Moment mal

Rücksicht

Von Burkhard Budde

Gerade in einer Krise sitzen alle in einem Boot.

Ein Song wird im Autoradio gespielt. Die Sänger des Liedes „Rücksicht“ stochern im Nebel ihrer Gefühle, versuchen sich auf ihr Seelenleben zurückzuziehen, werden die Frage jedoch nicht los „Warum sind wir nicht früher aufgewacht?“ Waren wir zu sehr in unser eigenes Ich verliebt – wie „verwöhnte Kinder“? Der Hörer des Songs von Michael und Günther Hoffmann – der deutsche Beitrag zum Eurovision Song Contest 1983 in München – verspürt die Aktualität und Übertragbarkeit der Kernbotschaften dieses „Ohrwurmes“, die nicht nur für Liebesbeziehungen gelten.

Rücksicht?! Im Boot des Lebens sitzen nicht nur „Starke“ mit Ellenbogen, sondern auch „Schwächere“, die leicht verletzt werden können. Alle sollen aufeinander Acht geben und gegenseitig Rücksicht nehmen, damit das Boot nicht kentert oder auf Sand setzt. Und in Wahrheit ist jeder Mensch zugleich „schwach“ und „stark“.

Nachsicht?! Keiner ist unfehlbar, hat eine Blaupause aus der Vergangenheit oder den Stein der Weisen gefunden. Wenn alle in ihrer jeweiligen Situation verständnisvolle Geduld entwickeln und auch einmal die Brille ihres Mitmenschen aufsetzen, kann die Bootsfahrt gelingen. Und aus Fehlern kann gelernt werden.

Vorsicht?! Jeder trägt eine Verantwortung auch für den Schutz des Lebens anderer sowie für den des ganzen Bootes. Wer vorsichtig ist, ohne in Panik zu geraten, ohne sich zum Erzieher anderer aufzuspielen oder sich gleichgültig zurückzuziehen, beugt Gefahren vor; im Zweifel für die vorsorgende Sicherheit. Und die Freiheit in Würde erhält eine Chance.

Einsicht?! Alle brauchen auf dem Meer des Lebens Bojen gemeinsamer Orientierung sowie einen Kompass der Vernunft, damit die Fahrt ins Ungewisse nicht scheitert. Und Kapitäne, die Unvernünftige zur Vernunft bringen und Vernünftige vor Unvernünftigen schützen.

Weitsicht?! Neue Horizonte können trotz oder gerade wegen Wellen oder Windstille entdeckt werden: Schöpferische Innovationen in Forschung, Wissenschaft und Technik und bewährte Traditionen wie Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft gehören dazu. Und Besonnenheit, Gelassenheit und Weisheit ermöglichen Zukunft.

Die Sehnsucht nach dem Meer neuen Lebens bewegt Menschen in einer Krise, nicht aufzugeben. Und dem „Wasser des Lebens“ – Gott -zu vertrauen, da er den Menschen geschaffen hat, ihn trägt und erneuert, ihm neue Kraft und neuen Sinn schenkt.

Und während der Autofahrer – ein „kluger Kopf“ – diese Sichtweisen in seinem Herzen bewegt, fährt er immer vorsichtiger. Und wird zum Boten der Botschaft „Rücksicht!“ Damit niemand – wie es zum Schluss des Liedes heißt – „zerbricht“.

Burkhard Budde

Veröffentlicht im Westfalen-Blatt am 23.1.2021 in Ostwestfalen und Lippe

sowie im Wolfenbütteler Schaufenster am 24.1.2021