Moment mal
Ständige Erneuerung
Von Burkhard Budde

Moment mal
Ständige Erneuerung
Eine Mutter bekam Zwillinge. Im Laufe der Zeit entwickelten sich ihre Kinder immer mehr auseinander. Der eine Zwilling, der die Mutterrolle ganz allein für sich beanspruchte, wollte immer das letzte Wort haben. Als er im 16. Jahrhundert ein Geschäftsmodell vom „Beten, Bereuen und Bezahlen“ entwickelte, ging das Geschwisterkind auf die Barrikade. Das gemeinsame Erbe der Mutter sollte bewahrt und erneuert werden. Der Streit eskalierte und beide verurteilten sich gegenseitig. Außenstehende Mächte mussten nach langen gewaltsamen Auseinandersetzungen ein „friedliches Nebeneinander“ der Zwillinge herstellen.
Jahre später gab es für beide Zwillinge starken Gegenwind. Ihre Mitwelt, die aufgeklärter und unabhängiger geworden war, kehrte beiden immer häufiger den Rücken zu. Die Zwillinge fingen an, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Sie wollten vor allem ihr abgeschirmtes Eigenleben, aber auch ihren Einfluss auf die Mitwelt nicht verlieren.
Eines Tages gab es ein großes Erdbeben. Skandale, Missstände, sogar Straftatbestände kamen ans Licht und erschütterten die Glaubwürdigkeit der Zwillinge. Viele ihrer Anhänger stimmten mit den Füßen ab. Manche jedoch blieben ihnen treu verbunden – weil sie an eine Rundumerneuerung, vor allem an die Gründungsurkunde der Mutter glaubten: Kirche Jesu Christi – in welcher Gestalt eines Zwillings auch immer – geschieht, wo das Wort Gottes verkündigt, Gemeinschaft im Namen des dreieinigen Gottes erfahrbar und Barmherzigkeit im Geiste des Evangeliums erlebbar wird.
Die beiden Zwillinge lernten, sich wieder neu auf die gemeinsame biblische Botschaft zu besinnen – als ihre geistliche Quelle, als ihren ethischen Kompass, als ihren bewegenden Grund, anderen Menschen verantwortungsbewusst zu helfen.
Die Zwillinge brauchten jetzt keine neuen Etiketten, keine noch bunteren Kostüme, keine politisierenden oder moralisierenden Lautsprecher, keine Räume für machthungrige und selbstverliebte Schauspieler. Sie brachten Licht in die Dunkelkammern der Täter in Schafskleidern, die aber im Inneren wie reißende Wölfe sind, setzten sich konsequent für die Opfer, neue Strukturen und neue Personen ein. Ihre Liebe wuchs, nicht zur Bürokratie und zur Selbstbeschäftigung, wohl aber zur Verkündigung des Evangeliums, zum Dienst am Menschen, zur Förderung der Jugendarbeit, der Kirchenmusik, zum Gemeindeaufbaus vor Ort. Aus Hochmut wurde ehrliche Demut, aus Herrschaft aufrichtiger Dienst, aus Wehleidigkeit begründete Hoffnung.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 29.10.2022 in der Kolumne „Moment mal“ und im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel am 30.10.2022 in der Kolumne „Auf ein Wort“