Demokratie VII

Demokratie VII

Moment mal

„Schule der Demokratie“

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort 

Lernorte der Demokratie VII 

Bedeutung der Kommunalpolitik 

Wie können Bürger von der Politik begeistert werden? Ist die Kommunalpolitik z. B. für junge Menschen, die sich in der Ausbildung, im Studium oder am Anfang ihres Berufslebens befinden, eine attraktive „Schule der Demokratie“, auf die sie sich in ihrer Freizeit einlassen? Weil sie eine praktische Bewährungsprobe für abstrakte Forderungen darstellt und zeitnah konkrete Erfolgserlebnisse bei der Gestaltung des Gemeinwesens ermöglicht? Oder schreckt Kommunalpolitik eher ab, weil „alte Hasen“ oder „bewährte Platzhirsche“ jungen Menschen nur begrenzte Möglichkeiten geben, ihre Vorstellungen einzubringen und umzusetzen? Weil Politik als Kunst des oberflächlichen Durchwurstelns, als detailbezogenen Kuhhandel oder nur als persönliches Sprungbrett für „größere Aufgaben“ wahrgenommen wird, den Stempel des Kleinkarierten trägt und nicht den Gesamtzusammenhang ins Auge nimmt?

Die Demokratiegeschichte kann Antworten geben, sogar bewegender Motor sein, um Fehler aus der Vergangenheit zu vermeiden, an positiven Beispielen zu lernen, Maßstäbe für aktuelles Handeln an die Hand zu bekommen und dadurch in der Gegenwart die Zukunft zu gestalten.

Ein 22jähriger, der in den 70ziger Jahren kommunalpolitisch tätig und von 1975 bis 1979 dem Bünder Stadtrat angehörte, erinnert sich. Junge Leute erlebten einen „Bildungsnotstand in der Stadt“, zum Beispiel fehlten Fachräume in den Schulen. Auch wurden ihrer Wahrnehmung nach bestimmte Themen wie „Umweltschutz“, „Jugendzentren“, überhaupt die „soziale Infrastruktur“ nicht oder nur selten kritisch genug diskutiert. Als der junge Mann, der auch Vorsitzender einer politischen Jugendorganisation war, öffentlich die Personalpolitik im Rathaus als „Parteibuchpolitik“ bezeichnete, da fast alle Beamten das gleiche Parteibuch hatten, eine „Personalpolitik der Fähigkeiten“ sowie Bürgernähe forderte und den „dienenden Charakter“ der Behörde betonte, wurde ihm mit rechtlichen Schritten gedroht. Wollte man ihm einen „goldenen Maulkorb“ umhängen; sollte auch bei anderen Themen jedes kritische Wort auf die Goldwaage gelegt werden?

Unter „Demokratisierung“ verstand der politische Jugendkreis jedenfalls etwas anderes: mehr Durchschaubarkeit politischer Prozesse; größere Freiheiten, sich eine eigene Meinung bilden und vertreten zu können; einen fairen Wettbewerb, um sich konstruktiv streitend in den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einzubringen; mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, um sich um die Angelegenheiten der Bürger persönlich kümmern zu können.

Diese jungen Leute waren keine politischen „Träumer“, „Revoluzzer“ oder „Karrierebastler“, aber auch keine angepassten „Duckmäuser“, wohl aber lernten sie sehr schnell, dass sie zur Umsetzung ihrer Ideale Verbündete in ihrer Partei brauchten, um „Gestaltungsmacht“, ein Mandat anvertraut zu bekommen, das sich als demokratisch legitimierte und zeitlich begrenzte „Verantwortungsmacht“ versteht. Im Kommunalwahlkampf, in dem sie sich für „junge Menschen in den Rat“ und die Herausarbeitung der Unterschiede zwischen den Parteien einsetzten, damit der Bürger eine echte Wahl bekam, aber auch forderten, nicht die Solidarität der Demokraten zu vergessen, hatten sie Erfolg.

1975 zog der 22jährige in den Rat ein, wurde Vorsitzender des Jugendausschusses und Mitglied des Schul- und des Sozialausschusses, lernte demokratische Spielregeln und Verfahren aus erster Hand und großer Nähe. Und sich fair und argumentativ durchzusetzen, zu integrieren und zu leiten, Mehrheitsentscheidungen trotz vermeintlich besserer Argumente zu ertragen, Minderheitenmeinungen zu tolerieren und Kompromisse zu schließen. Und seine Ideale nicht aufzugeben, weil er jeden Morgen in den Spiegel schauen und von der Demokratie begeistert bleiben wollte.

(Fortsetzung folgt)

Burkhard Budde

Demokratie VI

Demokratie VI

Moment mal

Bedeutung von Parteien

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Orte gelebter Demokratie VI 

Bedeutung von Parteien 

Wie kann Begeisterung für die Demokratie entfacht werden? Durch die Teilnahme an basisdemokratischen Bewegungen? Durch die Aussicht, mit einem Marsch durch die Institutionen etwas verändern zu können? Durch den Einsatz im vorpolitischen Raum, z.B. in Kirchen und Vereinen, wo es nicht nur „apolitisch“ zugeht, wo nicht nur gebetet und geredet, gespielt und musiziert wird, sondern wo es auch um die Durchsetzung von Werten und Haltungen geht – um undemokratische Werte wie autoritäres und totalitäres Verhalten oder um demokratische Werte wie die Achtung der Würde eines Menschen und seiner Meinungsfreiheit sowie die Möglichkeit, Konflikte gewaltfrei auszutragen bzw. Meinungsverschiedenheiten und Meinungsvielfalt auszuhalten.

Der 17jährige Mann, der in seiner Familie, aber auch in der Schule Orte gelebter Demokratie, kennengelernt hatte, wurde 1971 gefragt, ob er nicht in einer Partei mitarbeiten wolle. Ihm war theoretisch bekannt, dass Parteien die Aufgabe haben, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken; also den Meinungsbildungsprozess nicht allein zu bestimmen, sondern vor allem ihre Ziele und Vorschläge in die öffentliche Diskussion einzubringen, Brücken zwischen Staat und Volk zu schlagen sowie die Regierungsbildung zu beeinflussen.

Radikale Parteien, die auf einem Auge blind waren oder ideologische Scheuklappen trugen, und die Wirklichkeit nur durch ihre getönte Brille sahen, Mauern errichteten oder Gräben vertieften, kamen für ihn nicht in Frage.

Aber in welcher demokratischen Partei konnte er auf einen Resonanzraum für sein kulturelles Lebensgefühl und seine politischen Ideale hoffen? Oder stimmte es, dass demokratische Parteien nur verwechselbare Gemischtwarengeschäfte auf dem Markt der Parteien waren? Oder waren sie dunkle und abschreckende Kampfarenen für Karrieristen, die mehr an ihren persönlichen Vorteil denken und weniger an das Partei- und Bürgerwohl, die zwar kompetent im Intrigen- und Machtspiel sind, aber im geduldigen „Bohren von harter Brettern“ versagen, weil sie nicht über einen langen Atem und über natürliche Autorität mit argumentativer Überzeugungskraft verfügen? Und wenn er dann noch, so die Sorge des jungen Mannes, ein unsichtbares Etikett auf die Stirn geklebt bekommt, weil er einer Partei angehört und ständig in ein Schubfach gesteckt wird?

Auf der anderen Seite, dachte der 17jährige, gab es auch gute Gründe, in eine demokratische Partei einzutreten: Mit Verbündeten einer Partei konnte er bei der Verwirklichung seiner Überzeugungen leichter und effektiver mitmischen, als im Alleingang. Und wenn die Partei ihm eine Aufgabe zutraut oder ein Mandat anvertraut, kann er sogar konkrete und sinnstiftende Verantwortung wahrnehmen. Parteipolitik muss ja kein „schmutziges Geschäft“ sein. Er wollte sich jedenfalls eine eigene Meinung bilden, unabhängig und kritisch bleiben und sich für Fairness einsetzen. Und er trat 1972 in eine demokratische Partei ein.

Allerdings erlebte er kurze Zeit später, dass ein Mitbürger ihn als „Nazi“ bezeichnete, obwohl er einer demokratischen, keiner rechtsextremen Partei angehörte. Und „nur“ weil sich sein gehässiger Mitmensch in eine freudlose Ideologie verliebt hatte, ihm politische, aber auch menschliche Bildung fehlte. Was dem jungen Parteimitglied aber nicht davon abhielt – im Gegenteil! – sich für politische Bildung einzusetzen und Freude an der politischen Arbeit zu haben, begeistert andere Bürger zu begeistern. (Fortsetzung folgt)

Burkhard Budde

Demokratie V

Demokratie V

Auf ein Wort

Geschichte(n)

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Lernorte der Demokratie V 

Schule als Teil der Demokratiegeschichte 

Aus der Geschichte kann man – wenn der Wille zum Quellenstudium vorhanden ist – für die Gegenwart und Zukunft lernen. Die Demokratiegeschichte selbst ist ein wichtiger Lernort – für alle, die nicht blind und unmündig, sondern aufgeklärt und selbstbestimmt leben wollen; insbesondere für die, die Verantwortung für ihre Mitmenschen, Institutionen, Organisationen oder für das Gemeinwesen wahrnehmen.

Die persönliche Demokratiebildung ist einem Mann am Lernort Schule immer wichtiger geworden. Er wurde um 1970 erst zum Klassensprecher, dann zum Schülersprecher, schließlich zum Bezirksschülersprecher gewählt. Er erinnert sich noch heute an diese Zeit, in der jenseits seines Schulbezirkes häufig eine Politisierung und Radikalisierung der Schülermitverwaltung (SMV) betrieben wurde. Während sich sein SMV-Bezirk aus Parteipolitik und ideologischen Gefechten heraushalten wollte und die Interessenvertretung der Mitschüler als eine zentrale SMV-Aufgabe ansah sowie ein partnerschaftliches Verhältnis zur Lehrerschaft anstrebte, beabsichtigten andere Bezirksschülersprecher, vor allem die Gesellschaft radikal zu verändern. Auf NRW-Ebene gab es beispielsweise einige Bezirksschülersprecher, die DKP- Mitglieder waren, andere arbeiteten mit den „Roten Zellen“ aus Münster zusammen. Und die meisten von ihnen verstanden sich als Kämpfer des „Klassenkampfes“.

Anmerkung: Die DKP (Deutsche Kommunistische Partei) wurde 1968 in Westdeutschland gegründet, galt als linksextremistisch und verstand sich als eine revolutionäre Partei, die von der DDR unterstützt wurde, und bekannte sich zum Marxismus- Leninismus bzw. zum „Klassenkampf“. Und die „Rote Zelle“ wollte ein „Sozialistisches Studium“ aufbauen, um „dem Volke zu dienen“.

Im Landesschülersprechergremium gab es häufig hitzige Debatten, die vor allem Systemkritik zum Thema hatten. Wenn die Mehrheit der „Systemveränderer“ etwas Positives über die Parlamentarische Demokratie wie die Repräsentation des Volkes durch gewählte und freie Volksvertreter, die Möglichkeit der Abwahl der Regierung und die Förderung des politische Kompromisses hörte, erntete der Mann „aus der Provinz“, der die Demokratie Westdeutschlands favorisierte, nur ein überhebliches Lächeln oder sogar persönliche Anfeindungen. Oder wenn er auf die Notwendigkeit starker Gewerkschaften hingewiesen hatte oder auf unabhängige Medien wie den Axel Springer Verlag, der für die Einheit Deutschlands in Freiheit kämpfe, gab es nur lautes Gelächter verbissener Ideologen, die alles besser wussten. Und was sie besonders provozierte, war die schlichte Erkenntnis, dass eine „klassenlose Gesellschaft“ durch revolutionäre Veränderung der Verhältnisse nur die Herrschaft einer „neuen Klasse“ schaffe. Denn viele Schülersprecher damals verherrlichten den DDR- Unrechtsstaat mit Planwirtschaft und Mangelverwaltung und trotz Mauerbau und Schießbefehl und verhöhnten das „BRD-Modell“ mit dem angeblichen Dualismus „Die Bosse da oben“ und „Gutmenschen hier unten.“ Und konnten oder wollten nicht begreifen, dass die Soziale Marktwirtschaft bei allen Mängeln und bei aller Reformbedürftigkeit eine „gemischte Ordnung“ jenseits von „zügellosem Kapitalismus“ und „totalitärer Kommandowirtschaft“ war, die reformfähig war. Und vor allem Wohlstand für alle und Chancengerechtigkeit ermöglichte.

Jedenfalls ging ein Mensch aus solchen Auseinandersetzungen, die wohl keiner gerne suchte, trotz Verletzungen gereifter heraus. Denn gewachsene politische Grundüberzeugungen sind wie Pflanzen, die selbst oder gerade in stürmischen Zeiten wachsen sowie schöne Blüten und auf Dauer (politische) Früchte entwickeln, von denen alle profitieren. (Fortsetzung folgt)

Burkhard Budde

 

Demokratie IV

Demokratie IV

Moment mal

Lernorte der Demokratie IV

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Lernorte der Demokratie IV 

Die Bedeutung der Schule 

Auch seine Schulzeit, so ein Mann aus einer Kleinstadt, war für ihn ein Lernort der Demokratie, nicht nur seine Familie. Er erinnert sich: Im August 1970 wurde er zum Schülersprecher gewählt, obwohl es noch nie einen so jungen Schülersprecher auf der Schule – er war gerade einmal 17 Jahre alt – gegeben hatte. Aber sowohl sein älterer Bruder als auch sein jüngerer Bruder – alle ebenfalls Schüler des Gymnasiums – und Klassenkameraden hatten ihn im schulinternen „Wahlkampf“ fleißig unterstützt. Jede Klasse hatte er aufgesucht und zu Beginn des Unterrichts für etwa zehn Minuten sich selbst, sein Team und sein „Wahlprogramm“ vorgestellt: Geplant waren u.a. kulturelle Vorhaben wie Filmvorführungen, ein Vorlesewettbewerb, ein Musikquiz, Diskotheken „LSD“ („Lord Stone Diskothek“) sowie sportliche Angebote wie ein Tischtennis-, ein Fußball- und ein Handballturnier, aber auch die Besichtigung eines Coca-Cola- Werkes in der Stadt, die Herausgabe einer „SMV-Information“ sowie das Projekt „Einführung in Aufbau und Arbeitsweise eines Computers“, da ein Mitschüler – der Vorgänger im Amt des Schülersprechers – sich mit „Datapoint 2200“ auskannte, dem ersten modernen Personal Computer ähnlichen Computer und bereit war, sein „Pionierwissen“ seinen Mitschülern weiterzugeben. 

Vor allem jedoch hatte der jüngste Schülersprecherkandidat seine Mitschüler davon überzeugt, wie wichtig es war, sich nicht nur mit „Geselligkeit“ und „Kultur“ zu beschäftigen, sondern auch mit den Inhalten des Unterrichts, über Inhalte partnerschaftlich mit den Lehrern zu diskutieren und das Unterrichtsleben selbst kritisch mitzugestalten. 

Nach der Wahl zum Schülersprecher folgten den Ankündigungen Taten; es wurden zum ersten Mal in der Schulgeschichte „Schüler-Fachschaften“ eingerichtet. In jeder Klasse wurden für die „geisteswissenschaftlichen“ Fächer ein Schüler und für die „naturwissenschaftlichen“ Fächer zwei Schüler gewählt, die dann jeweils eine „Schüler-Fachschaft“ bildeten, um dort über Inhalte und die Vermittlung der Inhalte aus der Sicht der Schülerschaft zu sprechen und eine gemeinsame Position zu erarbeiten. Die Schüler-Fachschaften wiederum wählten so genannte Fachschaftssprecher für die Lehrer-Fachkonferenz, um sich dort „einzumischen“ und die Interessen der Schüler zu vertreten – so wenigstens der Plan. Es gab konkrete Hilfestellungen seitens der Lehrerschaft, aber auch viele Steine auf dem Weg zu einer echten Mitwirkung der Schüler im Blick auf das Unterrichtsgeschehen, dem Herzstück des Schullebens. Immerhin hatten viele Schülervertreter bei ihren ersten demokratischen und geordneten Geh- und Laufversuche eine Menge gelernt. 

Aber auch mit anderen Themen beschäftigten wir uns in der Schülermitverwaltung (SMV): Raumnot stand z.B. auf der Tagesordnung, aber auch das Thema „Koedukation“. Wir waren auf einer reinen Jungenschule – für viele Schüler ein „Dorn im Auge“ des Wunsches nach einem gleichberechtigten und gemeinsamen Lernen von Jungen und Mädchen. Und wir Schülervertreter engagierten uns für ein faires Leistungsprinzip sowie für gerechte Bildungschancen für alle, kämpften für „Lernmittelfreiheit“, für die unentgeltliche Bereitstellung von Schulbüchern, um finanzschwachen Familien und Alleinerziehenden die Möglichkeit zu geben, ihre Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken. 

Wir waren auf dem Weg, Schule zu „demokratisieren“, suchten dabei Verbündete in der Lehrerschaft, aber auch in den Familien und im Stadtparlament. Nicht alles hat geklappt, aber wir haben selbst demokratisches Verhalten kennengelernt und sind demokratische gereift. Und vielleicht ist es sogar bei aller Unvollkommenheit und Kritikwürdigkeit gelungen, etwas Schul- und Demokratiegeschichte mit Leidenschaft und Freude zu schreiben, von der auch die folgenden Generationen einen „Mehrwert“ haben.

(Fortsetzung folgt) 

Burkhard Budde