Moment mal

Wunsch der Wünsche

Von Burkhard Budde

Leidenschaftlicher und vertrauensvollen Blick in eine ungewisse und unbekannte Zukunft

Moment mal

Der Wunsch der Wünsche

Die Liste der Wünsche ist lang. Die Latte der Erwartungen liegt hoch. Und aus Neben- und Vorsätzen sollen Hauptsätze werden. Hoffnungen haben Hochkonjunktur. Neben der Hoffnung auf ein „Ende der Pandemie“ und auf „Frieden“ wünschen sich viele „Glück“, „Gesundheit“, „Geselligkeit“ und einen „Guten Rutsch.“ Aber auch Sehnsüchte, die in der dunklen Tiefe der Seele schlummern, werden geweckt und dringen an die Oberfläche ins Licht.

Ein bunter Vogel beispielsweise, der unbegrenzte Freiheiten liebt, sehnt sich nach einem kuscheligen Nest. Eine scheue Maus, die sich am liebsten in ihrem sicheren Versteck aufhält, entdeckt die Sehnsucht nach der großen weiten Welt. Eine schnatternde Gans, die ununterbrochen ihre bissigen Kommentare abgibt, sucht unerwartet innere Ruhe und wird selbstkritisch. Ein treuer Hund, der fast immer gehorcht, verspürt plötzlich die Lust auf ein Abenteuer. Die selbstbewusste Katze, die sich nur selten etwas sagen lässt, sucht zur Überraschung aller den Frieden mit ihrer Umwelt.

Ein Blick in die Glaskugel kann die Zukunft, die viele Überraschungen und die Flüchtigkeit des Glücks kennt, nicht vorhersagen. Und auch keine Tipps geben, ob und wann ein Mensch Gas geben oder auf die Bremse treten soll.

Aber ein ungetrübter Blick in den Spiegel des Lebens hilft, Zukunft zu gewinnen: Offene Hände können Altes betrachten, Zerstörerisches loslassen und Neues, Aufbauendes empfangen. Offene Augen können Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden lernen, um das Notwendige – dass, was die Not in allen ihren Arten wendet – zu tun. Offene Ohren können auch im lauten Lärm oder in der lähmenden Stille die Rufe hören, die Hilfe brauchen oder Orientierung geben.

In diesem Spiegel sieht ein Mensch auch sich selbst. Immer deutlicher kann er eigene Wünsche wahrnehmen – nach einem Lächeln, einem Wort des Dankes, einem Zeichen der Wertschätzung, nach Freude und gelingender Gemeinschaft. Und auf der Suche nach Tiefgang erlebt ein Mensch die Tiefe seines Lebens.

Als Gottsucher wagt er ein Gebet: „Erhöre meine Wünsche.“ Und kann dabei im Zwischenraum von Wissen und Nichtwissen die Stimme des Glaubens hören: „Du bist mein geliebtes Geschöpf. Erfülle dein Herz mit Liebe. Und dann tu, was du im Geist der Liebe verantworten kannst.“ Und die geliebte Person, die Gott vertraut und ihm seine Zukunft anvertraut, auch wenn er nicht alle Wünsche (sofort oder anders) erfüllt, hat den frohmachenden Wunsch Gottes entdeckt.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

am 31.12.2021 in der Kolumne „Moment mal“