Moment mal
Weisheit der Mächtigen
Von Burkhard Budde

Zur Weisheit können sich Klugheit und Macht gesellen.
„Ich habe die Nase voll“, sagt mir eine Frau. Und dann erzählt sie mir von einem „Naseweis“, der sich ständig mit seinen Vorstellungen durchsetzen will, immer sagt, wo es lang geht und der von ihr einen „gebeugten Rücken“ erwartet.
Ein Naseweis, da hat die Frau recht, kann sehr mächtig sein – nicht nur als Alphatier, dem seine „Größe“ zu Kopf gestiegen ist; als Schauspieler, der seine Meinung schnell wechselt, um sich der jeweiligen Umgebung anzupassen; als Helfer, der den von ihm abhängigen Hilfsbedürftigen bevormundet; sondern auch als eine ganz „normale“ Person.
Doch Naseweis kann auch klug sein: Dann ist für ihn auf dem Weg durch eine unbekannte Landschaft eine Karte des Wissens wichtig, damit seine Launen und Vorurteile nicht den Takt vorgeben. Mit dem Kompass der Freiheit zur verantwortlichen Selbstbestimmung ohne Selbstlosigkeit und Selbstsucht kann er leichter neue Wege durchs unwegsame Gelände finden. Und wenn er aus Sinn- und Kraft- Quellen schöpft, geht er mit neuer Motivation und Hoffnung weiter.
Bei aller Klugheit kann Naseweis sogar weise werden: Wenn er das Gerümpel alter Kamellen, alter Rechnungen, alter (Feind-) Bilder loslässt, wird er von eigenen Belastungen befreit und entwickelt neue Erfahrungen und neue Perspektiven. Ihm werden Hintergründe, Zusammenhänge und Wechselwirkungen erhellt. Er lernt, dass alles seine Zeit hat, dass man Wichtiges vom Unwichtigen sowie Person und Sache unterscheiden muss, dass er den Balken im eigenen Auge nicht übersehen sollte, dass er die Kraft von außen – vor allem das Vertrauen – braucht, um ein erfülltes Leben zu führen, dass alles Wissen Stückwerk ist und Liebe nicht ersetzen kann, dass Rückgrat wichtiger ist als Erfolg um jeden Preis; dass er nicht sein eigener Gesetzgeber oder Richter sein sollte, dass alle Menschen von Neuanfängen leben, wenn sie auf die Nase gefallen sind.
Und warum sollte ihm nicht auch die Gewissheit vom Anfang und Ende aller Weisheit geschenkt werden – nämlich die Weisheit Gottes, die mächtige, aber auch vergängliche, die ohnmächtige, aber auch geliebte Menschen in der Hand behält. Damit Mächtige auf Zeit, die an Recht und Gesetz gebunden bleiben, gelassen und demütig – weise werden.
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 18. Januar 2021