Auf ein Wort

Auf den Kopf gestellt

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Auf den Kopf gestellt 

Eine alte Provokation kann zu einer aktuellen Ermutigung in Krisen werden. Ein Kunstwerk aus dem 12. Jahrhundert stellt die normale Realität auf den Kopf: Ein Mächtiger wird vom Ohnmächtigen besiegt. Ein Stärkerer liegt hilflos und kraftlos am Boden,  wo sonst der  Schwächere erwartet wird. Ausgerechnet ein Jäger ist zum Gejagten geworden, gefesselt, bewegungslos, hilflos. Das Werk zweier Hasen, die sonst Opfer der Jagd sind.

Diese Jagdszene ist am Kaiserdom zu Königslutter am Elm in der Mitte der Hauptapsis zu sehen. Die ehemalige Benediktinerklosterkirche – errichtet ab 1135 von Kaiser Lothar III aus Süpplingenburg, auch Grablege des Kaisers, vollendet von seinem Enkelkind Heinrich dem Löwen – hat aus damaliger Sicht  eine besondere symbolische Bedeutung: Ein Jäger stand für das „Böse“, ein Hase für das „Gute“. Auf jeden Fall öffnet das berühmte Jagdfries dem aufmerksamen Betrachter unserer Tage einen Raum vielfältiger Deutungen.

Das zerstörerische „Böse“ – zum Beispiel eine schlimme Krankheit, ein schmerzhafter Konflikt, ein brutaler Krieg – müssen nicht das letzte Wort behalten. Das Blatt kann sich wenden und unerwartet zum „Guten“ verändern.

Ein Aggressor zum Beispiel sollte seine Grenzen nicht überschreiten, indem er kein Erbarmen und keine Gnade, kein Recht und keine Souveränität, sondern nur seine Allmacht und Übermacht, imperiale Träume und Herrschsucht kennt. Ein Angegriffener, der zur Beute des Angreifers werden soll, kann nicht nur überleben, sondern den Aggressor auch in seine Schranken verweisen und sogar besiegen.

Allerdings zeigt das Jagdfries, worauf es ankommen kann:

Die Hasen sind bei allen Ängsten, die verständlich sind und auch Widerstandskraft motivieren können, keine „Angsthasen“, die einfach den Kopf einziehen, sich vom Acker machen und in die Büsche schlagen. Oder einen Kniefall vor dem Jäger machen, kapitulieren und einem Diktatfrieden zustimmen.

Auch scheinen sie keine „Mutbolzen“ zu sein, die sich selbst überschätzen und stolz vor Übermut den Angreifer unterschätzen. Und als „Illusionisten“ würden sie sich selbst nur täuschen, Enttäuschungen vorprogrammieren, indem sie auf süßes Gerede oder vergiftete Geschenke des Jägers hereinfielen. Oder als „Blauäugige“ gingen sie auf den Leim von Untergangspropheten, deren Schwarzmalerei und Propaganda.

Erfolgreicher, so eine mögliche Deutung des Jagdfrieses, ist wohl, dass sich „Hasen“, Angegriffene, zusammentun, zusammenhalten und zusammenbleiben, um sich  wehren und die tödliche Gefahr abwenden zu können. Dass die Hasen mit ihren Möglichkeiten und Mitteln – mit ihren Pfoten, Zähnen, eigenen und fremden „Stricken“ – den „Jäger“, den Angreifer, zu Fall bringen, um mit einem gebändigten und zurückgedrängten Jäger auf Augenhöhe und in Sicherheit und Selbstbestimmung  weiterzuleben.

Der Wille und die Tatkraft freiheits- und friedensliebender Hasen braucht jedoch auch die Hilfe anderer Hasen, die sich nicht gegenseitig ausspielen lassen. Sowie die Unterstützung von solidarischen Jägern, die die Notwendigkeit des Schutzes, der Verteidigung und des Erhalts von  Lebensräumen einsehen,  damit ein Leben in Freiheit und Würde trotz aller bleibenden Herausforderungen gelingen kann.

Burkhard Budde