Feindesliebe
Moment mal
Feindesliebe?
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Den Feind lieben?
Bei einem eiskalten Engel bekommt man schnell eiskalte Füße. Verständlich, wenn sich viele vom Acker machen. Bei einem geistlosen Fanatiker, der sich auch nicht von der kritischen Vernunft begeistern lässt, erscheinen Gespräche zwecklos. Und bei gut getarnten Maskenträgern besteht stets die Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden.
Die Ohren dieser „Typen“, die manchmal auch in ein und derselben Person wüten, bleiben bei Appellen, sich doch anständig und zivilisiert zu verhalten, verschlossen. Und auch Christen sind keine Unschuldslämmer, insbesondere wenn man an die Forderung Jesu denkt, den „Markenkern“ seiner Botschaft: „Liebet auch eure Feinde. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was tut ihr Besonderes, das tun auch die Heiden“. (Mt 5,44ff)
Sind Christen und Nichtchristen, die sich von der „Feindesliebe“ bewegen lassen, naive Träumer, religiöse Sonderlinge, politische Außenseiter? Gehören sie zu einer weltfremden Illusionsgemeinschaft?
Man sollte Jesus, der vom Geist Gottes erfüllt war, nicht missverstehen. Seine Botschaft knüpft an Realitäten an, setzt Feindschaft voraus, kennt Hass, Neid und Gewalt, Unbelehrbarkeit, Verlogenheit und Heuchelei. Und zurzeit Jesu hätten seine Freunde sowieso keine Chance gehabt, rechtlich Gehör zu finden; sie saßen sozusagen zwischen den Stühlen des jüdischen und des römischen Rechts. Aber dennoch oder gerade deshalb erscheint es Jesus offenbar wichtig: Kein Mensch soll zu keiner Zeit und an keinem Ort zum Glauben an ihn und an Gott gezwungen werden – wohl auch nicht mit einer Moralkeule, einem religiösen Holzhammer oder einem militärischen Schwert. Seine Botschaft von der Liebe Gottes gilt vielmehr allen Menschen, sowohl Freunden als auch Feinden – wie die Sonne für alle scheint. Und kann als Geschenk nur freiwillig im Gottvertrauen ergriffen und als unantastbare Würde begriffen werden.
Aktuell gibt es viele taube Ohren: Hemmungslose Mörder und machthungrige Verbrecher, skrupellose Drogenbosse und menschenverachtende Mafiabosse verachten nicht nur Rechtsstaat und Menschenrechte, sondern lassen sich auch nicht von Lichterketten oder Gebetskreisen beeindrucken. Scheinbar bärenstarke und aggressive Machtmenschen, die nur das Gesetz des Stärkeren kennen, kein Mitleid mit ihren Opfern haben, verstehen nur eine glaubhafte Abschreckung, eine starke und wehrhafte „Feuerwehr“. Und würden einen „Frieden durch Selbstaufgabe“ nur als Einladung missverstehen, weitere zerstörerische Brände zu legen.
Aber in einer demokratischen Gesellschaft kann die „Feindesliebe“ eine Relevanz bekommen – nicht als politisches Rezeptbuch, eher als ethischer Wegweiser, als realistischer Spiegel und als Quelle mutiger Kraft zum Widerspruch: Wenn z.B. gegen Andersdenkende, Andersgläubige, Anderslebende beleidigend gehetzt wird; Völkermord verharmlost oder Verbrechen verherrlicht werden; ein Mensch – auch ein „Feind“ – zu Unrecht benachteiligt oder unfair behandelt wird.
„Feindesliebe“ will das Miteinander oder Nebeneinander weder „versalzen“ noch „salzlos“ lassen. Als ein Schwert des argumentativen Geistes kann es das ganze Leben erneuern – durch eine gewalt- und angstfreie Auseinandersetzung, durch die Unterscheidung von Sachkritik und Personenkritik, durch eine Kompromiss- und Verständigungsbereitschaft, durch den Vorrang des Rechts vor dem Gesetz des Dschungels. Auch durch die Möglichkeit, dass aus Feinden Freunde werden können. Oder dass die Boshaftigkeit der Feinde ausgehalten, vor allem in Grenzen im Rahmen von Recht und Gesetz gehalten wird. Die Macht der Bosheit soll nicht auch noch ein freies Leben vergiften, spalten und ungenießbar machen.
Und im Glauben behält Gott als letzte Verantwortungsinstanz durch den Horizont seiner schöpferischen Liebe, der keine Grenzen kennt, das letzte Wort.
Burkhard Budde