Moment mal
Reden und Streiten
Von Burkhard Budde

Auf ein Wort
Reden und streiten können
Kennen sie, lieber Leser, streitlustige Menschen, mit denen sie reden können? Oder mehr streitsüchtige Menschen, die ständig provozieren, indem sie immer wieder altes Salz in (fast) geheilte Wunden streuen? Oder vor allem Streitverweigerer, die einfach ihre Ruhe haben und ihren Frieden genießen wollen?
Bei manchen Menschen braucht man in manchen Situationen viel Geduld, Nervenkraft und Standfestigkeit: Zum Beispiel bei einem, den die Wut gepackt und die Kontrolle über seine Gefühle verloren hat. Oder der gefühllos andere eiskalt vor den Kopf stößt und noch stolz auf sein Verhalten ist.
Oder der nur gehässige Parolen nachplappert, menschenverachtende Feindbilder vertritt und verblendet sowie kopflos geworden ist. Der partout keine Fakten wahrnehmen will, weil er die eigenen vier Wände seines in Stein gemeißelten „Wissens“ nicht verlassen will. Der im Raum der Freiheit die Freiheit anderer mit verbaler Gewalt zu zerstören versucht.
Manchmal scheint ein freiheitsliebender Mensch mit seinem Latein am Ende zu sein. Wenn einer nicht sprechen, nur schreien und brüllen will; nicht hören, nur belehren und Leere verbreiten will;
sich nicht austauschen, nur Recht haben und sich durchsetzen will. Wenn einer nicht Person und Sache, Sein und Schein unterscheiden kann, sondern nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Freund und Feind, aber keine Zwischen- und Grautöne sowie Schnittstellen und mögliche Entwicklungen kennt.
Soll dann konfliktscheu und ängstlich „um des lieben Friedens willen“ alles mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werden? Muss die eigene Schere im Kopf immer größer werden, darf man nur noch das sagen und tun, was der andere erwartet, muss man sich dem Diktat eines Fanatikers beugen?
Oder hilft es, mit der Keule der Moral zurückzuschlagen, einen Sturm der Empörung zu entfachen und doch zum zahnlosen Tiger zu werden, weil Folgen ausbleiben und Hass und Neid, Dummheit und Hochmut nicht einfach verschwinden?
Den Raum der Freiheit aller, der zugleich ein Raum der Sicherheit und des Rechts ist, verteidigt man nicht mit einem Holzhammer, auch nicht mit Samthandschuhen, wohl aber mit dem Florett der aufgeklärten Vernunft, das einen souveränen und resilienten Umgang mit Konflikten und Gewalt ermöglicht: Manchmal müssen erhitzte Menschen erst abkühlen, um zur Besinnung zu kommen. Manchmal muss man zänkische Streithansl oder unbelehrbare Aktivisten ins Leere laufen lassen, um nicht in ihre Falle der Eskalation zu tappen. Manchmal müssen Wahrheitsfanatiker aber auch konsequent in ihre Schranken verwiesen werden, um offene Spielräume der wehrhaften Freiheit mit Spielregeln im Rahmen der Verfassung zu ermöglichen.
Es geht bei einer idealen demokratischen Streitkultur nicht um phrasenhaftes Gerede oder um inszenierte Selbstdarstellungen, weniger um den Austausch von Nettigkeiten oder um eine Fusion kontroverser Positionen. Vor allem sollte es – bei gegenseitiger Wertschätzung – um das bessere Argument in Abwägungsprozessen gehen, damit nicht Unvernunft und Gewalt triumphieren, sondern Unterschiede ausgehalten, neue Erkenntnisse gewonnen und tragfähige Lösungen komplexer Probleme gemeinsam gefunden werden können.
Und manchmal gelingt es auch, tragfähige Brücken über tiefe Gräben ins dynamische Spannungsfeld von Bewahren und Verändern zu bauen.
Burkhard Budde
Veröffentlicht in der Kolumne „Auf ein Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters am 25.2.2024