Pfingsten

Pfingsten

Moment mal

Glückwunsch

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Glückwunsch zum Geburtstag 

Feiern wir ein Freudenfest? Hören wir vielleicht noch die Botschaft? Aber fehlt uns die Leichtigkeit des Staunens? Und vor allem der Glaube an einen schöpferischen und versöhnenden Gott? Dass die göttliche Kraft von damals gegenwärtig und wirkmächtig bleibt? Ist uns das Gott- und Christusvertrauen verloren gegangen mitten in einer Welt der Gleichgültigkeit und Bindungslosigkeit, der Gedankenlosigkeit und Interessenlosigkeit, aber auch der Herzlosigkeit und Ichbezogenheit, der Orientierungslosigkeit und Boshaftigkeit?

Ist Pfingsten als Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes und Ausendung der Jünger sowie an das Gründungsdatum der Kirche fünfzig Tage nach Ostern zu einer geistlichen Träumerei einer Minderheit geworden? Weil die Mehrheit der Menschen das Pfingstfest nur noch als ein verlängertes Wochenende versteht, an dem man zwar nicht den Stress eines Osterfestes mit dem flinken Hasen hat, der heimlich Eier in die Büsche legt, auch nicht die Hektik des Weihnachtsfestes mit dem weißhaarigen Mann erlebt, der Geschenke bringt? Aber sonst keine Bedeutung für das eigene Leben hat? Und schon gar keine gesellschaftliche Breitenwirkung zeigt, höchsten Hohn und Spott oder vornehme Interessenlosigkeit? 

Wer sich dennoch eine eigene Meinung bilden will, den lade ich ein, diesen Text weiterzulesen.

Zunächst ein kurzer Rückblick: Pfingsten hat einen jüdischen Kontext. Es wurde zur Zeit Jesus als Erntedankfest nach der Weizenernte gefeiert. Das „chag schabuot“ war ein Fest der Freude über die Ernte und es wurde fröhlich getanzt („chag“= tanzen; 2.Mos 34,22). Auch galt es als Pilgerfest und später als Erinnerungsfest an die Offenbarung der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai. 

Der Evangelist Lukas berichtet nun von einem Treffen der Jünger Jesu an diesem jüdischen Fest – sieben Wochen nach Abschluss des Passahfestes, dem Erinnerungsfest an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Die Jünger erlebten plötzlich „vom Himmel her ein Brausen“ – wie von einem gewaltigen Sturm. Und „sie wurden alle voll des Heiligen Geistes“ und „jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden“ – offensichtlich erlebten die Jünger ein Sprachwunder. (Einzelheiten Apg. 2) 

Erst seit 130 n. Chr. entwickelte sich das Pfingstfest als fünfzigster Tag nach Ostern zu einem christlichen Fest mit einer unverwechselbaren zusätzlichen Botschaft: Der schöpferische Geist Gottes führt unterschiedliche Menschen zusammen und eint sie, selbst wenn zwischen ihnen zuvor Funkstille herrschte oder Konflikte spalteten. Dieser bleibende Geist Christi ermöglichte eine gemeinsame Sprache der Liebe und der Zuversicht, der Freiheit und Verantwortung, auch das Aushalten von Gegensätzen. Dieser göttliche Geist ermutigte, sich für eine glaubwürdige Glaubenseinheit in Würde und versöhnter Vielfalt trotz Verfolgung und Widerstände einzusetzen. 

Ist diese Grundhaltung nicht brandaktuell, die gebraucht wird: Eine geistbewegte Kirche des Wortes Gottes, die Salz der Mitwelt ist, indem sie weniger politisiert und moralisiert, sondern allen Menschen mehr geistig- geistliche Räume sowie religiöse Bildung anbietet, indem sie weniger jammert und klagt und mehr Hoffnung auf Gott setzt sowie glaubwürdig Verantwortung aus dem Glauben heraus wahrnimmt.

Denn die schöpferische Kraft aus der Höhe bringt Herzen und Institutionen ohne Schwärmerei und Besserwisserei zum Schlagen, macht sie frei von Angst und Panik, tröstet und erneuert, füllt Menschen mit neuem Vertrauen und neuer Liebe, Zuversicht und Freude, die Kreise zieht.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Burkhard Budde

Himmelfahrt

Himmelfahrt

Moment mal

Himmelfahrt

Von Burkhard Budde

Mehr wissen – besser verstehen

Christi Himmelfahrt 

Das Fest Christi Himmelfahrt, das am 40. Tag nach Ostern gefeiert wird, erinnert an den endgültigen Abschied und die unwiderrufliche Trennung des gekreuzigten, gestorbenen und auferstandenen Jesus von der Erde in den Himmel, in den unsichtbaren und unerreichbaren Teil der göttlichen Schöpfung.

Zur Geschichte:

Jesus wird nach dem Bericht der Apostelgeschichte des Lukas vor den Augen der Jünger von einer Wolke zusehends aufgehoben und „in den Himmel aufgenommen“ – wie zwei Männer in weißen Kleidern den Jüngern anschließend erläutern (vgl. Apg 1, 9-11).

Die „Entrückung Jesu“ – „Und da er sie segnete, schied er von ihnen.“ (Lk 24, 51) – geschah nach dem Bericht der Apostelgeschichte nachdem Jesus 40 Tage seinen Jüngern erschienen war und ihnen Weisung durch den Heiligen Geist gegeben hatte. „Und er redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ (Apg 1, 3b) Die Jünger, Augenzeugen des irdischen Wirkens Jesu, sollten zugleich Zeugen der Auferstehung Jesu sein – in der Öffentlichkeit und „bis an das Ende der Welt“ (Apg 1, 8b). Und der Heilige Geist war als Lebenskraft sozusagen der Motor ihres Zeugendienstes.

Die „Erhöhung Jesu“ – „Und der Herr, nachdem er mit ihnen geredet hatte, ward er aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur rechten Gottes.“ (Mk 16, 19) – geschah, um am unsichtbaren und sichtbaren Wirken Gottes im Himmel und auf Erden durch den Heiligen Geist teilzuhaben.

Der Evangelist Lukas berichtet, dass die Himmelfahrt Christi am Auferstehungstag in der Nähe Bethaniens sozusagen als Abschluss des Lebens Jesu stattgefunden habe; in seiner Apostelgeschichte ist von der Himmelfahrt erst nach 40 Tagen am Ölberg die Rede, sozusagen als Anfang der Zeit der Kirche, um sie mit der Zeit Jesu zusammenzuführen.

Zunächst feierten die Christen am Pfingstfest die Himmelfahrt Christi mit; seit 370 wurde es ein eigenständiges Fest 40 Tage nach Ostern.

Zur Bedeutung:

Der sichtbare Himmel – englisch „sky“ – kann vom unsichtbaren Himmel – englisch „heaven“ – unterschieden werden. Gleichwohl gibt es einen allumschließenden Zusammenhang: Der naturwissenschaftliche Himmel um einen Menschen herum kann die Augen für die schöpferische Hand Gottes öffnen; der religiöse Himmel in einem Menschen kann eine Triebfeder für die Suche nach den Gesetzen der Natur sein. Kein Himmel hat eine Rückseite oder ist ein Gegenstand, um den man herumgehen kann. Jeder Himmel ist nah und zugleich fern. Der Himmel als Horizont der Erde und die Erde als Abglanz des Himmels sind nicht voneinander zu trennen.

Jesus Christus hat die Tür zum unsichtbaren Reich Gottes im sichtbaren Horizont der Welt geöffnet. Der Geist Christi wohnt nicht nur am unsichtbaren Sitz Gottes oder der Engel, auch nicht nur am Aufenthaltsort der seligen Toten oder am Ort der ewigen Glückseligkeit und des göttlichen Lichtes, sondern er wirkt erfahrbar in der sichtbaren Welt durch das Wort Gottes, die göttlichen Sakramente und seine Zeugen.

Himmelfahrt bedeutet „Jesus ist im Himmel – bei Gott“. Das Fest Christi Himmelfahrt lädt ein, an die unendlichen und grenzenlosen Möglichkeiten Gottes jenseits der endlichen und begrenzten Möglichkeiten der Menschen zu glauben. Und das Wirken des Geistes Christi schon hier auf der Erde zu entdecken. Um sich vom Geist der Liebe von himmlischen Kräften der Vernunft bewegen zu lassen.

Burkhard Budde

Ehre

Ehre

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Ehren?!

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Ehre, dem Ehre gebührt?!

Wer oder was wird geehrt? Und warum, wozu?

Zum Beispiel am Muttertag: Eine „gute Mutter“ wird vom „dankbaren Kind“ geehrt, weil die Mutter nicht nur an sich selbst gedacht hat, sondern auch ihre Lebenszeit mit ihm teilte. Das erwachsen gewordene Kind verteilt keine Noten oder nur goldene Worte, sondern bedankt sich aufrichtig für das „vorbildliche Beispiel“ der Mutter. Als Identifikations- und Leitfigur hat die Mutter zur eigenen Reifung und Mündigkeit beigetragen – trotz aller menschlichen Widersprüchlichkeiten und sozialen Spannungen. Und bleibt als Gesprächspartner und Wegbegleiter des Kindes in Rufweite.

Oder bei einer Ordensverleihung: Ein Bürger wird mit einem Orden vom Staat geehrt, weil er kein kopf- oder herzloser Zuschauer ist, auch kein knirschender und zerstörerischer Sand im Getriebe des sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Geschehens, sondern bewegendes Schmieröl der Menschlichkeit, der Nächstenliebe und des Fortschritts. Durch den persönlichen Einsatz des Bürgers ist keine Sahne geschlagen oder oberflächliche Mittelmäßigkeit geschaffen worden, wohl aber konnten sich ein sozialer Zusammenhalt und geistige Einheitsbänder entwickeln. Und ansteckende Perspektiven – ein Gewinn für (fast) alle.

Doch was ist mit den vielen Nicht-Müttern oder mit den unbekannten Namen, die ebenfalls Respekt und Wertschätzung verdienen?

Nicht alle können öffentlich geehrt werden. Und überhaupt: Nicht alle Menschen wollen öffentlich geehrt werden. Manche möchten ohne öffentliche Geräuschkulisse hilfsbereit sein und mit gutem Beispiel vorangehen. Und ohne selbstbezogenes Vorteilsdenken („Was hab ich davon?“) und ohne soziales Genussdenken („Ich verteile gerne, solange ich selbst kein Opfer erbringen muss.“) der Allgemeinheit mit Freude dienen. Und verlassen deshalb ihre Kuschelecke der Selbstzufriedenheit und das Jammertal der Unzufriedenheit; suchen nicht ehrgeizig den Gipfel der Eitelkeiten oder die Wiese der Ehrsucht, sondern tun auf leisen Sohlen und unauffällig, ohne Hintergedanken, aber mit Rückgrat – wie selbstverständlich – ihre Menschen- und Bürgerpflicht.

Doch was ist mit den Nichtgeehrten, die eine verdiente öffentliche Ehrung als Triebfeder guter Taten und der Zivilcourage vermissen?

Eine Frau sagte mir: „Ein Zeichen des Dankes von meinem Kind hätte meine traurige Seele gut getan.“ Eine andere Frau, die sich ein Leben lang ehrenamtlich für eine Organisation eingesetzt hat, verriet mir. „Undank scheint mein Lohn gewesen zu sein.“ Ein Bürger, der sich in seiner Ehre verletzt fühlte, weil er trotz seines Einsatzes keinen Orden erhielt, vermutete: „‘Ehre, dem Ehre gebührt‘, scheint nur für Gleichgesinnte zu gelten.“ Und er dachte vielleicht dabei an die „Ehre“, die in der Geschichte an eine soziale Gruppe wie den Adel gebunden war und erst im 16. Jahrhundert zur Tugend einer ruhmreichen Tat des Einzelnen wurde. Allerdings auch bei Feigheit und Skandal wieder verloren werden konnte. Und bei kleinlichen „Beleidigungen“ zur Rache oder zum Duell führte.

Heute hat es jedenfalls kein selbstbewusster und aufgeklärter Mensch unbedingt nötig, öffentlich geehrt zu werden: Weil eigentlich Gott (allein) die Ehre gebührt, der dem Menschen seine unverlierbare Würde geschenkt hat. Wobei der Mensch öffentliche Anerkennung verdiente, der sich vorbildlich und beispielhaft für die Menschenwürde einsetzt. Denn seine herausragende Leistung könnte durch eine demonstrative sowie würdige Ehrung Kreise ziehen. 

Burkhard Budde

Anker der Hoffnung

Anker der Hoffnung

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Anker der Hoffnung

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Der Anker der Hoffnung 

Kann ein Anker für alle gleich wichtig sein?

Das große Boot, an dem an einer Halterung am Bug eine Ankerkette befestigt war, lag gut geschützt und sicher in einer felsigen Meeresbucht. Regelmäßig und viele Jahre lang kamen Menschen, um auf dem Boot zu arbeiten und ihre Freizeit zu verbringen. Es gab Zeiten der Anspannung, aber auch Zeiten der Entspannung. Manchmal mischte sich auch beides. Oder aus Muße wurde quälender Stress und aus Anstrengung gähnende Langeweile. Häufig bewegte die Menschen die Sehnsucht nach dem offenen Meer, das Boot wetterfest und zukunftsfest zu machen, auf den neuesten Stand zu bringen, es aus- und umzubauen. Konkrete Ziele und Pläne, Bedürfnisse und Interessen sahen jedoch sehr unterschiedlich aus.

Viele Menschen wussten, dass eine Seekarte, ein Kompass und auch ein modernes Sattelitennavigationsgerät das Wagnis einer Reise auf hoher See nicht ersetzen kann. Doch noch wichtiger erschien es ihnen, das Sagen auf dem Boot haben zu wollen, wohin die Reise gehen und wann es mit welchem Proviant losgehen sollte. Und sie riefen unüberhörbar „Ich“. Oder „Wir“, wenn sie in Gruppen oder Gesinnungsgemeinschaften organisiert waren. Im Durcheinander, das sich immer mehr zu einem gefährlichen Gegeneinander entwickelte und scheinbar nur durch ein gleichgültiges Nebeneinander zusammengehalten werden konnte, kamen einige auf die Idee, alten Ballast über Bord zu werfen, um neue Lebensräume auf dem Boot zu erschließen und gestalten zu können.

Selbsternannte Pioniere des Fortschritts waren wie geblendet und gefesselt von ihren Gewissheiten und ihrem Wissen über das Meer, das mit unendlicher Weite, unerschöpflicher Energie und unbekanntem Horizont lockte und alle neugierig machte. Sie betrachteten das Meer jedoch nur durch ihre Brille und versuchten, mit bitterernster Miene und angstmachendem Eifer die alleinige Deutungshoheit über das vielfältige Leben auf dem Boot zu kapern, Teile der Sprache und der gewachsenen Kultur, Schatten der Geschichte und liebgewordene Tradition zu säubern und zu reinigen sowie zu sieben, um sie dann über Bord zu werfen. Alle, die nicht mitmachten, wurden mürbe gemacht, sollten die Kommandobrücke oder das Deck verlassen oder einfach schweigen. Oder Andersdenkenden zogen sich „freiwillig“ genervt und frustriert in ihre Kojen zurück.

Was viele allerdings im Laufe der Zeit und bei aller Aufregung vergaßen oder einfach nicht (mehr) wissen wollten, war die zentrale Bedeutung des Ankers für das ganze Boot. Da war die Kette am Bug, aber nicht der Anker selbst zu sehen. Als sie wegen ihrer „augenscheinlichen Sinn- und Zwecklosigkeit“ entfernt werden sollte, gab es nur wenige warnende Stimmen: „In der Tiefe liegt die Wahrheit.“ „Das Unsichtbare steht in helfender Verbindung mit dem Sichtbaren“. „Wenn Stürme kommen, muss das Boot einen sicheren Halt haben.“

Aber die Aktivisten, die sich selbst als Haupt- oder Ersatzanker deuteten, hielten sich die Ohren zu, wurden lauter und brüllten: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“

Doch all die Menschen, die an den unsichtbaren Anker der Hoffnung glaubten, ließen sich nicht in die Knie zwingen. Sie hatten die Hoffnung, dass der Anker ein Bootsleben in Würde, Freiheit und Solidarität ermögliche, dass man gemeinsam scharfe Winde aushalten und Zusammenstöße mit anderen Booten vermeiden könne. Mutig und standfest blieben sie fest verankert, gerade um beweglich sowie in einer fairen und konstruktiven Auseinandersetzung frei für bessere Lösungen sein zu können, um das Mögliche und Notwendige auf dem Boot zu tun.

Und sie schafften es, sich – mit dem Anker der Gewissheit auf dem Boot – auf das offene und bewegte Meer des Ungewissen in Zuversicht und Verantwortung zu wagen. 

Burkhard Budde

Gottesbezug?

Gottesbezug?

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Gottesbezug?

Von Burkhard Budde

„Wenn Gott für uns ist, wer mag gegen uns sein?“

Gottesbezug ein alter Zopf? 

Ist eine moderne Gesellschaft von allen guten Geistern verlassen? Oder ist der Gottesbezug tatsächlich ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört, weil er von vielen Menschen nur noch kopfschüttelnd hingenommen, belächelt oder gar verachtet wird? Zum Beispiel der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, in der Eidesformel am Schluss eines Amtseides oder im Grundsatzprogramm einer Partei? Ist dieser Hinweis auf Gott etwa eine religiöse Dekoration, die mehr abschreckt als einlädt, mehr spaltet als zusammenführt, mehr Gleichgültigkeit als Gemeinsinn verbreitet, weil sie missbraucht werden kann und aus der Zeit fällt?

Braucht der moderne Mensch, der sich am eigenen Schopf aus dem Lebenssumpf zu befreien versucht, überhaupt noch ein unsichtbares Gegenüber, dessen Existenz nicht beweisbar ist, nur im religiösen Wort als allgegenwärtige und allgütige Lebenskraft versprochen wird, aber im realen Leben ein Nischendasein fristet? Ist der Mensch von heute nicht ohnehin alleiniger Maßstab und selbstbestimmter Chef seines Lebens?

Um bei all diesen Fragen sich nicht im Nebel der Gefühle zu verlaufen, ist die Unterscheidung der Geister zu empfehlen: In unserer säkularen, vielfältigen und toleranten Demokratie, die christliche und humane Wurzeln und Prägungen hat, sollte niemand von Juden, Christen oder Muslime erwarten, dass sie ihren Gott leugnen (die Lateiner sprechen von „ignoratio Dei“). Oder dass Nicht-Gott-Gläubige einen Gott, den sie nicht kennen, anrufen („invocatio Dei“). Wohl aber können alle Menschen aus rationalen Gründen Gott benennen („nominatio Dei“).

Die Nennung des Namens Gott im Grundgesetz erinnert nämlich an die menschenverachtende Zeit des Nationalsozialismus. Diese bleibende Erinnerung ist zugleich eine ständige Aufforderung, aus der Geschichte zu lernen und den Anfängen von Antisemitismus und Rassismus, Hass und Gewalt zu wehren. Kein Staat, keine Partei, keine Organisation darf jemals wieder allmächtig und totalitär werden, und dem Menschen seine individuellen Freiheiten nehmen, ihn zum Sklaven einer ideologischen Gruppe machen oder zum Handlanger eines entmenschlichten Denkens erziehen wollen. Auch eine liberale Demokratie braucht ein unverfügbares Gegenüber („Theonomie“), um ihre aufgeklärte Menschlichkeit („Autonomie“) nicht zu verlieren.

Ein genannter Gottesbezug ist eine Vergewisserung: Jeder Mensch hat eine angeborene Würde geschenkt bekommen. Und dieses Geschenk kann kein Mensch an keinem Ort und zu keiner Zeit verlieren, weil kein Mensch, sondern der Geber dieser bedingungslosen Gabe außerhalb des menschlich Denkbaren liegt. Manche nennen es „Zufall“; aber vielleicht ist ja der „Zufall“ eine Möglichkeit Gottes, durch die Achtung der unantastbaren Würde seiner Geschöpfe zu wirken.

Schließlich weist der Gottesbezug alle Menschen auf eine letzte Verantwortungsinstanz hin: Auch der mächtigste Machtmensch, der brutal und gottlos lebt, wird sich hoffentlich vor menschlichen Gerichten, aber auch eines Tages – er lebt ja nicht ewig – vor der Instanz seines Schöpfers für seine Taten rechtfertigen müssen, der keine Moralkeule schwingt, wohl aber schon jetzt nach der Verantwortung des Menschen fragt.

Für bekennende Gottgläubige ist Gott kein abstraktes Objekt, keine leere Formel, kein Instrument der eigenen Wunscherfüllung, sondern ein freies handelndes Subjekt in allen Lebenslagen.

Für Nichtgläubige bietet die aufrichtige Nennung des Gottesbezuges die Möglichkeit, den eigenen Kopf von Allmachtsphantasien zu befreien und auf dem Teppich zu bleiben – kein alter Zopf, sondern ein attraktives Aussehen einer Gesellschaft mit menschlichen Gesichtern und klugen Köpfen, die eine wehrhafte Demokratie so nötig braucht.

Burkhard Budde

 

„Einfrieren“?

„Einfrieren“?

Moment mal

„Einfrieren“ wäre Selbstaufgabe

Von Burkhard Budde

Leserbrief (veröffentlicht am 18. April 2024) zum Kommentar „Selenskyjs Hilferuf“ von Reinhard Veser (F.A.Z. 12. April 2024)