Auf ein Wort

Suche gute Tugend: Ordnung

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Suche gute Tugend: Ordnung 

Ist die alte Tugend Ordnung heute noch alltagstauglich und lebensdienlich? Hat das Sprichwort aus dem 19. Jahrhundert „Ordnung ist das halbe Leben“ im 21. Jahrhundert eine neue Brisanz und Relevanz bekommen? Und welche Bedeutung hat die Unordnung als andere Lebenshälfte?

Wenige werden widersprechen, dass zum Leben Ordnungen gehören. Denn wer möchte schon im Dschungel der Regellosigkeit leben, in dem Angst vor Ellenbogen und Fäusten, Schläge unter die Gürtellinie, aber auch Korruption und Misswirtschaft, Lug und Betrug herrschen? In dem der Einzelne ein beliebiger Spielball der Stärkeren ist und willkürlich auch über Minderheiten geherrscht wird?

Aber wer will andererseits sein Leben in einem Käfig voller Regulierungs- und Kontrollwut fristen? Wer will ständig mit einer Schere im Kopf herumlaufen, um nur nichts „Abweichendes“ von der Regel zu sagen, nichts „Unkorrektes“, nichts „Provozierendes“? Und böse Blicke und bissige Kommentare oder gar kalte Ausgrenzung ernten, wenn er sich nicht stur an eine eigentlich überflüssige Regel hält? Und wer trägt schon gerne ein Korsett von Vorschriften, in das Paragrafenreiter und ideologische Schlaumeier ihn gesteckt haben, das einengt und unbeweglich macht, die Freude am Leben und die Luft zum Atmen nimmt?

Und gibt es nicht – politisch gesehen – einen fundamentalen Unterschied zwischen einer autoritären und totalitären Ordnung mit giftiger Propaganda sowie knallharten Hierarchien auf der einen Seite und einer demokratischen und freiheitlichen Ordnung mit freien Medien und unabhängigen Gerichten sowie souveränen Individuen und Wahlmöglichkeiten auf der anderen Seite – bei allem Reformbedarf auch liberalen Demokratien gegenüber?

Jenseits einer Dschungel- und Käfigordnung macht Ordnungsliebe Sinn, wenn sie zu keiner Ordnungssucht oder zu einem autoritären Chaos mit scheunentorweiten Lücken in Gesetzen führt. Wenn sie vielmehr klugen und umsetzbaren Regeln und Strukturen, vor allem dem Menschen und der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft dient: So viel sinn- und einheitsstiftende Ordnung wie nötig und so viel an die Verantwortung gebundene Freiheit wie möglich. Eine solche offene, aber regelbasierte Ordnung ist wie ein Geländer, das Halt gibt, wenn der Einzelne ins Wanken gerät. Wie ein Rahmen, der eine Perspektive des Zusammenhalts, der Zusammenarbeit oder des Zusammenbleibens gibt, wenn alle sich an Recht und Gesetz halten.

Allerdings kann diese lernende Ordnung die persönliche Rechenschaftspflicht, Verlässlichkeit und Integrität nicht ersetzen. Eine dienende Ordnung atmet den Geist der Aufklärung, wenn sie freiwillig und aus Einsicht von möglichst vielen gelebt wird, weil sie ohne Fesseln auskommt, aber sinnvolle, verhältnismäßige und zumutbare Bindungen bejahen lässt sowie Kreativität und Fortschritt, Flexibilität und Resilienz ermöglicht.

Eine menschengerechte Ordnung atmet zudem den Geist der Goldenen Regel, wenn sie zugleich die individuelle Würde und das friedliche und gedeihliche Miteinander auf Augenhöhe stärkt: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. “ (Lk 6,31)

Wenn der Wind des Wandels weht, sind nicht selten neue Regeln notwendig. Aber es muss ja nicht immer gleich ein engmaschiges Netz von starren Regeln sein. Manchmal müssen auch alte Regeln weichen, weil neue oder weniger Regeln effektiver sind, um den Wind für eine anziehende und ausstrahlende Ordnung zu nutzen, die die Tür zu einer gemeinsamen Zukunft sowie einem gelingenden (Alltags-) Leben öffnet.

Burkhard Budde