Moment mal

Die Macht der „guten Melodie“

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Die Macht der „guten Melodie“ 

Das Licht der Vernunft hört ein Lied des Glaubens. Die Melodie, die trotz ihrer Bekanntheit zugleich unbekannte Gefühle anspricht, öffnet und bewegt den Kopf: „Der Herr“ soll „mein Hirte“ sein, „meine Seele“ erquicken, mich auf einer „grünen Aue“ weiden und zum „frischen Wasser“ führen, mir dort ein erfülltes Leben ohne Mangel schenken?

Die Vernunft fängt an zu brummen, Paukenschläge werden lauter:

Brauche ich überhaupt einen „Hirten“?

Wenn ich wie ein ängstliches Schaf vor den Wölfen, vor Bosheiten, Hass und Gewalt flüchte und doch keine Überlebenschance habe?

Oder wenn ich wie ein angepasstes Schaf mit den Wölfen heule, den Starken und Mächtigen mal nachlaufe mal mitlaufe, selbst aber im mächtigen Chor der Interessen kein Gehör finde, weil ich zur Unmündigkeit verurteilt bin?

Oder wenn ich mich wie ein naives Schaf von Wölfen im Schafsfell, von Falschheit, Heuchelei und Gerissenheit blenden, mit leeren Versprechungen füttern und gebrauchen lasse, um eines Tages in den Stall der Bedeutungslosigkeit abgeschoben zu werden?

Oder wenn ich wie ein unvernünftiges Schaf auf eigene Faust sowie übermütig den Wolf zu vertreiben versuche und dann doch den Kürzeren ziehe, das grausame Wolfgehabe noch verschlimmere?

Oder wenn ich mich wie ein selbstverliebtes Schaf innerlich in einen Wolf verwandle, mich von der Herde entferne und mich schließlich im Dickicht der Selbstgerechtigkeit und Heimatlosigkeit verstricke?

Das Licht der Vernunft wird nachdenklich. Der Taktgeber des Lebens wird selbst aktiv? Er reagiert nicht nur auf mein Leben mit dem Tummelplatz unterschiedlicher Schafe und Wölfe in mir und um mich herum, sondern er „führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen“. Weil er in seinem Namen gegenwärtig ist, ist er auch in meinem Leben für mich da? Weil er nicht verführen will, führt er mich auf die Straße neuen Lebens, auf der ich befreites und freies Leben, erneuertes und neues Leben erfahren kann?

Selbst im „finsteren Tal“ auf dem Weg durch mein Leben verspricht er mir seine Nähe und Zuwendung, sogar seinen „Stecken und Stab“, seinen wirksamen Trost, seinen Beistand und seine Begleitung, damit die Furcht vor Unglück, Krankheit, Tod, Katastrophen, Kriege und Konflikte überwunden werden kann!

Und dieser Hirte will zu meinem Gastgeber werden: Selbst oder gerade im „Angesicht meiner Feinde“, der Brutalität und Ohnmacht, bin ich ohne Bedingungen, ohne Vorwürfe, ohne Moralpredigt eingeladen, mein Haupt mit Öl salben, Lebensfreude sowie mir volles Leben schenken zu lassen, mit der wundersamer Liebe des Hirten, seiner guten und barmherzigen Gemeinschaft im bleibenden Haus des Lebens zu rechnen.

Die erleuchtete Vernunft entdeckt, dass der Psalmbeter (Psalm 23) kein romantisches Schäferstündchen anstimmt, wohl aber mitten im Konzert der Lebenskämpfe die hörbare Melodie des unsichtbaren Schutzes, der wachsenden Geborgenheit, der hoffenden Gelassenheit sowie des letzten Sinns. Und dass Gott selbst die Vernunft durch eine gute Melodie vernünftig und menschlich macht. 

Burkhard Budde