Moment mal

Wer übertreibt, treibt

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Wer übertreibt, treibt 

Man kann alles übertreiben. Bei manchen Dingen schwingt das Pendel von einem Extrem ins andere. Das gilt zum Beispiel für Schwärmer, die zunächst alles durch die rosarote Brille sehen und Sternchen in ihren Augen haben, sich aber eines Tages Scheuklappen aufsetzen, weil sie enttäuscht oder verführt worden sind, alles nur noch negativ betrachten und zu Dauernörglern werden.

Oder für Erbsenzähler, die aus einer kleinen Ungenauigkeit einen großen Wirbel machen und zu Pauschalurteilen neigen.

Übertreiber baden im Wechselbad ihrer Gefühle und werden von ihnen getrieben. Das Pendel wird mal laut, mal leise, mal verdeckt, mal sichtbar, mal schnell(er), mal langsam(er) hin- und hergeschwungen. Die Stimmung kann zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt schwanken, zwischen höchstem Glücksempfinden und tiefster Trauererfahrung.

Die Einseitigkeit und Parteilichkeit, die Borniertheit und das Schwarz-Weiß-Denken können auch seltsame politische Kapriolen erzeugen, vor allem auf der negativen Seite: Detail- und Kontrollvernarrt wird das Haar in der Suppe gesucht. Dabei wird vergessen, dass durch übertriebenes Kopfschütteln und selbstgerechte Besserwisserei eigene Haare in die Suppe gefallen sind und sie ungenießbar gemacht haben.

Wer es mit Verboten und Regulierungen übertreibt, von oben herab erwachsene Menschen erziehen und eine gesellschaftliche Entwicklung zugunsten von Gruppeninteressen erzwingen will, behindert Kreativität und Eigenverantwortung, verhindert Pioniergeist und Engagement, vertreibt kluge Köpfe und den Fortschritt, der eigentlich allen zu Gute kommen sollte.

Oder wer seinen Mitmenschen ständig Etiketten auf die Stirn klebt, nur weil sie eine andere Meinung als sie selbst vertreten, sie auszugrenzen versucht und zum Schweigen bringen will, um das eigene Süppchen ungestört kochen zu können, zerstört in der Demokratie den freien und offenen Meinungsbildungsprozess im Blick auf tragfähige und nachhaltige Lösungen für alle.

Das schwingende Pendel lässt sich nicht einfach anhalten; auch helfen keine unrealistischen Ziele, wenn ihre Folgen, die Möglichkeiten und Bedingungen nicht mitbedacht werden. Wohl aber können Kompromisse als Lebenselixier der Demokratie gesucht werden. Maßstäbe wie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, Menschen- und Sachgerechtigkeit, Klima- und Umweltverträglichkeit, Wirtschaftliches und Soziales sowie Verantwortung für zukünftige Generationen sind zugleich positive Antriebsfedern, um einen fairen Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Überzeugungen zu erzielen.

Eine unsichtbare Feder der liebenden Vernunft kennt bei allen wechselnden Schwingungen und komplexen Verflechtungen ein hörendes Herz, das die Lebensfülle weitsichtig und zugleich konkret gestaltet, indem es mit den richtigen Mitteln die richtige Mitte im Möglichen entdecken hilft.

Wer diese Mitte sucht, wird eine gemeinsame Zukunft selbst in Zeiten wachsender Polarisierungen und Fragmentierungen finden – in Würde und Freiheit, in Sicherheit und Gerechtigkeit.

Und der Mensch mit seiner persönlichen Lernfähigkeit und Verantwortung, aus der er Zuversicht schöpfen kann, bleibt bei allen extremen Pendelschlägen stets Dreh- und Angelpunkt dieser dynamischen Mitte.

Burkhard Budde

Veröffentlicht am 27.8.2023 in der Kolumne „Auf ein Wort“ im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel