Moment mal

Zauber des Meeres

Von Burkhard Budde

Zauber des Meeres 

Wen der Pfeil des Schönen trifft, dessen Herz fängt an zu schlagen und dessen Augen sind fasziniert.

Das Meer ist eine schöne Verführerin, die sehnsüchtig in die Ferne blicken lässt. Mal bleibt sie ruhig, mal gibt sie sich aufgewühlt, mal wirkt sie anziehend, mal unnahbar. Sie lädt ein, Ärger des Alltags auf den Meeresgrund sinken zu lassen, um entkrampft vor allem Wasser, Wolken, Wind, und Mövengeschrei genießen zu können. Sie hilft, den Ballast im Kopf weg zu pusten und neue Träume in den Kopf zu spülen. Mit Leichtigkeit lässt sie sich treiben. Sie verspricht grenzenlose Freiheit, spannende Abenteuer und Leidenschaft, ewiges Kommen und Gehen – Horizonte, die neugierig machen sowie Fernweh und Heimweh untrennbar miteinander verbinden; Schiffe, die im Glitzer des Gegenlichtes verschwinden, aber einen sicheren Hafen haben, vor allem über einen Anker der Hoffnung verfügen; Inseln, die nicht untergehen oder wegschwimmen, sondern Zufluchtsorte für gestrandete Seelen und Quellorte neuen Lebens sind. Manchmal begibt sich die Verführerin jedoch auch hinter die Deiche der Vernunft, um die Wucht unbekannter und unberechenbarer Gefühlswellen abzumildern.

Doch das Meer ist nicht nur schöne Verführerin, sondern auch brutale Zerstörerin, ein Spiegel eines gefährlichen, bedrohlichen, unkontrollierbaren und destruktiven Lebens. Die Urgewalt, die Leben schafft, ist zugleich ein Ungetüm, das Leben zerstört. Aus den Tiefen werden durch Stürme und Flut zerbrochene Muscheln, abgerundete Steine, weggeworfener Plastikmüll, unbekannte Wrackteile sowie die Kadaver geheimnisvoller Wesen ans Ufer gespült. Wie auch sonst im Leben: Flutende Lebenskrisen, die den sicheren Strand der Ordnung, Gewohnheit und Sicherheit plötzlich verändern, können dunkle Botschaften, Unbewusstes und Verdrängtes, Verletztes und Zerbrochenes ans Licht bringen.

Und der Fußabdruck eines Mensch am Strand wird bei Flut und Wind verwischt oder verschwindet. Gilt nicht Ähnliches auch für das menschliche Leben? Wie lange existieren die Spuren eines Menschen? Wie schnell werden sie von anderen Menschen vergessen oder gar zerstört, als wenn es den Menschen nie gegeben hätte? Und was bleibt dann und überhaupt nach seinem Tod? Ist er nur ein Tropfen im Meer, der zu Wasserdampf verdunstet? Oder ein kleines Sandkorn, das der Wind wegbläst und keiner weiß mehr, wo es sich befindet?

Wer jedoch dem Geheimnis des Meeres – und damit dem Geheimnis des Lebens – auf die Spur kommt, der ahnt annähernd, dass in seiner Sehnsucht Ewiges im Endlichen und Endliches im Ewigen lebt.

Der sieht mit den Ohren etwas Besonderes, wenn das Licht mit den Wellen spielt.

Der hört mit den Augen etwas Einzigartiges, wenn rauschende Wellen das Licht verzaubern.

Der riecht mit den Händen etwas Außergewöhnliches, wenn sich Licht und Wellen reiben.

Wenn sich unbegrenzte Weite mit unbekannter Tiefe im Vertrauen auf den ewigen Schöpfer vereinen. Und der Liebhaber eines schönen Lebens kann im Gottvertrauen viele Neuanfänge sowie seine eigene Verantwortung entdecken, die sich im Meer der bedingungslosen Liebe Gottes geborgen weiß.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel

am 16. April 2023 in der Kolumne „Auf ein Wort“