Moment mal

Streiten

Von Burkhard Budde

Nec aspera terrent.

Auch Rauheiten schrecken nicht.

Inschrift auf dem Spruchband des braunschweigischen Landeswappen

Moment mal

Mit Kopf und Herz streiten 

Kann ein Knoten im Seil gelöst werden?

Zwei Streithähne, die gestresst und frustriert sind, ziehen verbissen an beiden Enden des Seils. Der Knoten – kleinliche Zänkereien, verlogene Tricksereien und scheinheilige Spielereien – wird immer fester, die soziale Atmosphäre immer vergifteter, der gehässige Wortknüppel immer bedrohlicher.

Ein fester Knoten – heftiger Streit im Blick auf unterschiedliche Meinungen, Interessen und Wahrnehmungen oder im Blick auf Macht- und Beziehungsfragen – wird auch nicht von feigen Hasen gelöst, die aus Angst vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung einfach weglaufen oder in den Garten der Harmonie flüchten. Denn was nicht ausgetragen wird, wird nachgetragen und bei nächster Gelegenheit in einem anderen Zusammenhang aufs Butterbrot geschmiert.

Kann ein mächtiger und autoritärer Löwe einen Knoten lösen, indem er ihn einfach durchschlägt, lautstark brüllt, andere in Angst und Schrecken versetzt, um sie einzuschüchtern und gefügig zu machen? Mit eifernder Kraftmacherei und überheblicher Besserwisserei werden sprechende Tatsachen überhört, positive Taten kleingeredet, negative Taten aufgebauscht und neue gemeinsame Taten verhindert. Vor allem werden neue Knoten im Seil – in einer Beziehung, Gemeinschaft oder Gesellschaft – geschaffen.

Im Idealfall werden Streithähne, Angsthasen und Löwen einsichtig, befürchten nicht mehr, zu wenig oder neuen Streit, sondern gehen mit langem Atem und in gegenseitiger Wertschätzung aufeinander zu, um Knoten zu benennen, fair und sachlich, differenziert und konstruktiv zu besprechen, vielleicht auch produktiv zu lösen. Sie versuchen die Form einzuhalten, um Format zu entwickeln, zuzuhören, zu verstehen, Verständnis zu zeigen und Verständigung zu erzielen.

Aber manchmal geraten gute Vorsätze auch in Konflikt mit der Wirklichkeit, wenn zum Beispiel nur eine Seite den Knoten lösen will oder einen Kompromiss anstrebt. Manchmal muss man lernen, mit Knoten im Seil zu leben, bis Personen oder Verhältnisse sich ändern. Manchmal – so der Rat Jesu (siehe Matthäus 10,16) – muss man so klug sein wie Schlangen und ohne Falsch wie Tauben, um Bosheiten, Heucheleien und Überheblichkeiten widerstehen zu können – mit Vernunft und Gottvertrauen. Und um zu entdecken, dass die eigentliche Stärke des versöhnenden Evangeliums nicht in konkreten Handlungsanweisungen, wohl aber in der Befähigung zur Selbstkorrektur besteht.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

am 18.9.2021 in der Kolumne „Moment mal“