Moment mal

Ewiges Haus

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Ewiges Haus 

Im Haus seines Lebens lief fast alles rund. Aber plötzlich war alles anders. Das Hamsterrad des Alltags geriet ins Stocken. Der weite Mantel des Berufes, auf den der Computerexperte so stolz war, wurde zur einengenden Zwangsjacke, da er nicht mehr klar denken konnte. Die Töne des Verstandes, die ihn bewegten, hatten sich in ein Trommelfeuer wechselnder Gefühle verwandelt. 

Was war geschehen? Sein geliebter Bruder war aus dem Leben gerissen worden. Sein erschüttertes Leben war aus den Fugen geraten. Gut gemeinte Worte wie „Er ist bei Gott geborgen“ und „Es gibt bei Gott einen versteckten Sinn“ zerplatzten wie schillernde und schwebende Seifenblasen bei der Berührung mit einem Stoff. 

Gab es für ihn keinen Trost? Ein seltsames Bild entstand in seinem Kopf, als würde er im Nebel nach einem Geländer tasten, das ihm etwas Halt geben könnte. Sollte Gott vielleicht mit einem universellen Megarechner verglichen werden können? Der viele Millionen Speicherzellen kennt und schöpferische Möglichkeiten hat? Deshalb keine einzige Info löscht, sondern die kleinstmögliche Einheit nur in einen anderen Ordner ablegt, wenn ihre Zeit gekommen ist? 

In der Nacht nach seiner verzweifelten Suche nach Antworten hatte er einen Traum. Auf dem Weg durch einen Wald mit unbekannten Geräuschen war es sehr kalt und so finster, dass er sich fürchtete. Da sah er in der Ferne ein Licht. Als er sich ihm genähert hatte, stand er vor einem lichtdurchfluteten Haus. Zunächst suchte er vergeblich einen Eingang, bis er eine Tür fand, die einen Spalt geöffnet war. Er musste sich klein machen, um hindurchzukommen. Aber als er sich dann wieder aufrichtete, war er überwältigt von der Eingangshalle – überall Licht, das nicht blendete und ein wohltuender Wärmestrom, der ihn erfasste. Alle Räume des Hauses hatten offene Türen. Und er hörte Stimmen von Verstorbenen, die er gut kannte. Einer sagte wie beglückt: „Jetzt verspüre ich keine Schmerzen.“ Eine andere Stimme pries ihr neues Zuhause: Hier gebe es keine Konflikte und keinen Streit. Auch erlebe sie hier keine Neid- und Rachegefühle, keine Gier und Selbstsucht, keine Heuchelei und Doppelmoral – kein diesseitiges Programm der Boshaftigkeiten mit dem Ehrgeiz, selbst Licht zu sein. Und eine weitere Stimme mahnte noch, man könne in dieses Haus nichts mitnehmen, kein Geld, kein Vermögen, keinen Ruhm, keinen Erfolg, keine Macht, keine Sicherheit, auch keine Klugheit und kein Spezialwissen. Und auch keinen Computer. 

Da erschrak der Computerexperte und wurde wach. Hatte er einen kleinen Vorgeschmack auf eine geistliche Wohlfühloase oder nur eine seelische Fata Morgana erlebt? Wenn die „gut gemeinten Worte“ (siehe oben) im Gottvertrauen doch wahr werden sollten? Und er dachte über die Stimme Jesu nach: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Sonst hätte ich euch nicht gesagt: Ich gehe hin, um dort alles für euch vorzubereiten.“ (Joh 14,2) Wenn sein Bruder im Hause Gottes ist, dann könnte auch er dort seine Wohnung finden? 

Auf jeden Fall war ihm klar geworden, dass sein Computer zwar eine gewisse Genugtuung schenkt, aber keine zuversichtliche Gewissheit auf ein unsichtbares Leben in liebender Fülle – auf ein ewiges Haus.

Burkhard Budde 

Veröffentlicht am 30. Juli 2023 im Wolfenbütteler Schaufenster in der Kolumne „Auf ein Wort“