Moment mal

Großer Riese

Von Burkhard Budde

Passt ein Gast in das Bett des großen Riesen?

Ein Riese mit Hut, der in einem Turm lebt, bietet Betten zum Übernachten an. Manche Gäste legen sich gern in seine Betten, weil sie meinen, dass der Gastgeber für Modernität steht. Manche von ihnen werden sogar seine Fans, die dafür sorgen, dass Gleichgesinnte kuschelige Betten bekommen, Andersdenkende jedoch aus dem Turm vertrieben werden.

Im Gewand der Gerechtigkeit schaut sich der Riese jeden einzelnen Gast genau an: Passt er in seine Betten? Hat er die „richtige“ Gesinnung? Spricht er die „richtige“ Sprache? An dem Gast wird solange gearbeitet, bis er in ein Bett nach seinen Vorstellungen gelegt werden kann: Erst auseinandergenommen und zerschlagen, schließlich wieder zusammengefügt. Das Bett des Riesen ist die normierende Größe. Und alle sollen gleichgemacht werden und sich bettkonform verhalten.

Manche Gäste bekommen jedoch Zweifel – zum Beispiel an der Sprachpolitik des Riesen: Ist es richtig, mit Sternchen in Texten arbeiten zu müssen, wenn dadurch Sprachfluss gestört und Sprachästhetik verletzt werden? Dient es wirklich der Integration aller, wenn nicht mehr von „Mutter“ oder „Vater“ die Rede sein soll, sondern von „gebärender Elternteil“ oder „zweiter biologischer Teil“? Wenn Gefühle wie Liebe aus der alten Begrifflichkeit verbannt werden? Gehört dem Riesen, dessen Gäste ihm nach dem Mund reden sollen, die Sprache – oder den sprechenden Gästen, die einen eigenen Mund haben?

Wahrheiten bleiben doch wahr: Der Mensch ist kein billiger Bettvorleger, keine normierte Bettware, die in ein Bett passen muss. Er ist vielmehr ein unverwechselbares Original, unbegrenzt wertvoll und eigenverantwortlich. Seine Würde, die mehr als die Summe seiner Teile ist, kann ihm auch kein Riese nehmen. Die Würde ist jedem Menschen von außen – von Gott – geschenkt. Und deshalb unverlierbar.

Warum dann die Bettdecke über den Kopf ziehen und weiterschlafen? Warum nicht aufstehen und für individuelle Freiheit, Vielfalt und „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ (Grundgesetz) kämpfen?! Denn ethische Integrität, ein vertrauens- und respektvolles Verhalten ist wichtiger als ethnische Identität, die Herkunft, Gruppenzugehörigkeit oder Gesinnung eines Menschen; die vorurteilsfreie Persönlichkeit mit ihrer Leistung wichtiger als das „passende“ Bett für Fans oder Angepasste.

Ein Riese mit seinem autoritärem „Betten-Denken“ kann wegen der starken sowie vielfältigen Realität mit Schattierungen und Grauzonen auf die Nase fallen und zum Zwerg werden – klein mit Hut. Mündige Menschen können ihm helfen, realistischer, toleranter und empathischer zu werden, indem sie ihm kritisch, mit Rückgrat und auf Augenhöhe begegnen.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

in der Rubrik „Moment mal“ am 13.3.2021

sowie im Wolfenbütteler Schaufenster

in der Rubrik „Auf ein Wort“ am 14.3.2021