Moment mal
Schutz des Lebens
Von Burkhard Budde
Kirche als Steigbügelhalter
FAZ- Leserbrief zum Thema Lebensschutz und Selbstbestimmung
Der Rat der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schlägt offensichtlich vor, den Schwangerschaftsabbruch in Zukunft erst zu einem späteren Zeitpunkt – spätestens ab der 22. Schwangerschaftswoche, wenn der Fötus außerhalb de der Mutter lebensfähig ist – strafrechtlich zu regeln.
Thomas Rachel, Bundesvorsitzender des EAK der CDU/CSU und EKD-Ratsmitglied kritisiert zu Recht diesen Vorschlag. Warum soll der bisherige gesellschaftliche Konsens aufgelöst werden? Der Ausgleich zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Recht der Selbstbestimmung der Frau dient beiden Grundrechtspositionen: Der Abbruch ist grundsätzlich verboten, aber straffrei bei Vergewaltigung, Gefährdung der Gesundheit/des Lebens der Mutter und innerhalb einer Frist von zwölf Wochen nach der Empfängnis bei vorheriger Beratung. Der Kompromiss, der die Rechtsgüter nicht gegeneinander ausspielt, sondern aufeinander bezieht, verhindert, dass Abtreibung zur „normalen Möglichkeit“ wird und dass das existentielle Thema die Gesellschaft polarisiert und spaltet.
Macht sich die EKD – wie es Daniel Deckers in seinem Kommentar in der F.A.Z. vom 12. Oktober formuliert – zum „Steigbügelhalter“ der Kräfte einer „autonomen Selbstbestimmung“, indem die Sicherung des Lebensschutzes eines ungeborenen Menschen durch das Strafrecht teilweise aufgehoben wird?
Dieser EKD- Vorschlag öffnet die Tür zur Einseitigkeit. Warum setzt sich der Rat der EKD nicht für die „doppelte Anwaltschaft“ (Thomas Rachel) ein? Empathie und Fairness, Humanität und Solidarität sowohl im Blick auf Mütter und Väter als auch im Blick auf ungeborene Kinder würden der Gesellschaft mit einem humanen Gesicht und familienfreundlichen Bedingungen nachhaltiger und glaubwürdiger helfen.
Die Aufgabe des Staates ist es nach dem Grundgesetz, die Würde aller Menschen – auch die der ungeborenen und noch nicht geborenen – zu achten, zu verteidigen und zu ermöglichen. Zum Programm der Kirchen sollte die Nächstenliebe gehören, in der Gottesliebe und Gottesebenbildlichkeit aufleuchten können. Da diese Würde als transzendentes Geschenk unantastbar und unverlierbar ist, nicht teilbar, verfügbar oder befristet, nicht erst „lebensfähig“ werden muss, sollte sie von allen als Conditio sine qua non allen Lebens erkannt und anerkannt werden.
Und humanes Verhalten – im Zweifel für die Schwächeren, Interessenlosen und Sprachlosen – ist die Bewährungsprobe der Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft in Würde, Freiheit, Solidarität und Verantwortung.
Burkhard Budde
Leserbrief zum Artikel „Kritik an Paradigmenwechsel“ von Reinhard Bingener (F.A.Z. vom 13.10.2023) und zum Kommentar „Steigbügelhalter“ von Daniel Deckers (F.A.Z. vom 12.10.2023); veröffentlicht am 17.10.2023