Auf ein Wort
Tröstende Steine
Von Burkhard Budde
Auf ein Wort
Sprechende und tröstende Steine
Was oder wer kann eine traurige Seele trösten? Wie, aber auch wo findet sie Trost im Schmerz?
Antworten der Religionen und Weltanschauungen sind unterschiedlich; zum Beispiel: Die Seele eines geliebten Toten sei unsterblich und lebe in der Welt der Götter weiter. Sie befinde sich in der Welt der Seligen auf Wanderschaft. Sie habe sich in einen anderen Körper verwandelt. Sie sei in die Welt der Natur zurückgekehrt.
Aber spielt der Ort des Toten (noch) eine Rolle für eine trauernde Seele? In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit wurden Gruben und Felsennischen immer wichtiger, wenn ein Mensch gestorben war, um ihn als Person zu bestatten. Gräber waren nicht nur Verwahrorte, die besonders vor Tieren schützten, sondern vor allem Trauer-, Gedächtnis- und Erinnerungsorte, an denen sich die soziale Identität einer Gemeinschaft entwickeln konnte. Sie standen zudem im Dienst der Ewigkeit – man denke nur an die Pyramiden der ägyptischen Oberschicht oder an die Grablegen der Adeligen. Und Gräber wurden nicht selten Magnete, zu Pilgerstätten oder zu regelmäßigen Besuchsorten der Angehörigen, um in der Erinnerungskultur den Kontakt zum Verstorbenen und zu seinem Lebenswerk zu wahren.
Noch heute ist der Ort, an dem eine Person seine letzte Ruhe gefunden hat, für viele Trauernde trotz schwindender Bindungen an festen Orten wichtig: Als Hilfe zur Trauerarbeit, da die Grabespflege oder der Besuch eines Grabes eine Art Pflege der Erinnerung sein kann; manchmal auch eine Art Ventil, um den Überdruck des Schmerzens, der Wut oder der Hilf- und Ratlosigkeit loszuwerden. Und abgesehen von der Stärkung einer Familiengeschichte berichten Trauernde von dem Gefühl, dass sich an einem individuell identifizierbaren Grab Jenseits und Diesseits in geheimnisvoller Weise berühren.
Auch Grabsteine mit Inschriften sollten nicht für das Leben unterschätzt werden. Sie können nämlich sprechen: Hier hat eine konkrete Person mit einem Namen, einer Lebensgeschichte und einem individuellen Fingerabdruck – keine Sache oder Material – einen Ort des Friedens gefunden. Und kein (Über-) Lebender soll vergessen, dass der Tod unausweichlich kommt, da jeder Mensch – auch der Hochmütige oder Gedankenlose – vergänglich und sein Leben endlich ist, auch wenn der Zeitpunkt des Eintritts des Todes ungewiss bleibt.
Wenn ein christliches Symbol wie das Kreuz auf dem Grabstein zu sehen ist, bekennen Grabsteine zudem: Der Tod des Verstorbenen bedeutet nicht sein endgültiges Auslöschen, sein kosmisches Auflösen, spurloses Verschwinden, absolute Anonymität. Der Mensch ist vielmehr als Person, die Gott geschaffen hat und liebt, wie ein Samenkorn der Ewigkeit. Der Tod ist in fester Zuversicht des Gott- und Christusvertrauenden ein Durchgang zum ewigen Leben, da Gott jeden Menschen „bei seinem Namen gerufen“ und angenommen hat.
Ist dieses Glaubensbekenntnis eine Illusion von Ewigkeit oder ein Trost der Ewigkeit?
Ist gegen den Tod überhaupt ein Kraut gewachsen? Der kritische Verstand kann sich – wenn er es denn will – im Dunkel der Fragen, Zweifel, auch angesichts von Überheblichkeit, Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit vortasten in die erhellende Gewissheit des christlichen Glaubens mit seiner Hoffnungsvision auf ewiges Leben.
Denn allen Mensch blüht der Tod; keinem welkt er. Gott selbst – kein Glücksbringer, kein zynischer Zuschauer, kein Götze, sondern Quelle allen Lebens – kann im Glauben in der scheinbaren Abwesenheit anwesend und im Leiden gegenwärtig sein sowie alles neu machen. Auch Tränen trocknen und eine trostlose Seele trösten. So dass ein Trauernder im Leben neu aufblüht, neue Liebe und neuen Sinn erfährt.
Burkhard Budde