Moment mal

Sie brauchen einander

Von Burkhard Budde

Hänschen braucht Hans

Moment mal

Sie brauchen einander

Hänschen, neugierig und lernfreudig, entdeckt mit Hans, erfahren und kinderlieb, das bunte Leben. Beide staunen beim Stadtbummel über die reichhaltigen Angebote, beide sind entzückt beim Blick in den grenzenlosen Himmel, auf das weite Meer und vom hohen Gipfel des Berges.

Hans, stolz auf Hänschen, nimmt sich für ihn Zeit, spielt und freut sich mit ihm, hört gespannt zu, wenn Hänschen über eigene Erlebnisse berichtet und Unbekanntes hinterfragt. Dann erzählt Hans nicht selten aus seinem Leben, um mit Hänschen eine Antwort zu finden. Hans strahlt Gelassenheit aus, wenn er für Hänschen in gefährlichen Situationen Grenzen aufzeigen oder Nein sagen muss. Und Begründungen gibt, selbst wenn Häschen sie nicht alle versteht.

Hänschen wird auf seinem Lebensweg noch viel erleben: Den „Prahlhans“, der seine Vorzüge und Erfolge stets herausstellt, ja rühmt, weil er in sich selbst verliebt erscheint oder heimlich unter Minderwertigkeitsgefühlen leidet. Den „Hanswurst“, den viele nicht ernstnehmen und wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, weil seine Wahrheiten nicht mehr in ihr Weltbild passen. Den „Hansdampf in allen Gassen“, der auf allen Straßen des Lebens mitmischen will, jedoch ins Leere läuft, weil er sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren kann. Oder den „Hans-Guck-in-die Luft“, der ständig auf sein iPad schaut oder nur von seiner Weltsicht träumt, gefährliche Stolpersteine übersieht, aber auch beglückende Begegnungen. Und leicht auf die Nase fällt, wenn Menschen ihn mit ihrem Masken- und Etikettenspiel manipulieren. Vielleicht auch „Hans im Glück“, der „leichten Herzens“ und „frei von aller Last“ sein Zuhause findet.

Hänschen braucht einen Hans, der ihm hilft,  Freude am und im Lernen zu haben, Unterschiede wahrzunehmen, Eigenes zu entwickeln, immer unabhängiger, eigenverantwortlicher und souveräner zu werden, auch Spannungen, Mehrdeutigkeiten und Entwicklungen auszuhalten. Und Hans braucht Hänschen, weil er ihn ständig in Bewegung hält, dazuzulernen und umzulernen, sich schlechte Gewohnheiten abzugewöhnen und neue auszuprobieren.

Bei beiden kann die Einsicht wachsen:  Jeder Mensch lebt als „Hänschen“ und als „Hans“. Das Leben des „Hans“ beginnt, wenn ein Mensch bedenkt, dass sein Leben ein einmaliges Geschenk ist, eine unverwechselbare Biographie und einen eigenen Sinn hat. Dass jeder Mensch mit einer angeborenen Würde, mit Sinnen und Verstand ausgestattet ist. Und dass der Geber der Lebenszeit stets der Freie und Liebende bleibt, damit ein Mensch sich in liebender Vernunft verändern kann.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe

in der Rubrik „Moment mal“ am 16.10.2021