Moment mal

Wahrheitssuche

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Wahrheitssuche? (Neuntes Gebot)

 Reden oder schweigen?

Die neunte Perspektive nach jüdischer Zählung der Zehn Gebote lautet zusammengefasst:

Du sollst keine falsche Aussage über einen deiner Mitmenschen machen.

Nicht Falsches über andere sagen?

Eine mögliche Antwort ist: Weil Gott will, dass Menschen respektvoll, aufrichtig und fair miteinander umgehen. 

Dein Leben wird beseelt, gewinnt Sinn und Liebe, wenn du Wahres und Richtiges in liebender Vernunft sagst, nicht mit gespaltener Zunge sprichst oder absichtlich und gezielt andere Menschen schlecht- und kleinmachst, um dich selbst groß und wichtig zu machen. Sowohl Heuchler mit überheblicher Doppelmoral als auch Wahrheitsfanatiker mit sturem Schubladendenken vergiften das Miteinander und zerstören notwendiges Vertrauen, das ein Schlüssel zum glücklichen Leben in Gemeinschaft ist.

Da es „die Wahrheit“ nicht gibt, sind Urteile stets zeit-, situations- und personenabhängig sowie vorläufig; müssen „Wahrheiten“ immer wieder neu gesucht werden. Irrtum und Täuschung sind ständige Begleiter bei der aufrichtigen und ehrlichen Suche nach stimmigen und widerspruchsfreien Beurteilungen und Urteilen. Wer selbst vorurteilsfrei und fair sowie verständnisvoll und respektvoll behandelt werden will, soll nicht hinter dem Rücken eines Menschen Halbwahrheiten oder Falsches über ihn verbreiten. Lebensdienlicher ist es, bei Konflikten möglichst mit seinem Mitmenschen zu sprechen, auch in seiner Abwesenheit fair zu bleiben, vor allem um eine Aussprache bemüht zu sein, um ihn besser zu verstehen und gerechtere Lösungen auf Augenhöhe oder tragfähigere Kompromisse mit ihm zu finden. 

Aber vermischen sich nicht häufig Wahrheit und Wahrnehmung, Wirklichkeit und Vorstellung? Gibt es nicht auch eine empathische Unwahrheit und liebevolle Scheinwahrheit, um zum Beispiel den Gastgeber eines schlechten Essens oder die Besucher mit einem unpassenden Geschenk nicht unnötig oder krass zu verletzen?

Wem das Wasser bis zum Halse steht, kann zum Meister von Halbwahrheiten oder Notlügen werden, um zu überleben. Wer allerdings (Selbst-) Täuschung zum Lebensprogramm macht, errichtet ein Lügengebäude, das in sich zusammenbricht, wenn ihm der Spiegel der ganzen Wirklichkeit vorgehalten wird. Und wenn ein Kartenhaus der Manipulation und Intrige erst einmal zusammengebrochen ist, braucht es eine lange Zeit, um begründetes Vertrauen neu aufzubauen.

Es lohnt sich, Wahrheits- und Wahrnehmungsverzerrungen sowie Lügen- und Wunschgeschichten zu überwinden und sich mit offenen und neugierigen Augen auf die nie abgeschlossene Erkenntnis- und Wahrheitssuche zu machen. Doch manchmal kann es einem Menschen auf dem Lebensweg wie Schuppen von den Augen fallen: Gott als Lebenselixier wahren Lebens ist ein Freund des Menschen: Er sieht sein Geschöpf mit liebenden Augen, achtet sein Geschöpf, verachtet jedoch seine Denkfaulheit und Gleichgültigkeit, vor allem seinen Fanatismus, seinen Hass, seine Gier und seinen Neid. Und den Missbrauch seines Namens. Sowie die Lebenslüge seines Geschöpfes, ohne ihn als Schöpfer in Zeit und Ewigkeit leben zu können.

Burkhard Budde

Veröffentlicht in der Kolumne „Auf ein Wort“ des Wolfenbütteler Schaufensters am 12.11. 2023