Moment mal

Religion Privatsache?

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Ist Religion Privatsache? 

Jeder Mensch, der sein Leben würdevoll und selbstbestimmt gestalten will, braucht Schutz, Halt und Orientierung, auch Chancen und Perspektiven.

Es gibt jedoch Räume und Bedingungen, die auf dem Weg zu einem gelingenden Leben gefährlich werden können; zum Beispiel:

Marktplätze, auf denen sich Menschen nicht mehr sicher bewegen können und wo sie den Überblick und Durchblick verlieren.

Dschungel, in dem das Recht des Stärkeren, rücksichtslose Ellenbogen und versteckte Fußtritte, ein heuchlerisches Maskenspiel, lautstarke Minderheiten und eiskalte Interessengruppen das Sagen haben.

Blasen, in denen selbstständiges Denken und unbequeme Wahrheiten unerwünscht und nur Gleichgesinnte und Jasager willkommen sind. Und außerhalb der Echokammern Andersdenkende mit der Moralkeule auf Linie gebracht werden sollen.

Angesichts der vielen Irrungen und Wirrungen, der Polarisierungen und Fragmentierungen kann dem einzelnen Menschen, der sich häufig in unterschiedlichen Räumen mit verschiedenen Rollen bewegt, wohl nur ein eigenes Rückgrat weiterhelfen, um dem Zeitgeist auf Augenhöhe begegnen zu können und nicht von ihm beherrscht zu werden.

Aber wie gewinnt ein Mensch diese Grundhaltung im Haus seines Lebens mit den vielen Räumen?

Ein kluger Mann empfiehlt „politische Bildung“ und die Orientierung an der demokratischen Verfassung, die ein inhaltliches Grundgerüst des sozialen Zusammenlebens darstelle und in alle Bereiche der liberalen Gesellschaft hineinstrahle. Aber reicht ein allgemein politisches Gerüst beim Hausbau aus, ist es enkeltauglich?

Ein anderer kluger Mann schlug zusätzlich eine „religiöse Bildung“ vor, um die geistige Hausordnung, aber auch das Fundament, das Miteinander und Füreinander, positiv zu beeinflussen. Sofort gab es Widerspruch: Religion sei Privatsache. Und im Namen von Religionen wäre schon viel Porzellan zerschlagen worden. Basta!

In der Tat zeigt die Geschichte der Religionen schlimme Missbräuche und viel Zerstörerisches. Und auch in der Gegenwart gibt es schlimme Missbräuche und Instrumentalisierungen, eklatante Unwissenheit und gefährliche Gleichgültigkeit, Vorurteile und Verletzungen. Und es geht – wie so häufig im Leben – auch um Macht und Interessen, Anerkennung und Geld.

Aber soll ein Mensch deshalb die Augen vor Religionen mit lebensdienlichen Absichten verschließen, weil ihm Sand in die Augen gestreut werden kann, Steine in den Weg gelegt werden oder weil brutal und fanatisch mit Steinen geworfen wird?

Wenn eine Religion aus dem öffentlichen Raum – zum Beispiel der ordentliche Religionsunterricht in Schulen – verdrängt würde, dann kann – so die Erfahrung in anderen Ländern – ein Leerraum entstehen, in dem einseitige und fanatische Interpretationen von Religionen eindringen, die ihr Unwesen in Hinterzimmern treiben, nicht selten zu Lasten der missverstandenen oder missbrauchten Religion selbst, vor allem zum Schaden von Menschen und der Gesellschaft.

Wichtig sind deshalb ein mündiger und aufgeklärter Umgang sowie eine kritische und verantwortungsbewusste Auseinandersetzung mit Religionen in der Öffentlichkeit, eine religiöse Bildungsoffensive.

Dazu zählen die Zehn Gebote als aktuelle Lebensperspektiven, die ich in den folgenden Kolumnen thematisieren werde, weil sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus der Tiefe des spirituellen Denkens in die Breite des verantwortungsbewussten Handelns stärken können.

Burkhard Budde

Veröffentlicht in der Kolumne „Auf ein Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters am 10.9.2023