Moment mal

Schatztruhe voller Weisheiten

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Schatztruhe voller Weisheiten 

Eine Mutter hatte mehrere Kinder, die sehr unterschiedlich waren. Kein Kind – wie sie selbst – war perfekt, aber die Mutter hatte jedes Kind so lieb wie es war – eben ein liebenswürdiges Original mit eigenen Interessen und Talenten sowie eigenen Ecken und Kanten. Die Mutter wollte, dass jedes Kind einmal seinen eigenen Weg finden würde, lebenstüchtig wurde, indem es ihm Vertrauen, Geborgenheit und Liebe schenkte sowie zur Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit erzog.

Immer wenn ein Kind sozusagen ins Schwimmen geraten war, holte die Mutter noch einen Rettungsring aus der Schatztruhe ihrer Weisheiten, eine zusammenfasse Lebenserfahrung in Form eines „guten Wortes“, das das Kind auch in Zukunft begleiten sollte.

Einige Beispiele: „Ohne Fleiß kein Preis“. Das Kind, das Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen hatte, sollte nicht durch falschen Ehrgeiz arbeitssüchtig oder ständig überfordert und frustriert werden, wohl aber seine Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit überwinden, regelmäßig lernen und dazulernen, auch wenn es anstrengend war, um auf den grünen Zweig zu kommen. Denn „Übung macht den Meister“, da noch kein Meister vom Himmel gefallen sei.

Die Mutter hauchte ihren Weisheiten Leben ein: Sie übte mit dem Kind Diktate, das aus Fehlern lernen konnte, solange bis es keine oder kaum noch Fehler machte. Das Kind verspürte immer deutlicher seine Erfolgserlebnisse als Antrieb zum Lernen in Eigenregie. Und dass Anstrengungen sich lohnen – auch im Wettkampf beim Sport, im musikalischen Bereich sowie in anderen Fächern.

Ein anderer „Rettungsring“ aus der gefüllten Schatztruhe der Mutter war der lateinische Sinnspruch „Carpe diem“, was häufig mit „Genieße den Tag“ übersetzt wird und auch bei Erwachsenen nicht im Widerspruch zur fleißigen Zielstrebigkeit oder zur Leistungsbereitschaft stehen muss, da ja alles seine Zeit hat, was schon der Prediger der Bibel wusste (Prediger3,1-11). Zum ganzen Leben gehört, dass ein Mensch geboren wird, dass er wächst, Vertrauen und Zutrauen pflanzen, Liebe oder Hass säen kann sowie gute oder schlechte Früchte erntet, dass er aber auch sterben muss, da auch sein einmaliges und kostbares Leben begrenzt, unvollkommen und zerbrechlich ist. Dass er fleißig und emsig sein kann – mit, ohne oder wenig Erfolg -, dass er sich aber auch träge und faul verhalten kann – mit allen, ohne oder wenig Konsequenzen. Dass ein junger oder alter Mensch sich Zeit zum Spielen und Tanzen, jedoch auch zum Zeit totschlagen und sich dem leeren Nichtstun hingeben kann.

Jede Lebensgestaltung eines jeden Menschen kann zum letzten Abgrund werden, in dem der gleichmachende Gevatter Tod auf Leistungsträger oder und Leistungsverweigerer – da kennt der große Unbekannte keinen Unterschied – wartet. Darum kannte die Mutter auch den lateinischen Spruch „Memento mori“ („Sei dir der Sterblichkeit bewusst“), um in Gelassenheit – alles ist vorläufig – und in Heiterkeit – du bist nicht der Mittelpunkt der Welt – jeden Tag bewusst wahrnehmen sowie auch genießen zu können.

Vor allem jedoch gehörte für die Mutter, die die Erziehung ihrer Kinder ernstnahm, das Motto der Aufklärung „Sapere aude“ („Wage es, weise zu sein“). Sie wollte, dass alle ihre Kinder „helle Köpfchen“ werden sollten, um sich mutig ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Sie sollten nicht die Besten werden, aber überall das Beste geben, indem sie ihren Verstand – was will ich eigentlich? – , einsetzten, ihre Urteilskraft – worauf kommt es im Leben eigentlich an? – gebrauchten und ihre Vernunft verantwortlich wahrnehmen konnten, um nicht ins Schwimmen zu geraten, sondern tragfähige Brücken schlagen zu können. 

Burkhard Budde