Moment mal

Frieden stiften?

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Frieden stiften? (Sechstes Gebot)

Zehn Lebensperspektiven begründen das Zusammenleben, stärken den Zusammenhalt und erneuern das Zusammenbleiben: Die Zehn Gebote gehören zur einheits- und sinnstiftenden Schatzkammer von Juden und Christen. Sie sind jedoch auch eine Einladung an Andersdenkende, in den Raum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einzutreten, um neue Entdeckungen sammeln zu können –  vielleicht auch ein glückseliges Leben in der letzten Geborgenheit bei Gott und in der Verantwortung vor Gott und dem Nächsten.

Die sechste Perspektive in jüdischer Lesart lautet:

Du sollst nicht morden.

Eine mögliche Antwort ist: Weil Gott will, dass alle seine Geschöpfe das von ihm geschenkte Leben achten.

Dein Leben wird beseelt, gewinnt Sinn und Liebe, wenn du keinen Menschen tötest, dem Gott eine unantastbare Würde geschenkt hast. Kein Mensch soll einmaliges und gewürdigtes menschliches Leben auslöschen, vorsätzlich, heimtückisch, habgierig oder grausam zerstören. Jeder Mensch hat jedoch in Demut und Ehrfurcht vor Gott sowie in Verantwortung vor ihm und dem Nächsten das Recht auf Selbstverteidigung sowie eine Pflicht zur Verteidigung des Lebensschutzes, der Würde und der Freiheit.

Aber spricht die heillose Welt nicht eine ganz andere Sprache? Wird es nicht immer schwerer, das Leben nachhaltig zu gestalten, sich für den Frieden in Freiheit und Sicherheit einzusetzen?

Töten hat viele Gesichter: Zum Beispiel im Straßenverkehr (unabsichtliches Töten bzw. fahrlässige Tötung), am Anfang des Lebens (Frage der Abtreibung und des Lebensschutzes), am Ende des Lebens (Frage der Sterbehilfe und des Sterbens in Selbstbestimmung) oder im Alltag des Lebens (Frage der Selbsttötung durch einen ungesunden Lebensstil).

Im Neuen Testament weist Jesus darauf hin, dass das Töten bereits mit der Pflege von Vorurteilen und Feindbildern, vor allem mit fanatischem Hass, der die Existenzberechtigung eines anderen Menschen in Frage stellt, oder einer rachsüchtigen Gesinnung anfängt. Aber gibt es nicht auch ein erlaubtes Töten im Extrem- oder Einzelfall? Zum Beispiel bei der Polizei oder beim Militär, wenn staatliche Gegengewalt als letztes Mittel oder als Abwehr brutaler Gewalt eingesetzt wird, um den öffentlichen Frieden wieder herzustellen oder wehrlose und unschuldige Menschen zu schützen – nicht willkürlich, sondern sachlich begründet; nicht unverhältnismäßig, sondern Nutzen und Schaden abwägend; nicht verantwortungslos, sondern demokratisch legitimiert?! Denn wenn ein Staat auf glaubwürdige Abschreckung, angemessene Selbstverteidigung und effektive Gegenwehr im Rahmen des Rechts verzichten würde, könnte genau das geschaffen werden, was er verhindern will, indem er Türen zu Räumen öffnet, in denen das Recht des Stärken, Willkür und Gewalt herrschen.

Im hebräischen Original des sechsten Gebotes steht das Verb „ratsah“ („morden“) – nicht das Wort „harag“ („töten“). Morden ist eine besonders schwere Form der Tötung, ein heimtückisches, grausames und gemeingefährliches Verbrechen. Und wer ein Leben unrechtmäßig und unethisch auslöscht, zerstört zugleich die Gottähnlichkeit des Menschen. Aber Gott will, dass Menschen ihr Leben in Würde, Freiheit und Verantwortung vor ihm sowie vor der Mit- und Nachwelt führen können. Und der Geist seiner Liebe und Wahrheit kennt für Mord und Terror keine Rechtfertigung oder Entschuldigung.

Burkhard Budde