Haifische

Haifische

Auf ein Wort

Haifische im Aquarium

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Haifische im Aquarium 

Im Aquarium des Lebens schwammen ganz unterschiedliche Fische – hin und her, kreuz und quer, stets auf der Suche nach Nahrung und einem sicheren Ort. Viele von ihnen ließen sich auch einfach treiben, weil es bequem war; viele wurden von ihrer Angst getrieben, etwas zu verpassen oder sie vertrieben andere, weil sie Oberwasser behalten wollten.

Unter den zahlreichen Fischen gab es Haifische, die sich wie Bosse fühlten und keine anderen Bosse neben sich duldeten. Wieder andere Haifische schwammen wie harmlose Diener durch das Aquarium; in Wahrheit waren sie jedoch wie eiskalte Räuber, die nur an die Befriedigung ihres großen Macht- und Geltungshungers dachten.

Andere Fische, die die Macht-, Intrigen- und Maskenspiele durchschauten, verhielten sich wie Zuschauer, die sich aus sicherer Entfernung an diesen Kämpfen ergötzen konnten, aber ihr Maul nicht zu voll nahmen, um nicht selbst Opfer zu werden.

Auch gab es Goldfische, die sich als Wasserträger der Haifische verstanden; sie gehorsam verehrten und ihnen wohlfeil huldigten, aber insgeheim auf ihre persönliche Chance auf mehr und andere Nahrung warteten. Und Goldfische, die wie naive Träumer Realitäten nicht kennen und anerkennen wollten; deshalb am Ende immer die Dummen oder Vergessenen waren. Oder im Maul eines Haifisches landeten.

Dazu zählten auch all die Geschöpfe im Aquarium, die zwar wie Zierfische mit ihren Farben und Formen, mit Originalität und Vielfalt beeindruckten, aber auch als agile und anpassungsfähige Überlebenskünstler stets vor der Gnadenlosigkeit und Heuchelei auf der Hut sein mussten: wenn gebissen und zugebissen wurde oder wenn sich ein Fisch in sein Feindbild und seinen Hass verbissen hatte.

Die meisten Fische im Aquarium sehnten sich nach Frieden und Sicherheit, nach einem freien und selbstbestimmten Leben sowie nach Geborgenheit; sie wollten geachtet und nicht missachtet werden sowie fressen und nicht gefressen werden. Sie verachteten Gier und Größenwahn, Neid- und Selbstsucht, Angst- und Herrschsucht, weil dadurch das Wasser, von dem sie alle lebten, vergiftete wurde.

Viele Fische, die nicht hochmütig oder übermütig waren, dachten demütig an die Fische, die noch nicht geboren waren. Und hofften, dass sich Haifische, die den Goldfisch in ihrem Haifischinneren entdeckten, zum Positiven änderten, indem sie das Leben und die Freiheit anderer Fische achteten. Und dass Goldfische ihre Gefühle, das haifischhaft Böse, Rachsucht und Zerstörungswut, kontrollieren lernten. Und dass immer mehr Fische wehrhaft und mutig für ein gewaltfreies und friedliches Miteinander in Selbstbestimmung und Würde im Aquarium kämpften.

Und manchen Fischen fiel es wie Schuppen von den Augen: Kein Fisch war alleine überlebensfähig. Keiner war vollkommen. Keiner lebte ewig. Und eigentlich konnte auch keiner genau sagen, wie das Aquarium entstanden ist, wie weit es sich erstreckt, ob es jenseits des Aquariums noch weitere oder ganz andere im unendlichen Meer des Lebens gibt, ob dieses Universum sich ewig ausdehnt oder eines Tages zum Ursprung zurückkehrt, und was es zusammenhält. Und ob nicht doch der Wille des Schöpfers des ganzen Universums überlebenswichtig ist, in Vernunft und Liebe Verantwortung für das Geschaffene und Zukünftige zu tragen?!

Burkhard Budde        

Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Auf ein Wort

Auf den Kopf gestellt

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Auf den Kopf gestellt 

Eine alte Provokation kann zu einer aktuellen Ermutigung in Krisen werden. Ein Kunstwerk aus dem 12. Jahrhundert stellt die normale Realität auf den Kopf: Ein Mächtiger wird vom Ohnmächtigen besiegt. Ein Stärkerer liegt hilflos und kraftlos am Boden,  wo sonst der  Schwächere erwartet wird. Ausgerechnet ein Jäger ist zum Gejagten geworden, gefesselt, bewegungslos, hilflos. Das Werk zweier Hasen, die sonst Opfer der Jagd sind.

Diese Jagdszene ist am Kaiserdom zu Königslutter am Elm in der Mitte der Hauptapsis zu sehen. Die ehemalige Benediktinerklosterkirche – errichtet ab 1135 von Kaiser Lothar III aus Süpplingenburg, auch Grablege des Kaisers, vollendet von seinem Enkelkind Heinrich dem Löwen – hat aus damaliger Sicht  eine besondere symbolische Bedeutung: Ein Jäger stand für das „Böse“, ein Hase für das „Gute“. Auf jeden Fall öffnet das berühmte Jagdfries dem aufmerksamen Betrachter unserer Tage einen Raum vielfältiger Deutungen.

Das zerstörerische „Böse“ – zum Beispiel eine schlimme Krankheit, ein schmerzhafter Konflikt, ein brutaler Krieg – müssen nicht das letzte Wort behalten. Das Blatt kann sich wenden und unerwartet zum „Guten“ verändern.

Ein Aggressor zum Beispiel sollte seine Grenzen nicht überschreiten, indem er kein Erbarmen und keine Gnade, kein Recht und keine Souveränität, sondern nur seine Allmacht und Übermacht, imperiale Träume und Herrschsucht kennt. Ein Angegriffener, der zur Beute des Angreifers werden soll, kann nicht nur überleben, sondern den Aggressor auch in seine Schranken verweisen und sogar besiegen.

Allerdings zeigt das Jagdfries, worauf es ankommen kann:

Die Hasen sind bei allen Ängsten, die verständlich sind und auch Widerstandskraft motivieren können, keine „Angsthasen“, die einfach den Kopf einziehen, sich vom Acker machen und in die Büsche schlagen. Oder einen Kniefall vor dem Jäger machen, kapitulieren und einem Diktatfrieden zustimmen.

Auch scheinen sie keine „Mutbolzen“ zu sein, die sich selbst überschätzen und stolz vor Übermut den Angreifer unterschätzen. Und als „Illusionisten“ würden sie sich selbst nur täuschen, Enttäuschungen vorprogrammieren, indem sie auf süßes Gerede oder vergiftete Geschenke des Jägers hereinfielen. Oder als „Blauäugige“ gingen sie auf den Leim von Untergangspropheten, deren Schwarzmalerei und Propaganda.

Erfolgreicher, so eine mögliche Deutung des Jagdfrieses, ist wohl, dass sich „Hasen“, Angegriffene, zusammentun, zusammenhalten und zusammenbleiben, um sich  wehren und die tödliche Gefahr abwenden zu können. Dass die Hasen mit ihren Möglichkeiten und Mitteln – mit ihren Pfoten, Zähnen, eigenen und fremden „Stricken“ – den „Jäger“, den Angreifer, zu Fall bringen, um mit einem gebändigten und zurückgedrängten Jäger auf Augenhöhe und in Sicherheit und Selbstbestimmung  weiterzuleben.

Der Wille und die Tatkraft freiheits- und friedensliebender Hasen braucht jedoch auch die Hilfe anderer Hasen, die sich nicht gegenseitig ausspielen lassen. Sowie die Unterstützung von solidarischen Jägern, die die Notwendigkeit des Schutzes, der Verteidigung und des Erhalts von  Lebensräumen einsehen,  damit ein Leben in Freiheit und Würde trotz aller bleibenden Herausforderungen gelingen kann.

Burkhard Budde

Dummheit

Dummheit

Auf ein Wort

Dummheit

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Dummheit und Stolz 

Kennen Sie mehr einfältige und unbewegliche oder mehr kluge und anpassungsfähige Köpfe? Begegnen Ihnen häufiger die törichte Dummheit, die „Stultitia“, und seltener die widerstandsfähige Klugheit, die „Prudentia“?

Die Stultitia sägt zum Beispiel an einem Ast, auf dem sie sitzt – mal gemächlich, mal emsig; mal stur, mal frisch, fromm, fröhlich, frei. Sie schaut weder nach rechts oder links, weder in die Tiefe noch in die Höhe. Weder dampfende Bäume im Nebel noch Windstille, noch Windböen und Stürme können Stultitia aus der Ruhe bringen. Sie bleibt bei ihrer Meinung.

Auch die Frage der Prudentia, die sieht, dass sich Stultitia auf Dauer schadet, erschreckt sie nicht: „Warum denkst Du nicht an die Folgen deines Tuns?“ Doch Stultitia winkt ab, weil sie für Sprüche keine Zeit habe. Und heimlich denkt sie selbstverliebt: „Was bin ich doch für ein kluges Köpfchen!“ Und Prudentia kann weder mit Engelszungen noch mit argumentativem Klartext, geschweige denn mit dem Angebot eines offenen Gespräches etwas bewirken. Stultitia, frech und glücklich wie Oskar, ahnungslos und ignorant wie Bohnenstroh, bleibt grenzenlos dickköpfig und zugeknöpft. Und sägt und sägt. Wird Stultitia nur durch Erfahrung klug?

Eine Prudentia sitzt auf einem hohen Baum und schaut von oben herab. Sie sieht die fleißigen Ameisen, die Hügel bauen, den Boden durchlüften, Abfälle verwerten, Schädlinge bekämpfen und zur Vielfalt des Waldes beitragen. Sie beobachtet scheue  Rehe, die sich leise bewegen und ihre Duftnoten verbreiten und genüsslich Knospen und Triebe junger Bäume anknabbern. Bei selbstbewussten Füchsen fühlt sich Prudentia bedroht, da die sich tarnen, aber auch strategisch handeln und sich auf das Wesentliche konzentrieren können, wachsam und wehrhaft sind. Prudentia, die in ihrer Unnahbarkeit meint, etwas Besseres zu sein, weiß ganz genau, wie Ameisen, Rehe und Füchse zu leben haben.

Aber auch das gehört zum Wald des Lebens dazu: Die kluge Prudentia kann die Maske der dummen Stultitia   aufsetzen – und umgekehrt. Doch Dummheit („nichts besser verstehen und mehr wissen zu wollen“) und Stolz („ genug verstanden zu haben und zu wissen“) wachsen auf einem Holz, das morsch geworden ist – durch Eitelkeit und Wichtigtuerei, durch gespieltes Wissen und neidgetränkte Ichbezogenheit, durch feste Vorurteile und Angst vor Bedeutungsverlust.

Weder das dumme Ich noch das neunmalkluge Ich lassen sich von Förstern religiöser, politischer, historischer oder kultureller Bildung überzeugen. Der Änderungswille, der Wille zum (selbst-)kritischen und aufgeklärten Denken, zum Dazulernen und Neulernen, zum Kompromiss und zum Aushalten unterschiedlicher Meinungen, muss schon von Stultitia und Prudentia selbst ausgehen.

Damit Sophia, die Weisheit, folgenreiche Zusammenhänge zu erkennen und auch auf sein Bauchgefühl zu hören, in beiden eine Chance erhält und Herzens- und Menschenbildung ermöglicht. Und welche Ameise, welches Reh und welcher Fuchs schaufelte dann noch anderen eine Grube, in die man selbst hineinfallen kann?! Und läuft hartherzig mit dem Kopf gegen eine Wand, an der man sich nur Blessuren einholt?!

Burkhard Budde

Lebenskampf

Lebenskampf

Auf ein Wort

Lebenskampf

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort               

Hoffnung im Lebenskampf

Die Hoffnung soll ich nicht aufgeben? fragt ein leidender Mensch. Weiterkämpfen? Wozu?

Er fühlt sich wie Sisyphos aus der griechischen Sagenwelt, der sich quält, einen schweren Felsen auf einen Berg zu wälzen, aber nie wahren Erfolg hat, weil der Stein kurz vor dem Erreichen des Gipfels ins Tal zurückrollt. Ist nicht der Kampf gegen sein Leiden vergebliche Liebesmüh, sinnlos –  hoffnungslos?

Manchmal fühlt er sich auch wie der Tantalos der Antike, der durstig an einem Wasserteich steht, aber seinen Durst nicht stillen kann, weil das Wasser versiegt, immer wenn er sich sehnsüchtig zum Trinken bückt. Ist nicht auch die Sehnsucht eines Leidenden, seinen  Durst nach einem sorgenfreien Leben zu stillen, aussichtslos, fruchtlos – hoffnungslos?

Leuchtet nur dann Sinn auf, während der Stein angstvoller Sorgen in die Tiefe rollt, weil der Leidende in dieser Zeit unbelastet ist und verschnaufen kann? Weil ihm eine Zwangspause ihm ermöglicht, neu nachzudenken und leben zu lernen?

Oder bleibt nur sein phantasievolles Kopfkino, in dem Bilder der Hoffnung auftauchen, dass zwar Flüsse ins Meer des Lebens münden und ihre Existenz selbst beenden, aber ihr frisches Wasser nicht einfach verlorengeht? Doch verblasst dieses Bild nicht sehr schnell in der realen Erfahrung seiner Sorgen- und Angstwelt?

Wie ein Mensch auch immer denkt, was er auch immer fühlt, womit er sich auch immer über Wasser hält, er braucht mehr, um sein ganzes Leben anzunehmen, widerstandsfähig zu werden, und weiterzuleben: einen Rettungsring, wenn er aus Panik zu ertrinken droht; einen Anker, wenn er den  Stürmen der schlechten Nachrichten schutzlos ausgeliefert ist. Er braucht mitten im sorgenvollen Kampf eine begründete Hoffnung auf einen letzten Hafen, auf ein Urziel. Ein gut gemeintes Daumendrücken und ein mitfühlendes Auf-die-Schulter-Klopfen reichen jedenfalls nicht aus, auch kein geschicktes Ablenkungsmanöver, das nur zur Enttäuschung führt; kein frommer Wunsch, der nur vertröstet; keine theologische Erklärung, die nicht verstanden wird.

Am Beispiel und Vorbild von Jesus von Nazareth kann sich jedoch christliche Auferstehungshoffnung entzünden: Jesus hat trotz seines Leidens und in seinem Leiden seinem Vater vertraut („Abba, lieber Vater“). Und deutlich gemacht, dass es einen mit- und selbstleidenden Gott gibt, der in der Ohnmacht mächtig ist, ihm und seinen Freunden Hoffnung auf das Unmögliche im Möglichen schenkt.

Diese Hoffnung auf eine göttliche Neuschöpfung im Geist, auf ewiges Leben, kann wie ein Licht die Dunkelheit eines Leidenden erhellen, ihn kraftvoll bewegen, sein Leben anzunehmen, als freier Mensch zu sorgen als sorgte er nicht – realistisch und zugleich zuversichtlich.

Die Hoffnung auf eine  Gemeinschaft mit Gott in einem dunklen Tunnel des Lebens kann lebendig werden, da der Schöpfergott auch am Ende des Tunnels das Licht des Lebens ist, das  Sorgengeister und irre Gespenster in Schach hält, um gelassener und besonnener, auch fröhlicher  und mutiger  zu werden sowie neues auf Gott hoffendes Vertrauen  zu wagen.

Burkhard Budde

Würde

Würde

Moment mal

Unantastbare Würde

Von Burkhard Budde

 

Auf ein Wort

Ohne Würde leben? 

In diesem Jahr wäre ein lieber Freund von mir fast 100 Jahre alt geworden. Ich erinnere mich gut an ihn, wie er seine Lebensphilosophie, die in der Minden Ravensberger Frömmigkeit wurzelte, in vielen Diskussionen mit seiner Familie, seinen Freunden und im Beruf vertrat: Jeder Mensch sei ein Original, das ihn unverwechselbar mache, und jeder Mensch habe eine Würde, die ein Mensch nie verlieren würde. 

Ich selbst habe dieser Botschaft gerne zugestimmt, weil ich etwas von der Einmaligkeit, Kostbarkeit und Besonderheit menschlichen Lebens in Gemeinschaft verspürte. Aber richtig unter die Haut gegangen ist sie mir erst, als mein Freund im hohen Alter an einer schweren Demenz erkrankte. Er konnte immer weniger die Welt um ihn herum „realistisch wahrnehmen“, vergaß immer mehr, verwechselte immer häufiger Personen und Orte, wurde orientierungsloser, unruhiger, nervöser und schien langsam in eine andere Welt einzutreten, die für die Familie und seinen Freundeskreis wie verschlossen erschien. Nur eine Brücke war fast bis zum Ende seines Lebens für alle begehbar und erlebbar: Das Spielen von Liedern auf seiner Mundharmonika. Dann strahlten seine Augen, wenn seine Zuhörer nach einem gelungenen Vorspiel applaudierten und vor Freude weinen mussten. 

Je länger jedoch sein Krankheitsverlauf dauerte und er immer seltener in unserer Welt „Besuche“ machte, was er wohl selbst verspürte, desto häufiger sagte er mit treuen und zugleich fragenden Augen: „Habe ich nicht auch eine Würde?!“ 

Spätestens jetzt hatte ich verstanden, was in jedem Leben wirklich wichtig bleibt: Ein Mensch lässt sich nicht auf Gesundheit oder Krankheit, Fitness oder Pflegbedürftigkeit, gute oder schlechte Prognose, aber auch nicht auf Erfolg oder Scheitern, Alter, Geschlecht, Herkunft, Gruppenzugehörigkeit, Gesinnung, Titel oder Mittel reduzieren. 

Denn seine Würde, die ihm angeboren ist, wird ein Mensch an keinem Ort und zu keinem Zeitpunkt los. Deshalb ist es „würdelos“, Menschen in Schubfächer einzusortieren, um sie aussortieren zu können, sie in Vorurteile und Feindbilder einzusperren, um sie später als Sündenböcke in die Wüste schicken zu können oder zu verdinglichen. 

Ich bin seiner Frau dankbar, dass sie ihn mit Hilfe ihrer Tochter und ambulanter Dienste bis zum Schluss seines Lebens pflegen konnte. Ich weiß jedoch auch, dass das nicht selbstverständlich war und jede Situation anders ist. Und dass andere familiäre Bedingungen andere verantwortbare, menschliche und soziale sowie medizinisch und pflegerische Lösungen erforderlich machen. 

Doch die Würdegarantie, das habe ich gelernt, ist kein Selbstläufer, auch und gerade angesichts eines rein ökonomischen Denkens („Rendite um jeden Preis“), eines übertriebenen Egodenkens („Was hab ich davon?“), eines unsozialen Denkens („Andere sind zuständig“), eines falschen Perfektionsdenkens („Nur das Perfekte zählt!“), sowie einer großen Gleichgültigkeit, Ahnungslosigkeit und Ängstlichkeit – alles Kräfte eines unaufgeklärten Denkens, die zur Entmenschlichung und Entwürdigung beitragen können. Und selbst hinter der Maske der Barmherzigkeit kann ein Mensch zum einseitigen Objekt – Kostenfaktor, Erlösfaktor – werden, das fürsorgliche Annahme sowie eine Freiheit und Selbstbestimmung im Leiden in Frage stellt. 

Deshalb braucht die Würdegarantie eine spirituelle Verankerung – die reale Vision, dass die Würde ein Geschenk Gottes ist. Gott, der die letzte Verantwortungsinstanz jenseits jeglichen Denkens ist, will nicht, dass die menschliche Würde seines Ebenbildes geteilt, aufgeteilt oder verteilt wird. Dass vielmehr jeder Mensch zugleich Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Liebe in Verantwortung übt und erfährt. 

Burkhard Budde

Biographie

Biographie

Moment mal

Aus Lebensgeschichte lernen

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Lernen  aus Lebensgeschichte

„Dicke Luft“ liegt in der Luft. Was tun? Ohne die (Vor-) Geschichte zu kennen, sind viele kopflos und machtlos. Konflikte und Spannungen lassen sich nur schwer verstehen, beurteilen und bewältigen, wenn gewachsenen Situationen nicht gekannt, erkannt und anerkannt werden, die ja nicht vom Himmel gefallen sind. Das gilt besonders für Unbeteiligte, die häufig einseitig, übereifrig und erregt „informiert“ und manchmal auch – gezielt oder unbewusst – instrumentalisiert werden sollen. Unabhängige Helfer wie Berater sollten deshalb bei Bewältigung z.B. von Beziehungs- und Wahrnehmungskonflikten möglichst alle Konfliktparteien anhören, ohne sich selbst als Richter oder Staatsanwalt aufzuspielen, aber um sich eine eigene Meinung bilden und Brücken schlagen zu können.

Überhaupt lehrt die Geschichte des Lebens, dass „schreiende Ungerechtigkeiten“ und „persönliche Verletzungen“ stets eine Vorgeschichte haben und immer wieder nachgetragen werden, wenn sie nicht rechtzeitig sachlich und fair, wahrheitsgemäß und konstruktiv im gegenseitigen Respekt ausgetragen werden. Und keiner sollte sich darüber wundern, wenn Geschichten einer Familiengeschichte plötzlich in ganz anderen Zusammenhängen das blendende Licht der Welt erblicken: „Du hast dich schon immer so verhalten…“.

Natürlich gibt es Geschichten aus alter Zeit, in denen sich Halbwahrheiten und Wahrnehmungsstörungen, Selbstgerechtigkeit und Selbstgenügsamkeit so sehr mischen, dass sie in Stein gemeißelt sind, dass es eine Sisyphusarbeit ist, sie abzutragen oder wegzutragen – ohne viel Erfolg und Sinn, da Unbelehrbare diese gefährlichen Steine der Erinnerungen immer wieder neu aus der Tiefe hervorholen, um andere damit zu bewerfen. Dann gibt es wohl nur den Rat,  in Deckung zu gehen. Oder die spitzen Steine leblos auf dem Grund der Vergangenheit liegen zu lassen, da der Klügere bekanntlich nachgibt.  Oder den Konflikt über eine Deutungshoheit juristisch zu institutionalisieren, damit er nicht mit Endlosschleife eskaliert. Auf keinen Fall sollte der „Klügere“ selbst mit Steinen werfen, um sich „ordentlich“ zu rächen, da alles nur verschlimmert wird. Wer Kraft hat, kann im Wartestand geduldig und selbstbewusst auf „ein Wunder der Veränderung“ hoffen. Die muss allerdings immer vom Menschen selbst ausgehen, da eine erwachsene Person sich weder mit Engelszungen noch mit Verteufelung konstruktiv bewegen lässt, sondern nur durch eigenes Erkennen und Wollen.

Aber wer kennt – neben Vergangenheit und Gegenwart – die Zukunft, die stets offen und voller Überraschungen bleibt? Vielleicht kann der stete Tropfen zivilisierten Verhaltens eines Tages doch den Stein des Anstoßes aushöhlen. Und jemanden zum selbstkritischen Nachdenken bringen. Oder jemand hört nicht nur die christliche Botschaft von der allumfassenden Liebe Gottes, sondern wird Täter dieser einladenden Vergebungs- und Versöhnungsbereitschaft, wagt den ersten Schritt, ohne seine Wehrhaftigkeit und sein Selbst aufzugeben. Weil möglichst viele lebendige Steine für das gemeinsame Haus des Lebens gebraucht werden – als einen menschlichen Ort mit ausstrahlender Würde in Freiheit und Verantwortung.

Burkhard Budde