenig mit der Zahl 70 zu tun hat? Aber wieviel Jahre muss er dann auf dem Buckel haben, damit das Etikett „alt“ auf seine Stirn passt? Und spielt es bei der Altersfrage keine Rolle, ob ein Mensch geizig oder verschwenderisch mit seinen Lebensjahren umgegangen ist, die Zeit sinnlos totgeschlagen oder sinnvoll erlebt hat?

Manche Menschen erfahren ihr Alter oder ihr Altern als eine Art Abstellkammer: Sie begeben sich vom pulsierenden Leben freiwillig ins Abseits oder werden von anderen ins Abseits gestellt, weil ihre Leistungen angeblich nicht mehr ausreichen oder ihre Erfahrungen angeblich nicht mehr gebraucht werden. Sie mischen nicht mehr mit oder nur noch, wenn sie gerufen werden, worauf sie allerdings nicht warten sollten.

Für andere ist das Alter nach dem Berufsleben wie eine Art Jungbrunnen: Sie tauchen ein in neue Tiefen und Weiten des Lebens, entdecken faszinierende Dinge des Genusses und des Konsums, von denen sie vorher nicht einmal geträumt hatten. Oder sie können jetzt das tun, was sie ein Leben lang nicht oder nur selten machen konnten. Kein Terminplan und kein Pflichtenkatalog kann sie mehr zwingen, auf ein bewusstes und lustvolles Leben zu verzichten.

Natürlich altert jeder Mensch anders, weil alle Menschen verschieden sind. Der eine kann stur und eiskalt werden; ein anderer gütig und feinfühlig. Der eine wird unruhig, weil er getrieben wird, nichts zu verpassen und nicht anerkannt zu werden; der andere ruht immer mehr in sich, arbeitet an sich, wird gelassen und besonnen, hilfsbereit. Und immer können (Alters-) Krankheiten überraschende Spielverderber sein.

Wirklich alt wird ein Mensch wohl erst, wenn er die Zugbrücke der Burg seines Lebens hochzieht, um soziale Kontakte zu meiden; wenn er seine Überzeugungen einfach über die Reling seines Lebensbootes wirft, sie nicht mehr argumentativ vertritt, aktualisiert, erneuert oder ggfls. korrigiert; wenn sich seine Verantwortung im Leben und für das Leben wie Zucker im Tee auflöst, obwohl seine Gesundheit mitspielt und er vor allem gestaltungsfähig ist und enkeltaugliche Ideen hat.

Allerdings kann ein Mensch auch sein eigenes Denkmal – sein Lebenswerk – zerstören, wenn er ihn überfordernde Aufgaben nicht loslässt, um das Wunder der Verjüngung durch Reife zu empfangen.

Und dann drängt sich noch eine Realität auf: Am Eingangsportal des Universitätsgebäudes der Lutherstadt Wittenberg befindet sich ein junger Mann mit einer Sanduhr und einem Totenschädel. Die Inschrift verdeutlicht eine bleibende Botschaft: „Hodie mihi, cras tibi“ („Heute mir, morgen dir“). Der Tod interessiert sich nicht für das konkrete Alter, auch nicht für Geburtsurkunde, Geldbeutel, Titel, Reputation, Fachwissen und Kompetenz oder den sozialen Status. Doch im Lebenswissen um Vergänglichkeit, Endlichkeit, Brüchigkeit und Eitelkeit kann jenseits von Altenkult und Jugendwahn ein fruchtbares Miteinander auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Nutzen gelingen. Dann wird die Frage nach Jahren – „zu jung“ oder „zu alt“? – von der Frage nach der nachhaltigen Qualität  – „Sinnerfüllung und Gewinn?“ – abgelöst.

 

Burkhard Budde

Zehntes Gebot

Zehntes Gebot

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Neid als Gift

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Furcht vor Neid? (Zehntes Gebot)

Zehn Lebensperspektiven begründen das Zusammenleben, stärken den Zusammenhalt und erneuern das Zusammenbleiben: Die Zehn Gebote gehören zur einheits- und sinnstiftenden Schatzkammer von Juden und Christen. Sie sind jedoch auch eine Einladung an Andersdenkende, in den Raum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einzutreten, um neue Entdeckungen sammeln zu können –  vielleicht auch ein glückseliges Leben in der letzten Geborgenheit bei und durch Gott sowie in der Verantwortung vor Gott und dem Nächsten zu führen.

Die zehnte Perspektive lautet:

Du sollst deinen Nächsten nicht beneiden. 

Niemanden beneiden? 

Eine mögliche Antwort ist:

Weil Gott will, dass sich jeder Mensch mit seinen Gaben und Aufgaben entwickeln kann. 

Dein Leben wird beseelt, gewinnt Sinn und Liebe, wenn du deine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, Bedürfnisse und Erwartungen, Träume und Ziele entdecken, wahrnehmen und entwickeln kannst, aber auch faire und gerechte Lebenschancen anderen Menschen zubilligst. Der Neidische, der ständig vergleicht, über sein eigenes Unglück todtraurig und über das Glück des anderen todunglücklich ist, bremst nicht nur den Beneideten in seiner Entwicklung aus, sondern schadet sich auch selbst und der Gemeinschaft, weil er den eigenen und fremden Fortschritt bremst und Lebensqualität vernichtet. Wer jedoch die Leistung, den Erfolg und das Können, das Sein und Haben seines Mitmenschen schätzt, als gerecht erkennt und als positiv anerkennt, bekennt sich zu einem gemeinsamen Leben, in dem ein glaubwürdiges Vorbild zum anspornenden Leitbild in Freiheit und Verantwortung erlebbar wird – als menschliches Abbild des Willens Gottes, der eine gemeinsame Zukunft verspricht. 

Aber wenn der Neider seinen Neid, der ihn selbst und andere schleichend lähmt und das Seelenleben zerstört, nicht merkt oder verdrängt? Der Beneidete aus Furcht vor neidischen Blicken sein Glück lieber versteckt oder gar seine Hände in den Schoß legt? Aus einem Beneideten ein Neider wird? Oder der Neider zum Beneideten?

Ein kleiner Fisch wollte groß und größer werden. Ständig schielte er nach dem großen Fisch in seiner Nähe. Das fremde Glück erschien ihm als sein Unglück. Er verspürte quälende Stiche: Warum bin ich nicht so schön? Warum kann ich nicht so schnell schwimmen? Warum habe ich nicht so viel Nahrung? Warum hat mich keiner zum Fressen gern? Das dauernde und übertriebene Vergleichen nagte an seinem Selbstwertgefühl. Und zerstörte jegliche seiner Beziehungen, weil er nur noch das Fiese und Ungerechte kannte, vor allem selbst ungenießbar wurde, selbst wenn er die schöne Maske des Bescheidenen und des Höflichen aufsetzte.

Der große Fisch jedoch, der im Lichte der Sonnenstrahlen manchmal meinte, er sei etwas ganz Besonderes oder sogar Besseres, und dieses Denken auch nicht verheimlichte, verspürte ein schleichendes Gift: Immer häufiger die Freude des kleinen Fisches über sein Unglück und die Trauer über sein Glück. War seine Existenz bedroht? Er überlegte: Sollte er nicht lieber im Schwarm unauffällig mitschwimmen? Oder sich vom kleinen Fisch entfernen, um an anderer Stelle sein Glück zu suchen?

Andererseits: Werden nicht alle Fische im weiten Meer der kostbaren Vielfalt gebraucht? Der Neider, wenn er sich z. B. auf seine Stärken und Aufgaben konzentriert und seine eigenen Chancen wahrnimmt. Und der Beneidete, wenn er z. B. für frisches Wasser sorgt und seine Taten nicht von neidgetränkter Engstirnigkeit miesmachen lässt?

Beide Fische sollten das Wasser, in dem und von dem sie leben, nicht trüben. Ihre Augen können wieder staunen, bewundern und strahlen, wenn sich jeder Fisch in seiner Sinnhaftigkeit und Liebenswürdigkeit von seinem Schöpfer unabhängig von seinen Werken gewürdigt weiß.

Burkhard Budde

Veröffentlicht am 19.11.2023 in der Kolumne „Auf ein Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters

St. Martin

St. Martin

Moment mal

St.Martin heute

Von Burkhard Budde

 

Das Foto zeigt die Szene der Mantelteilung des Martinaltars aus dem 15. Jahrhundert in der Martinskirche in Spenge (Kreis Herford). Zwei Bettler sind dargestellt; ferner eine Person mit einem Holzbein sowie eine offensichtlich blinde Person. Alle vier Menschen, die auf verschiedene Notlagen hinweisen, erwarten etwas vom Ritter. Im Hintergrund erscheint ein zweiter Ritter, der betet. Offensichtlich ein Hinweis auf die Tat der Nächstenliebe, die im Horizont der Gottesliebe geschieht.

Essay

Ritterliche Verantwortung

St. Martin und die Politik

Wer bist du eigentlich? fragt ein Mensch neugierig den Ritter auf dem Pferd, der ein Schwert in der Hand hält.

Bist du ein Sonderling aus ferner Zeit, weil du deinen Mantel mit einem frierenden Bettler ganz spontan geteilt hast? Und heute eine Lichtgestalt, weil du in sozialer Kälte und menschlicher Herzlosigkeit erhellende und wärmende Zeichen der Solidarität setzt? Oder bist du ein Soldat aus dem 4. Jahrhundert, der später Mönch und dann Bischof von Tours in Frankreich geworden ist, der eine aktuelle Projektionsfläche von Ängsten und Hoffnungen darstellt?

Denn welcher Mensch will schon einem Scheinritter mit einem Heiligenschein begegnen? Und eine Gänsehaut bekommen, wenn dieser Ritter aus Fleisch und Blut sich selbst für etwas Besseres hält, sich zwar im Gewand eines religiösen Wohltäters inszeniert, aber scheinheilig ist? Der von Liebe ständig redet, sie ins Schaufenster stellt, tatsächlich jedoch nur an sich und an sein Geschäftsmodell denkt? Der gerne Mäntel verteilt, die ihm nicht gehören, und dabei seinen eigenen Mantel noch nie in Frage gestellt hat?

Und wer will nicht vor einem aggressiven Raubritter mit Scheuklappen geschützt und verteidigt werden? Vor einem „Ritter“ mit eiskaltem Herz und brutaler Faust, der hilfloses und unschuldiges Leben auslöscht, der Menschen demütigt und in Angst und Schrecken versetzt? Der Gewalt verherrlicht, Gewaltorgien feiert und sich dafür bejubeln lässt? Dessen Hass tief im selbstgerechten und vergifteten Boden fanatischer Verblendung, religiöser Ideologien, feindseligen Neides und versteckten Selbsthasses wurzelt? Aber immer für die „gute und göttliche Sache“ kämpft, wenn Anderslebende und „Ungläubige“ zum Sündenbock gemacht, angegriffen, ausgegrenzt oder rücksichtslos ermordet werden?

Durch das Vorbild Martin von Tours jedoch, an den jährlich am 11. November erinnert wird, können aufgeklärte Menschen und demokratische Rechtsstaaten, die der Würde des Menschen und den Menschenrechten verpflichtet sind, zur klugen und empathischen Wehrhaftigkeit sowie glaubwürdigen Abschreckung und Prävention ermutigt werden.

Martin hat sein Schwert nicht aus der Hand gegeben:

Wenn die Existenz und Souveränität eines Staates auf dem Spiel stehen, ist ein starker Rechtsstaat gefordert, der bei einem Verteidigungskrieg sich im Rahmen von Recht und Gesetz bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit des Gewalteinsatzes effektiv zu wehren weiß.

Judenhass, Israelfeindschaft und Antisemitismus sind in Deutschland, wo das Gewaltmonopol gilt, mit dem scharfen Schwert des Rechts zu bekämpfen. Vor allem Bürger, die das Schwert der aufgeklärten und gebildeten Vernunft in die Hand nehmen, kämpfen mitten im Alltag mit Rückgrat und Zivilcourage für gelebte Demokratie statt Theokratie, für das friedliche Austragen von Konflikten nach Regeln statt Austragen von Konflikten nach dem Gesetz des Dschungels, für Gleichberechtigung und Gleichstellung statt Ausgrenzung und Diskriminierung, für historisches Wissen und Lernen, vor allem für historische Verantwortung statt die Pflege von Vorurteilen und Feindbildern.

Martin hat seinen Mantel nicht abgegeben; er hat ihn „nur“ geteilt:

Über seine Möglichkeiten und sein Können hinaus kann keiner – weder ein staatlicher noch ein bürgerlicher Ritter – verpflichtet werden, großzügig und hilfsbereit zu sein. Und es ist sozialpolitisch auch keine Hilfe zur würdevolleren Selbsthilfe, wenn ein Bettler immer abhängiger vom Helfer oder auf Dauer aus einem Ritter ein „Bettler“ wird, weil er keine Mäntel mehr produzieren kann.

Ein kluges und empathisches Teilen des Möglichen, um in einer konkreten Situation die Not zu wenden, ist – jenseits von panischer Angst vor Verlust und schwärmerischem Übermut durch Naivität – ein Ritterschlag christlicher Liebe und Verantwortung vor Gott und dem Nächsten. Er mobilisiert auch humane, solidarische und kritische Gegenkräfte gegen Bosheiten wie Dämonisierungen und Entmenschlichungen, damit ein gerechter und nachhaltiger Frieden in Freiheit und Sicherheit wieder eine Chance erhält.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster am 12.11.2023