Wasser im Wein

Wasser im Wein

Moment mal

Wasser im Wein

Von Burkhard Budde

Vertrauen in der Politik nicht nur durch das Vertraute

FAZ-Herausgeber Berthold Kohler schreibt in seinem Kommentar „Saubermann Söder“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 22. März 2021, dass der Söder-Plan „für Vertrauen und Integrität“ nicht nur die „schon erkannten schwarzen Schafe in seiner Partei abstrafen, sondern auch künftig die Vermischung von Mandat und Geschäft so gut wie möglich verhindern“ soll. Dazu der Leserbrief „Wasser in Söders Wein“ in der F.A.Z am 26.3.2021: 

Ohne das Vertrauen der Bürger in die Politik einer Partei gibt es auch keine anvertraute und zeitlich begrenzte Macht-, Gestaltungs- und Führungsoption einer Partei. Der Kommentar von Berthold Kohler gießt zu Recht etwas Wasser in den Wein des Parteivorsitzenden Markus Söder, der angesichts der Vermischung von Mandat und Geschäft die Parteistatuten sowie das Partei- und Strafrecht ändern will, indem er fragt: „Wäre es nicht auch eine Nummer kleiner gegangen?“ 

Söders Einsatz in Ehren: Vertrauen kann durch Vertrautes – durch neues Recht und neue Benimmregeln – gestärkt werden, wenn diese Eintrittskarten und Ausweise für das politische Geschäft bekannt und anerkannt sind sowie konsequent durchgesetzt werden. Hoffentlich ohne ein begleitendes Erziehungs- und Moralprogramm, das kompetente und glaubwürdige Bürger, die unsere liberale Demokratie dringend braucht, zu „gläsernen Personen“ macht und abschreckt, sich politisch für das Gemeinwesen zu engagieren. Denn wer möchte sich schon wirtschaftlich und in aller Öffentlichkeit total „entblättern“ – und „entblättert“ bleiben? 

Aber das notwendig (neue) Vertraute muss mit erarbeitetem und verdientem Vertrauen auf Dauer gefüllt werden. Die Frage der Integrität fängt mit der Auswahl von Funktions-, Mandats- und Amtsträgern vor Ort an: Sind sie unabhängig, verwurzelt und erfahren, ehrlich, kommunikativ und lernbereit? Wollen sie dienen oder nur in der Politik und an der Politik verdienen? Und könnten sie deshalb verführt werden, sich in Grauzonen zu bedienen? 

Vertrauen ist wie ein kleines Pflänzchen. Es wächst nicht auf Befehl, Anordnung oder per Knopfdruck. Es entwickelt sich im Lebensraum der Kompetenz und Sicherheit, des Rechts und der Gesetze. Vor allem aber durch ehrliche Offenheit, ohne gezinkte Karten und ohne verlogenes Theater- und ängstliches Versteckspiel. 

Burkhard Budde

Pflänzchen Vertrauen

Pflänzchen Vertrauen

Moment mal

Pflänzchen Vertrauen

Von Burkhard Budde

Vertrauen ist wie ein kleines Pflänzchen…

Ist Vertrauen gut, Misstrauen jedoch besser? Wer einmal Heiratsschwindlern, Loverboys oder Rattenfängern auf den Leim gegangen ist, wird die Frage sicherlich bejahen. Ihr Vertrauen ist schamlos missbraucht worden. „Seine Versprechungen“, erzählt ein verbitterter und unglücklicher Mensch, „hat ausgerechnet der nicht gehalten, den ich so sehr geachtet habe.“ Sein Vertrauen sei weggeschmolzen. Der Getäuschte ist verletzt und tief enttäuscht.

Leider gibt es in allen Lebensbereichen Vertrauensbrüche und „falsche Fünfziger“: Scheinheilige mit verführerischem Heiligenschein und Scheingrößen mit gespielter Kompetenz. Tugendwächter, die anderen politische und kulturelle Benimmregeln beibringen wollen, sich selbst aber nicht daran halten. Wer in der Verantwortung steht, das Vertrauen jedoch durch eine gespaltene Zunge, durch Gier oder Würdelosigkeit erst einmal verspielt hat, darf sich über Misstrauen und Missachtung nicht wundern.

Aber – zum Glück – kann verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden, auch wenn das nicht einfach ist, Zeit, Einsicht, Veränderung und Einsatz braucht.

Vertrauen ist wie ein kleines Pflänzchen. Es wächst nicht auf Befehl, Anordnung oder per Knopfdruck. Wer ihm mit der Heckenschere zu nahe kommt – zum Beispiel mit Selbstgerechtigkeit – sät nur neues Misstrauen und zerstört den Beginn vertrauensbildender Maßnahmen. Das kleine Pflänzchen braucht auch keine Gießkanne, zu viel Wasser wie undifferenzierte Kritiksucht, das Entwicklungen ertränkt.

Hilfreich erscheint vielmehr ein umfassendes Bewässerungssystem, das gezielt und präzise neues Vertrauen fördert: Zum Beispiel durch ehrliche Offenheit, unabhängige Aufklärung und unvoreingenommene Aufarbeitung, also ohne gezinkte Karten und ohne verlogenes Theater- und ängstliches Versteckspiel. Durch Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, also ohne Wechselbäder der Gefühle und Erlebnisse. Durch Verschwiegenheit und Fairness, also ohne unbefugtes Weitererzählen und ohne nur eine Seite gehört zu haben. Natürlich auch durch die Schutzzäune der Kompetenz und Sicherheit, des Rechts und der Gesetze, vor allem jedoch durch persönliche Glaubwürdigkeit.

Im Garten des Lebens bleibt auch neu gewachsenes Vertrauen stets ein Wagnis. Das Selbst- und Fremdvertrauen erfährt jedoch im Gottvertrauen eine neue Perspektive. Denn wenn Gott – mein Lebensgrund – für mich ist, wer mag dann gegen mich sein? Dieses Vertrauen trägt durch Krisen hindurch. Gesundes Misstrauen bleibt gut; um jedoch nicht in eine Falle zu tappen, sind begründetes und kritisches Vertrauen sowie persönliche Verantwortung besser.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

in der Rubrik „Moment mal“ am 27.3.2021

 

Mensch als Krabbe

Mensch als Krabbe

Moment mal

Sehnsucht Freiheit

Von Burkhard Budde

Fabel von den Krabben, die von einer unsichtbaren Hand in einen Korb geworfen werden.

Sind Menschen wie Strandkrabben? Krabben wandern am Meer hin und her – seitwärts und häufig blitzschnell. Manche wirken fröhlich und mutig, andere traurig und ängstlich, wieder andere gleichgültig und trotzig. Viele verhalten sich mal so mal so. Manche genießen das Leben, andere graben sich lieber in den Boden ein, um nicht aufzufallen. Auch Kämpfe zwischen den gepanzerten Strandkrabben mit ihren „Knackscheren“ kommen vor sowie Fluchtversuche. Alle sind jedoch über einen überraschenden Leckerbissen begeistert. Jede Krabbe ist von einer unendlichen Sehnsucht nach endlichem Glück getrieben.

Eines Tages sammelt eine unsichtbare Hand die Krabben ein und wirft sie in einen Korb. Dann wird der Korb mit einem Deckel verschlossen. Wegen der plötzlichen Dunkelheit und ungewohnten Enge herrscht zunächst eine Schockstarre, dann entwickelt sich ein chaotisches Durcheinander. Jeder scheint sich selbst der Nächste zu sein. Und als Futter auftaucht, wird gebissen, verbissen weggebissen. Jeder kämpft gegen jeden, sucht seinen Vorteil. Und wenn es sein muss, auf Kosten des anderen, des Schwächeren.

Einzelne Krabben, die genervt sind, überlegen: Wie kann ein Leben im Korb für alle erträglich werden? Wie kann ein friedliches Zusammenleben gelingen? Wohl kaum allein mit schönen Appellen. Auch nicht mit autoritären Drohgebärden oder mit verletzenden „Scheren“. Vielleicht mit verbindlichen Regeln, die eingehalten, durchgesetzt werden?

Da wird der Deckel vom Korb entfernt. Licht dringt in den Korb. Manche Krabben sind gestorben. Manche bleiben regungslos liegen, weil in ihnen die Sehnsucht nach dem Strand verschwunden ist. Andere, die freiheitsliebend sind, wollen ausbüxen und rauskrabbeln. Aber sie werden von ihren Mitkrabben immer wieder heruntergezogen. Sie sollen bleiben. Denn wenn nicht alle aus dem Korb herauskommen können, dann soll keiner herauskommen.

Der Weg zum Strand in die Freiheit ist noch lang. Das Gift des Neides lähmt. Gleichgültigkeit, Hochmut und Selbstsucht sowie Inkompetenz verhindern Fortschritte. Aber im Korb gibt es auch umsichtigen Mut und konstruktive Zuversicht, möglichst schnell aus dem Korb herauszukommen. Denn die starke Sehnsucht nach dem Meer neuen Lebens bewegt die schöpferischen Kräfte der Vernunft und der Empathie. Und ermöglicht durch begründetes Vertrauen und persönliche Verantwortung jenseits von Chaos und Gleichmacherei pragmatische und menschengerechte Lösungen.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster am 28.3.2021 in der Rubrik „Auf ein Wort“ sowie im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 6.4.2021 in der Rubrik „Moment mal“

Schatz Erinnerung

Schatz Erinnerung

Moment mal

Schatz Erinnerung

Von Burkhard Budde

Das Grab von Gotthold Ephraim Lessing auf dem Magnifriedhof in Braunschweig,

wo er am 15.2. 1781 gestorben war: Erinnerung an einen großen Aufklärer.

Bleiben alle Türen verschlossen? Zwar existiert keine Drehtür, durch die ein Toter wieder ins Leben zurückkehrt. Aber die Erinnerung an einen verstorbenen Menschen kann wie ein offener Türspalt sein: Er lässt Raum für Gedanken, Gefühle und neue Entdeckungen.

An einem Grab stehen Personen, die sich an einen Verstorbenen erinnern. Keiner will seine Spuren verwischen, vernichten oder ignorieren. Der eine Grabbesucher fühlt wie ein Romantiker, der verklärt: „Er ist der Liebste und Beste gewesen.“ Ein anderer denkt wie ein Staatsanwalt, der anklagt: „Er war ungerecht und hartherzig.“ Der dritte verhält sich wie ein Dichter, der Lügengeschichten erfindet, die selbst durch ständige Wiederholungen nicht wahr werden. Der vierte hat von Historikern gelernt: Er strebt ein differenziertes Bild vom Verstorbenen an. Um ihn fair zu würdigen, ist er nicht nur an biographischen Fakten und unabhängigen Quellen interessiert, sondern auch an der Vorgeschichte seiner Lebensgeschichte, vor allem am Zusammenhang – an der Zeit, den Umständen, den Bedingungen. Und er denkt zudem über sichtbare und unsichtbare Brüche nach, über Widersprüche, Neuanfänge, Entwicklungen und Gleichzeitigkeiten. Hätte nicht stets auch alles anders gewesen sein können?

Es gibt eben nicht nur eine Deutung oder eine Erzählung. Subjekte Erinnerungsfetzen sollten deshalb nicht als Schwert eingesetzt werden, um positive Pauschalurteile oder Verdammungsurteile durchzusetzen. Verantwortungsvolle Erinnerungsarbeit öffnet vielmehr eine Schatzkammer unterschiedlicher Sichtweisen und wertvoller Detailerfahrungen. Wie Mosaiksteine können sie sich ergänzen oder nebeneinander liegen. Sie müssen sich „nur“ gegenseitig respektieren, aber immer wieder auch kritisch hinterfragen oder relativieren lassen, um der Gemeinschaft der (Über-) Lebenden (Zusammen-) Halt sowie neue Perspektiven zu geben. Manche Erinnerungen können ermutigen zu vergeben, auch zu vergessen; andere anzunehmen, was das eigene Leben erneuert und bereichert.

Ein Besucher spricht leise: „Du fehlst mir. Aber ich bin dankbar, dass ich mit dir verbunden war. Und bleibe.“ Der eigentliche Schatz im Schatzraum der Erinnerung ist die Vergewisserung, dass das Leben stets kostbar, einmalig, vergänglich und ein Geschenk ist. Und mit sinnstiftenden Erinnerungen besser weitergeht. Dass man nichts mit ins Grab nehmen kann. Dass sich aber jeder Mensch hier und jetzt auch an die offene Hand Gott erinnern kann, die ein Leben gnädig (durch-)trägt und eines Tages vollendet. Weil diese unsichtbare Hand, die Christen im Glauben ergreifen, von innen her die Tür zum ewigen Leben öffnet. Damit die Lebenden die Schätze der Erinnerungen klug und weise heben – und die Lebenden nicht vergessen.

Burkhard Budde

Veröffentlichtim Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 20.3.2021 in der Rubrik „Moment mal“ sowie im Wolfenbütteler Schaufenster am 21.3.2021 in der Rubrik „Auf ein Wort“

Großer Riese klein

Großer Riese klein

Moment mal

Großer Riese

Von Burkhard Budde

Passt ein Gast in das Bett des großen Riesen?

Ein Riese mit Hut, der in einem Turm lebt, bietet Betten zum Übernachten an. Manche Gäste legen sich gern in seine Betten, weil sie meinen, dass der Gastgeber für Modernität steht. Manche von ihnen werden sogar seine Fans, die dafür sorgen, dass Gleichgesinnte kuschelige Betten bekommen, Andersdenkende jedoch aus dem Turm vertrieben werden.

Im Gewand der Gerechtigkeit schaut sich der Riese jeden einzelnen Gast genau an: Passt er in seine Betten? Hat er die „richtige“ Gesinnung? Spricht er die „richtige“ Sprache? An dem Gast wird solange gearbeitet, bis er in ein Bett nach seinen Vorstellungen gelegt werden kann: Erst auseinandergenommen und zerschlagen, schließlich wieder zusammengefügt. Das Bett des Riesen ist die normierende Größe. Und alle sollen gleichgemacht werden und sich bettkonform verhalten.

Manche Gäste bekommen jedoch Zweifel – zum Beispiel an der Sprachpolitik des Riesen: Ist es richtig, mit Sternchen in Texten arbeiten zu müssen, wenn dadurch Sprachfluss gestört und Sprachästhetik verletzt werden? Dient es wirklich der Integration aller, wenn nicht mehr von „Mutter“ oder „Vater“ die Rede sein soll, sondern von „gebärender Elternteil“ oder „zweiter biologischer Teil“? Wenn Gefühle wie Liebe aus der alten Begrifflichkeit verbannt werden? Gehört dem Riesen, dessen Gäste ihm nach dem Mund reden sollen, die Sprache – oder den sprechenden Gästen, die einen eigenen Mund haben?

Wahrheiten bleiben doch wahr: Der Mensch ist kein billiger Bettvorleger, keine normierte Bettware, die in ein Bett passen muss. Er ist vielmehr ein unverwechselbares Original, unbegrenzt wertvoll und eigenverantwortlich. Seine Würde, die mehr als die Summe seiner Teile ist, kann ihm auch kein Riese nehmen. Die Würde ist jedem Menschen von außen – von Gott – geschenkt. Und deshalb unverlierbar.

Warum dann die Bettdecke über den Kopf ziehen und weiterschlafen? Warum nicht aufstehen und für individuelle Freiheit, Vielfalt und „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ (Grundgesetz) kämpfen?! Denn ethische Integrität, ein vertrauens- und respektvolles Verhalten ist wichtiger als ethnische Identität, die Herkunft, Gruppenzugehörigkeit oder Gesinnung eines Menschen; die vorurteilsfreie Persönlichkeit mit ihrer Leistung wichtiger als das „passende“ Bett für Fans oder Angepasste.

Ein Riese mit seinem autoritärem „Betten-Denken“ kann wegen der starken sowie vielfältigen Realität mit Schattierungen und Grauzonen auf die Nase fallen und zum Zwerg werden – klein mit Hut. Mündige Menschen können ihm helfen, realistischer, toleranter und empathischer zu werden, indem sie ihm kritisch, mit Rückgrat und auf Augenhöhe begegnen.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

in der Rubrik „Moment mal“ am 13.3.2021

sowie im Wolfenbütteler Schaufenster

in der Rubrik „Auf ein Wort“ am 14.3.2021

Aufs eigene Tor

Aufs eigene Tor

Moment mal

Aufs eigene Tor

Von Burkhard Budde

Schießen SPD-Politiker aus eigene Tor?

Aufs eigene Tor

Zum Verhalten von Esken und Kühnert gegenüber Thierse 

Das freiheitsliebende und kritische Herz der WELT schlägt durch diesen gelungenen Kommentar von Thomas Schmid – vielen herzlichen Dank!

SPD-Spitzenpolitiker schießen immer wieder auf das eigene Tor und wundern sich, wenn sie im parteipolitischen Wettbewerb um das Vertrauen der Bürger Glaubwürdigkeit, aber auch das Spiel selbst um die demokratische Macht verlieren.

Am Rande des Spielfeldes gibt es Applaus von ideologisch geblendeten Fans, die die vielfältige Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen; ein politisches Raunen von Bürgern, die aus dem Staunen über die schleichende Selbstaufgabe nicht mehr herauskommen; Tränen von (Fach-)Arbeitern, Gewerkschaftlern und alten Sozialdemokraten, die die neuen Spielzüge und Themen ihrer neuen Funktionärs- und Lehrer-Partei nicht verstehen und ihre ehemalige Volkspartei nicht mehr wiedererkennen.

Und politische Gegner, die meinen, auf ihr eigenes Profil verzichten zu können, da besondere Anstrengungen vor ihrem Tor überflüssig erscheinen. Demokratie aber lebt vom fairen und respektvollen Wettkampf um die besseren Köpfe und Ideen. 

Burkhard Budde

Leserbrief in die WELT vom 6.März 2021 zum Kommentar „Rücksichtslos und unanständig“ von Thomas Schmid (WELT 4. März 2021)