Moment mal

Die vier Kerzen

Von Burkhard Budde

Moment mal

Die vier Kerzen

Der Künstler ist stolz auf seine Werke. Alle vier Kerzen sind ihm gelungen: Es sind einzigartige und unverwechselbare Originale. Alle spiegeln etwas von seiner Würde und seinem Herzblut wider. Und er hofft, dass sie in seinem Sinne wirken.

Die erste Kerze, die ein schöner Hingucker ist, versucht anderen Kunstwerken Freude zu machen. Aber angesichts der mächtigen Finsternis von Krisen und Katastrophen fällt es ihr immer schwerer, für gute Stimmung, inneren Frieden und äußere Leichtigkeit zu sorgen. Eines Tages fühlt sie sich wie eine Kerze, die nicht brennt.

Die zweite Kerze, die mit ihrem Licht angesichts von Zweifeln und Ängsten nicht täuschen und vertrösten, sondern Hoffnung stiften will, verliert selbst ihren Glauben an das Licht am Ende des Tunnels. Ist sie ein billiger Scheinwerfer, der blendet und in die Irre führt, ohne es zu wollen? Eines Tages fühlt auch sie sich wie eine Kerze, die nicht brennt.

Die dritte Kerze, die angesichts von Selbstverliebtheit und Selbstgerechtigkeit wahre Liebe verbreiten möchte, fängt an zu zweifeln. Zwar erklingt ihr Lied von Liebe und Freiheit, vom Frieden und von Versöhnung, aber es scheint nicht unter die Haut zu gehen. Ist sie eine Kerze ohne Echo, eine Nebelkerze ohne Durchblick, eine Kerze, die nicht brennt?!

Die vierte Kerze leuchtet still und unaufgeregt vor sich hin. Sie erwartet in der Dunkelheit der Zeit keine Wiederholungen von Treueschwüren, auch kein Voranschreiten des „Weiter so“, sondern die Ankunft von etwas Neuem. Sie vertraut ihrem Schöpfer, dem „Gott mit uns“, dem „Gesicht Gottes“, der Botschaft und dem Leben Jesu Christi. Sie leuchtet, weil sie Gottvertrauen hat. Und weil sie Gottvertrauen hat, leuchtet sie.

Das ewige Licht schafft die Finsternis nicht ab. Aber es kann tote Lichter, die herzlos sind, brennende Lichter, die sich scheinheilig  verhalten,  erloschene Lichter, die sich ausgebrannt fühlen, neu entzünden. Damit Menschen selbst zu Lichtern werden, die die Welt heller und wärmer machen – sichtbar freier und würdevoller, ganz im Sinne der unsichtbaren, aber erfahrbaren Lichtquelle.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 17.12.2022

in der Kolumne „Moment mal“