Moment mal

Mensch in Not

Von Burkhard Budde

Moment mal

Mensch in Not

Eine Person sitzt in ihrem Sessel und denkt nach: Was ist der Mensch…?

Ein Triebwesen voller Gefühle, ein getriebener Treiber? Ein Mängelwesen voller Bedürfnisse, anpassungs- und wandlungsfähig? Von Natur aus ein böses Wesen, stets auf der Suche nach eigenem Vorteil? Oder eher ein gutes Wesen, stets auf Fairness, Gegenseitigkeit und Wechselseitigkeit ausgerichtet? Ein Mischwesen voller bekannter und unbekannter Kräfte, die in ihm unterschiedlich agieren, mal auf eigenen Nutzen bedacht, dann an die Existenzkrise anderer gedacht, mal nicht mitgedacht, wieder alles durchdacht und manchmal auch weitergedacht?

Oder ist der Normal-Mensch – wie Philosophen behaupten – ein vernunftbegabtes und soziales Wesen, das immer neue Wahrheiten sucht und in viele Rollen schlüpft. Andere beschreiben den Menschen als ein heuchlerisches Wesen, einem Wolf im Schafsfell gleich. Wieder andere als ein Schaf im Wolfspelz, als ein Wesen mit weichem Kern, aber harter Schale.

Es ist wohl ein Kreuz mit dem Menschen; sein Herz ist „ein trotzig und verzagt Ding.“ (Jer.17,9)

Fest steht allerdings, dass ein Mensch kein Löwe ist und auch zu keinem brüllenden Löwen wird, wenn eine Person ihn so bezeichnet. Dass er keine Marionette ist, auch wenn eine Gruppe Strippenzieher ihn erziehen will, um ihn nach ihrem Bild zu gestalten. Dass er keine Sprechmaschine ist, auch wenn eine Minderheit ihn mit einer neuen Sprache zu programmieren versucht.

Fest steht jedenfalls auch, dass jeder Mensch einen unverwechselbaren Fingerabdruck hat, ein einmaliges, aber sterbliches Original  ist – mit einer ganz individuellen Geschichte und einer  ganz persönlichen Situation.

Der Denker in seinem Sessel entdeckt noch eine andere Perspektive. Erstaunt nimmt er einen staunenden Beter wahr: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst,…dass du dich seiner annimmst.“ (Psalm 8,4) Offensichtlich lobt ein Beter Gott, der den Menschen nicht klein macht, sondern an ihn denkt und ihn annimmt – als sein geliebtes Geschöpf und gewürdigtes Ebenbild. Er vertraut ihm zugleich selbstbewusst und demütig. Und er erwartet von dem liebenden Gott – nicht von Ersatzgöttern, die das Maß aller Dinge sein wollen – neues Leben.

Der Denker denkt weiter: Kann nicht auch ein Mensch unserer Tage mit diesem Gott rechnen, selbst angesichts nackter Not? Schenkt der ewige Gott nicht seinem Ebenbild einen Neuanfang?

Und der Mensch in seinem Sessel steht auf, sieht den Mitmenschen in Not, vertraut auf Gottes liebende Kraft, nimmt seine Verantwortung wahr, tut das Nötige im Möglichen, das im Augenblick Not-Wendige.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 17.9.2022 in der Kolumne „Moment mal“ sowie im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel am 18.9.2022 in der Kolumne „Auf ein Wort“