Kleiner Wurm

Kleiner Wurm

Moment mal

Kleiner Wurm

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Der kleine Wurm 

„Bin ich fähig zur großen Liebe?“ fragte sich der kleine Wurm in einer ruhigen Minute. Da es ihn wurmte, im Nebel zu stochern, kroch er los, um eine Antwort irgendwo und irgendwie zu finden.

Da begegnete ihm ein schillernder Käfer. „Darf ich dich etwas fragen?“ sagte der Wurm. Aber der Käfer winkte ab. Er habe keine Zeit, raste weiter, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, weiter als Mitgeschöpf zu beachten, geschweige denn mit seinem Anliegen zu achten.

Der kleine Wurm war zwar schüchtern, aber er suchte schon Gewissheit. Da tauchte plötzlich eine gefährliche Schlange mit einer gespaltenen Zunge auf. Der kleine Wurm erschrak. Er vergaß sehr schnell seine Frage, die ihn antrieb, wollte nicht gebissen werden und versuchte sich zu tarnen. Zum Glück hatte die anspruchsvolle Schlange überhaupt kein Interesse an dem kleinen Wurm, der nicht auf ihrem Speiseplan stand, ihr offensichtlich zu klein und zu unbedeutsam erschien.

Nach diesem Schrecken hatte der Überlebenskünstler eigentlich die Nase voll und wollte die Suche nach einer Antwort auf seine Frage aufgeben. Da sprach ihn ein Zwerg an, der von mächtigen Riesen zum Wurm gemacht worden war. „Du kommst gerade Recht. Kannst du nicht in die Herzen der Mächtigen kriechen?“ Aber der leicht verletzbare Wurm durchschaute, dass der Zwerg an Rachegefühlen oder vielleicht auch an Neidgefühlen nagte und ihn nur als Racheengel gebrauchen wollte. Und kroch weiter, weil er wusste, dass es auch Scheinriesen gibt, ein Zwerg auch giftig sein kann, vor allem jedoch, weil er immer noch an das Gute, an die große Liebe glaubte.

Der kleine Wurm verschwand in einem Apfel, der auf der Erde lag und ließ es sich schmecken. Da kam ein Tier auf zwei Beinen daher, hob den Apfel auf und warf ihn auf eine Wiese. Nein, der Wurm behauptete nicht, er könne jetzt fliegen, aber er zitterte an seinem ganzen weichen Körper.

Eigentlich hatte der Wurm in seinem Leben viel Glück gehabt. Ihm fehlten die Füße und doch kam er voran. Ihm fehlten die Fühler und doch konnte er Fingerspitzengefühl entwickeln. Ihm fehlte das Skelett und doch konnte er Rückgrat zeigen. In seinem Inneren herrschten jedoch Angst und Sorge, nicht zu überleben – vor allem vor den Vögeln aus der Höhe des Lebens, die seine Tiefe mit seinen Herausforderungen und Anforderungen selten nur kennenlernten, aber einen zusätzlichen Leckerbissen nicht verschmähten. Und vor den Anglern, die um ihres Erfolges und ihrer Anerkennung willen Würmer als schmackhafte Köder für wohlschmeckende Fische gebrauchten, als wären Würmer nur Mittel zum Zweck und hätten keinen Eigenwert.

Erst als der Wurm entdeckte, dass in jeder Beziehung und jedem Lebewesen – nicht nur in ihm selbst – der Wurm der Angst, nicht geliebt zu werden, stecken kann, fand er zu sich selbst und seiner Mitwelt. Und als er eines Tages schwer erkrankte und ein kleines Kind ihn von der Erde aufhob, zwischen seine Finger nahm, ohne ihn zu zerquetschen, ihn liebevoll ansah, fürsorglich ansprach und dann wieder ins Gras legte, ihm eine neue Chance zum Leben gab, verspürte er etwas von der schöpferischen und sinnstiftenden Liebe, die mehr als nur Überleben ist, und die er gesucht hatte. Die Gewissheit wuchs, dass er schon immer war, was er auch bleiben wird: Ein kleines Wesen mit angeborener und unverlierbarer Würde, weil unendlich geliebt, befähigt zur Besonnenheit und Vernunft – und zur Liebe.

Burkhard Budde

Menschlichkeit

Menschlichkeit

Moment mal

Menschlichkeit

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort 

Menschlich bleiben

Amor, kein Unbekannter, begehrte Einlass. Doch die beiden Götter waren sich einig: „Den brauchen wir hier nicht“. Nur lernen, das dürfe er. Also hörte der kleine Gott der schalkhaften und überraschenden Liebe  den beiden Mächtigen zu.

Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, erklärte stolz ihre Aufgaben. „Ich bin unabhängig und sorge für Fairness. Schau dir diese Augenbinde an. Wenn ich sie trage, kann ich leichter ohne Ansehen der Person urteilen; wenn ich sie nicht trage,“ schmunzelte sie, „dann kann ich leichter in der Gleichheit aller vor dem Gesetz die Ungleichheit der Menschen entdecken“. Und welche Bedeutung hat die Balkenwaage? „Wenn ich jedem gerecht werden will, muss ich abwägen, Bedingungen und Entwicklungen berücksichtigen.“ Doch auch sie müsse sich dabei stets an Recht und Gesetz halten. „In diesen Büchern“ – und sie hielt Amor das Grundgesetz und Gesetzesbücher unter die Nase – „findest du Maßstäbe und Regeln, – den Rahmen, an den sich alle, auch ich selbst, halten müssen, damit  der Zusammenhalt bei aller Vielfalt und ein friedliches Miteinander möglich wird “.

Als Amor  versehentlich ihr Schwert, das sie in der rechten Hand hielt, berührte und dabei erschrak, sagte Justitia nachdenklich: „Ohne harte Strafen, die konsequent durchgesetzt werden, würde ich zum zahnlosen Löwen“. Doch mit dem Schwert der Urteilskraft gelinge es, leichter den Buchstaben vom Geist des Gesetzes sowie Recht und Unrecht  zu unterscheiden. Auch gehöre es zu ihren Aufgaben, die Schlange – Justitia stand mit einem Fuß auf ihr – daran zu hindern, ihr Gift des Neides, des Hasses und der Gier sowie des Gesetzesbruches zu verbreiten. Ungerechtigkeit und Unrecht zu überwinden und Gerechtigkeit, die ausgleicht und austeilt zu ermöglichen, sei ihr Ziel.

Jetzt erhob Libertas, die Göttin der Freiheit, ihre Stimme. „Ich vertrete ein natürliches Recht, das alle haben. Auch du, Amor, darfst deine Meinung unbefangen sagen, ohne Furcht vor Ersatzgöttern oder Halbgöttern, die keine anderen Götter neben sich oder sonstige Konkurrenz dulden. Setz diesen Hut auf als ein Zeichen, dass du kein unmündiger Sklave bist, auch kein unkritischer Mitläufer einer Religion, Moral, Weltanschauung oder einer Gruppe, sondern dass du ein aufgeklärter Sohn der Selbstbestimmung sein willst, der einen eigenen Mund hat und sein Leben eigenverantwortlich gestalten will.“ Wie eine Eule voller weiser Warnungen, ohne Eulen nach Athen tragen zu wollen, sprach Libertas noch von „Goldenen Zügeln“, „ideologischen Scheuklappen“, „Maulkörben“ und „Scheren im Kopf“, die es zu vermeiden gelte, um im Meinungskampf als Freier bestehen zu können.

Und dann reichte Libertas Amor noch ein Schwert, das dem Schwert der Justitia ähnelte, damit er frei von bevormundenden Lehren, leeren Normen, falschen Behauptungen  oder willkürlichem Handeln bleibe und im Kampf um die Freiheit gerüstet sei, Chancen-, Leistungs-, Bedarfs- und Generationengerechtigkeit zu suchen und umzusetzen. Als Amor irritiert wirkte, ergänzte Libertas: „Mit diesem Schwert der freien Vernunft kannst du Sachkritik von Schmähkritik unterscheiden, die Freiheit vor Beleidigungen, Hetze und Gewalt verteidigen sowie die Freiheit Andersdenkender sichern.“ Und dann kam ein weiser Satz: Vor allem solle Amor sein Selbst finden, wahren und entwickeln, stets die Freiheit im Respekt vor der Freiheit des anderen wählen.

Doch Armor, der genau zuhörte, trug eine Augenbinde. Als er sie abnahm, sah er keine Götter, sondern Menschen, die sich in ihrer Geschaffenheit, Unvollkommenheit und Begrenztheit nach einem Gott der Liebe sehnten. Und er traf mit zwei Pfeilen das Herz dieser Geschöpfe und Ebenbilder Gottes, damit sie mit hingebender Leidenschaft und persönlicher Verantwortung ihre Aufgaben wahrnehmen konnten. Denn nur mit coolem Kopf und brennendem Herzen werden aus Worten lebendige Taten.

Und auch ein Machtmensch bleibt ein Mensch.

Und Menschlichkeit ist keine Schwäche, sondern Stärke.

Burkhard Budde                       

Feindesliebe

Feindesliebe

Moment mal

Feindesliebe?

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Den Feind lieben? 

Bei einem eiskalten Engel bekommt man schnell eiskalte Füße. Verständlich, wenn sich viele vom Acker machen. Bei einem geistlosen Fanatiker, der sich auch nicht von der kritischen Vernunft begeistern lässt, erscheinen Gespräche zwecklos. Und bei gut getarnten Maskenträgern besteht stets die Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden.

Die Ohren dieser „Typen“, die manchmal auch in ein und derselben Person wüten, bleiben bei Appellen, sich doch anständig und zivilisiert zu verhalten, verschlossen. Und auch Christen sind keine Unschuldslämmer, insbesondere wenn man an die Forderung Jesu denkt, den „Markenkern“ seiner Botschaft: Liebet auch eure Feinde. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was tut ihr Besonderes, das tun auch die Heiden“. (Mt 5,44ff)

Sind Christen und Nichtchristen, die sich von der „Feindesliebe“ bewegen lassen, naive Träumer, religiöse Sonderlinge, politische Außenseiter? Gehören sie zu einer weltfremden Illusionsgemeinschaft?

Man sollte Jesus, der vom Geist Gottes erfüllt war, nicht missverstehen. Seine Botschaft knüpft an Realitäten an, setzt Feindschaft voraus, kennt Hass, Neid und Gewalt, Unbelehrbarkeit, Verlogenheit und Heuchelei. Und zurzeit Jesu hätten seine Freunde sowieso keine Chance gehabt, rechtlich Gehör zu finden; sie saßen sozusagen zwischen den Stühlen des jüdischen und des römischen Rechts. Aber dennoch oder gerade deshalb erscheint es Jesus offenbar wichtig: Kein Mensch soll zu keiner Zeit und an keinem Ort zum Glauben an ihn und an Gott gezwungen werden – wohl auch nicht mit einer Moralkeule, einem religiösen Holzhammer oder einem militärischen Schwert. Seine Botschaft von der Liebe Gottes gilt vielmehr allen Menschen, sowohl Freunden als auch Feinden – wie die Sonne für alle scheint. Und kann als Geschenk nur freiwillig im Gottvertrauen ergriffen und als unantastbare Würde begriffen werden.

Aktuell gibt es viele taube Ohren: Hemmungslose Mörder und machthungrige Verbrecher, skrupellose Drogenbosse und menschenverachtende Mafiabosse verachten nicht nur Rechtsstaat und Menschenrechte, sondern lassen sich auch nicht von Lichterketten oder Gebetskreisen beeindrucken.  Scheinbar bärenstarke und aggressive  Machtmenschen, die nur das Gesetz des Stärkeren kennen, kein Mitleid mit ihren Opfern  haben, verstehen nur eine glaubhafte Abschreckung, eine starke und wehrhafte „Feuerwehr“. Und würden einen „Frieden durch Selbstaufgabe“ nur als Einladung missverstehen, weitere zerstörerische Brände zu legen.

Aber in einer demokratischen Gesellschaft kann die „Feindesliebe“ eine Relevanz bekommen – nicht als politisches Rezeptbuch, eher als ethischer Wegweiser, als realistischer Spiegel und als Quelle mutiger Kraft zum Widerspruch: Wenn z.B. gegen Andersdenkende, Andersgläubige, Anderslebende beleidigend gehetzt wird; Völkermord verharmlost oder Verbrechen verherrlicht werden; ein Mensch – auch ein „Feind“ – zu Unrecht benachteiligt oder unfair behandelt wird.

„Feindesliebe“ will das Miteinander oder Nebeneinander  weder „versalzen“ noch „salzlos“ lassen. Als ein Schwert des argumentativen Geistes kann es das ganze Leben erneuern – durch eine gewalt- und angstfreie Auseinandersetzung, durch die Unterscheidung von Sachkritik und Personenkritik, durch eine Kompromiss- und Verständigungsbereitschaft, durch den Vorrang des Rechts vor dem Gesetz des Dschungels. Auch durch die Möglichkeit, dass aus Feinden Freunde werden können. Oder dass die Boshaftigkeit der Feinde ausgehalten, vor allem in Grenzen im Rahmen von Recht und Gesetz gehalten wird. Die Macht der Bosheit soll nicht auch noch ein freies Leben vergiften, spalten und ungenießbar machen.

Und im Glauben behält Gott als letzte Verantwortungsinstanz durch den Horizont seiner schöpferischen Liebe, der keine Grenzen kennt,  das letzte Wort.

Burkhard Budde

Stimmung

Stimmung

Moment mal

Stimmung(en)

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Gute oder schlechte Stimmung? 

Gibt es Ärger mit der Stimmung? Wenn sie aufgeheizt wird und für Verstimmung sorgt? Oder wenn gute Stimmung vor Schreck verstummt und Selbstzweifel zur Folge hat?

Manche Menschen sind auch schlecht drauf, jammern und klagen, weil sie ein Ventil brauchen, um ihren Frust loszuwerden. Manchmal kommen sie schnell aus ihrem Stimmungstief heraus, werden zu Machern und Motoren; manchmal bleiben sie jedoch auch sehr lange Miesepeter, Bedenkenträger und Bremser.

Es gibt im stimmungsreichen Leben nichts, was es nicht gibt: Eine Welle von Überraschungen kann sowohl gute Laune vermiesen als auch schlechte Laune vertreiben. Die Welle kann scheinbar stabile Stimmungslagen durchtunneln, sogar an zwei Orten – auch in einem Menschen – gleichzeitig wirken.

Die Gründe für gute oder schlechte Stimmung oder für ein Wechselbad der Gefühle können zahlreich sein.

Da sitzt zum Beispiel ein Mensch begeistert auf Wolke Sieben. Hat er sich frisch verliebt? Ist er Mutter oder Vater geworden? Hat seine Fußballmannschaft gesiegt? Ist seine Leistung erkannt und anerkannt worden? Hat er offene Türen erlebt, Annahme und Versöhnung, nach der er sich sehnte? Ist er immer noch in Feierlaune?

Demgegenüber ist die Stimmung eines anderen Menschen im Keller. In der Dunkelheit seiner Seele tummeln sich seltsame Gestalten: Neidhammel, die ihm sein Glück nicht gönnen und gerne ein Bein stellen, wo es eben möglich ist. Heuchler, die Wohlwollen vortäuschen, aber hinter seinem Rücken Gehässigkeiten über ihn verbreiten. Mitmenschen, die unhöflich oder unfreundlich sind, nicht (zurück-)grüßen, sich rüde und aggressiv verhalten, Angst machen, die scheinbar ahnungslos, gelangweilt oder verbittert seinen Weg kreuzen. Und Gespenster, die plötzlich auftauchen, wenn er an seine Gesundheit oder an die Zukunft seiner Familie denkt.

Aber auch berechtigte politische (An-)Fragen können für schlechte Stimmung sorgen. Wie schwere Steine können die großen Themen auf der kleinen Seele eines Menschen lasten: Was wird aus der „Zuwanderung“, aus der „Heimat“, aus dem „Angriffskrieg Rußlands“? Wie wird sich „alles“ entwickeln – z. B. auch die Sicherheit, der Frieden und die Freiheit im eigenen Land, der Wohlstand und die Alterssicherung, die Energie-, Miet- und Lebensmittelpreise, die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt, die Klimakrise und der Energiewandel, soziale Gerechtigkeit und das Bürgergeld, die Demokratie? Werden „große Politiker“ die Sorgen der „kleinen Leute“ wahr- und ernstnehmen, vor allem verantwortbare und nachhaltige Lösungen für möglichst viele finden?

Ob Politiker oder Bürger, ob im Privaten oder Öffentlichen: Alle sollten in den Stürmen des Lebens realistisch und zuversichtlich bleiben, darüber hinaus Grundvertrauen wagen, das trägt; begründete Hoffnung nicht aufgeben, die beflügelt; schöpferische Liebe schenken, die würdigt; Vernunft nicht verachten; die erneuert; Mut fassen, um Kraft zu bekommen; Humor nicht verlieren, der befreit; Freundschaft erleben, die hilft; Gott suchen, der kein Stimmungsmacher ist, wohl aber die Quelle aller Zuversicht. Da bei ihm und durch ihn nichts unmöglich ist. Und der Glaube an ihn Berge voller Sorgen versetzen, abräumen oder erträglich machen kann.

Burkhard Budde

 

Schatzkammer Demokratie

Schatzkammer Demokratie

Moment mal

Schatzkammer Demokratie

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Schatzkammer Demokratie 

Für viele Menschen ist die Demokratie wie eine Schatzkammer. Die Möglichkeit, sich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in öffentliche Angelegenheiten einzubringen und einzumischen, mit zu sprechen, mit zu wirken, mit zu bestimmen und mit zu verantworten ziehen viele Bürger anderen Herrschaftsformen vor. Freie Bürger schätzen die Vorteile einer freien und selbstbestimmten Beteiligungsherrschaft mit demokratischen Rechten und Pflichten:

Zum Beispiel gegenüber einer Alleinherrschaft, einer Diktatur, einer Tyrannei, eines Unrechts- und Willkürstaates, selbst wenn diese Herrschaft im Gewand einer Schein- oder Schaufensterdemokratie daher kommt. Denn Untertanen haben in undemokratischen Staaten nichts zu lachen; sie müssen kuschen und nach der Pfeife der jeweiligen „Obrigkeit“ tanzen. Es gibt keine (wirklich) freien Medien, keine (wirklich) unabhängige Justiz, vor allem keine echten Wahlen und keine echte Opposition. Die selbsternannte und unnahbare Elite versucht, mit totalitären Zumutungen, mit Angst und Schrecken sowie mit Zuckerbrot und Peitsche ihre Bevölkerung zu regieren.

Oder gegenüber einer Gruppenherrschaft, einer Oligarchie, einer Herrschaft von wenigen, auch der Herrschaft einer Minderheit, die vielleicht vom Wettbewerb unterschiedlicher Personen und Ideen redet, aber ihr Erziehungsprogramm mit Denk-, Sprech-, Redeverboten sowie mit Regulierungs- und Kontrollwahn ohne Rücksicht auf die Mehrheit um- und durchzusetzen versucht. Ihre Vorherrschaft bedeutet nur einen Gewinn für die Gruppe der Gleichgesinnten oder Gleichgemachten und bringt viele Nachteile für ein selbstbewusstes Individuum. Und ein Egoismus mit Ellenbogen von Interessengruppen schadet der Entwicklung der gesamten Gesellschaft. Ideologische Verblendungen und blendende Inszenierungen verhindern den Austausch von Argumenten und Kompromissen sowie den Fortschritt, weil selbsternannte Fanatiker nicht aus ihrem selbstgeschaffenen Gefängnis eines Freund-Feind-Denkens ausbrechen.

Demgegenüber kämpfen freie und aufgeklärte sowie selbstdenkende und mündige Bürger für ihre Schatzkammer der Demokratie. Sie hat als Konsequenz aus den menschenverachtenden Erfahrungen der NS-Diktatur ein robustes Fundament, das im Grundgesetz zum Ausdruck kommt, das weder wertneutral noch weltanschaulich neutral ist, sondern in ihrer eigenen Werthaltung wie der Achtung der Würde, der Freiheits- und Menschenrechte, auch mit dem christlichen Menschenbild und der liberalen Handlungsfreiheit ethisch Farbe bekennt und politisch Partei ergreift. Insbesondere weil alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, die dem Menschen dienen soll, dessen unantastbare Würde vor aller staatlichen Gewalt steht und die die Staatsgewalt zu achten und zu schützen hat. Diese Schatzkammer kennt Sicherheitsschlösser wie den föderalen Bundesstaat statt einem gleichgeschalteten Zentralstaat oder den Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung und seinem Gewaltmonopol statt einem Polizei-, Partei-, Richter-, Nachtwächterstaat oder einer Selbstjustiz.

Diese Schatzkammer mögen und lieben viele Menschen: Sie befreit von Knechtschaft und Vormundschaft zur individuellen Freiheit in Verantwortung. Sie ermöglicht Freiheit, Vielfalt, Sicherheit und Wohlstand, Macht auf Zeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Mehrheitsentscheidungen, den Schutz von Minderheiten, Bindung an das Recht sowie Chancen-, Leistungs-, Bedarfs- und Generationengerechtigkeit. Sie schafft geordnete Spielräume, um mit anerkannten, bekannten und fairen Spielregeln sowie mit Hilfe demokratischer Institutionen das Gemeinwohl zu suchen und zu finden.

Die Schatzkammer ist nicht perfekt, sondern unvollkommen und durch destruktive Kräfte von innen und außen gefährdet. Deshalb braucht sie weniger Konsumenten und mehr mutige Mitstreiter, die sich für eine lernende und wehrhafte Demokratie einsetzen.

Die als Schatzkammer keine goldenen und unbeschwerten Zeiten, wohl aber eine Zukunft in Freiheit und Verantwortung verspricht.

Burkhard Budde