Moment mal

Sorgengeister

Von Burkhard Budde

Verborgene Sorgen werden in Krisen offenbar

Moment mal

Sorgengeister

Schreckensbilder geschockter und verzweifelter Gesichter, die Notsituationen erleben, machen betroffen. Die Betroffenen selbst, die ihr Hab und Gut oder sogar einen Menschen verloren haben und unheimlich leiden, brauchen schnelle, unbürokratische und menschliche Hilfen. Ihre Selbsthilfe vor Ort, aber auch die Hilfe der Helfer von außerhalb verdienen die Anerkennung und Unterstützung aller.

Jenseits großer Natur- und Klimakatastrophen, die aus vielen erschütternden Einzelschicksalsschlägen bestehen und die u.a. mit Schutzmaßnahmen beantwortet werden sollten, gibt es leider auch große Katastrophen im Kleinen:

Ein Mensch blickt in das Gesicht eines Mitmenschen. Er sieht keine glänzenden Augen, sondern viele Sorgenfalten. Und er erfährt den Grund: Wegen einer schlimmen Krankheit ist eine große Operation in einem Krankenhaus notwendig. Sein Mitmensch, der in diesem Augenblick zu seinem Nächsten geworden ist, berichtet von Sorgengeistern, die immer mehr Macht über ihn gewinnen, die Nacht zum Tage machen, sein Nervenkostüm aufs Äußerstes strapazieren, aber auch das soziale Miteinander gefährden.

Nach einer Zeit des Schweigens fragt der in Notgeratene: „Werde ich wieder gesund?“ Der Befragte, dessen Gesicht etwas entgleist, antwortet: „Du kannst doch dem Operateur, der einen guten Ruf hat, Vertrauen schenken.“

Kann Vertrauen – neben vielen notwendigen Aktivitäten – ein Schlüssel zur Bewältigung von Not sein? Vertrauen fällt nicht vom Himmel, gibt es nicht per Knopfdruck, ist auch nicht in Stein gemeißelt, kann verloren gehen. Vertrauen wächst jedoch, wenn es begründet ist und erlebbar wird. Und ein Vorschuss an begründetem Vertrauen in Personen, die vertrauenswürdig sind und ihr Fach verstehen, sowie in dienende Institutionen, die sich in Krisen bewährt haben, ist lebenswichtig: Die Seele kann wieder durchatmen, ohne naiv und unkritisch zu werden; ein grübelnder Kopf seine Zweifel loswerden, ohne seine Eigenverantwortung zu verlieren oder konkrete Maßnahmen überflüssig zu machen.

Auch eine weitere Perspektive ist entdeckbar: Damit mächtige Sorgen nicht übermächtig werden, können große und kleine Sorgen unterschieden werden. Und zerstörerische Sorgen können vertrauensvoll in unsichtbare Hände gelegt werden, indem nicht nur über Gott geredet wird, sondern zu ihm und mit ihm. Vielleicht mit folgenden Worten: „Ich will Dich kennenlernen. Du bist mein Schöpfer und meine Hilfe. Vergiss mich jetzt nicht. Ich weiß nicht, ob Du mich hörst. Aber ich bitte Dich, mich zu erhören. Ich will Dir meine Sorgen anvertrauen. Ich traue Dir zutraue, sie zu verwandeln. Schenke mir neue Kraft zum Leben – Deine Liebe, die meine Sorgen vertreibt und meine Dunkelheit erhellt, die heilt und mir und anderen hilft, zu sorgen als sorgte ich nicht.“

Und ein unsichtbares Lächeln kann im Gesicht eines Vertrauenden sichtbar werden.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe in der Kolumne „Moment mal“ am 24.7.2021