Moment mal
Sehnsucht Freiheit
Von Burkhard Budde

Fabel von den Krabben, die von einer unsichtbaren Hand in einen Korb geworfen werden.
Sind Menschen wie Strandkrabben? Krabben wandern am Meer hin und her – seitwärts und häufig blitzschnell. Manche wirken fröhlich und mutig, andere traurig und ängstlich, wieder andere gleichgültig und trotzig. Viele verhalten sich mal so mal so. Manche genießen das Leben, andere graben sich lieber in den Boden ein, um nicht aufzufallen. Auch Kämpfe zwischen den gepanzerten Strandkrabben mit ihren „Knackscheren“ kommen vor sowie Fluchtversuche. Alle sind jedoch über einen überraschenden Leckerbissen begeistert. Jede Krabbe ist von einer unendlichen Sehnsucht nach endlichem Glück getrieben.
Eines Tages sammelt eine unsichtbare Hand die Krabben ein und wirft sie in einen Korb. Dann wird der Korb mit einem Deckel verschlossen. Wegen der plötzlichen Dunkelheit und ungewohnten Enge herrscht zunächst eine Schockstarre, dann entwickelt sich ein chaotisches Durcheinander. Jeder scheint sich selbst der Nächste zu sein. Und als Futter auftaucht, wird gebissen, verbissen weggebissen. Jeder kämpft gegen jeden, sucht seinen Vorteil. Und wenn es sein muss, auf Kosten des anderen, des Schwächeren.
Einzelne Krabben, die genervt sind, überlegen: Wie kann ein Leben im Korb für alle erträglich werden? Wie kann ein friedliches Zusammenleben gelingen? Wohl kaum allein mit schönen Appellen. Auch nicht mit autoritären Drohgebärden oder mit verletzenden „Scheren“. Vielleicht mit verbindlichen Regeln, die eingehalten, durchgesetzt werden?
Da wird der Deckel vom Korb entfernt. Licht dringt in den Korb. Manche Krabben sind gestorben. Manche bleiben regungslos liegen, weil in ihnen die Sehnsucht nach dem Strand verschwunden ist. Andere, die freiheitsliebend sind, wollen ausbüxen und rauskrabbeln. Aber sie werden von ihren Mitkrabben immer wieder heruntergezogen. Sie sollen bleiben. Denn wenn nicht alle aus dem Korb herauskommen können, dann soll keiner herauskommen.
Der Weg zum Strand in die Freiheit ist noch lang. Das Gift des Neides lähmt. Gleichgültigkeit, Hochmut und Selbstsucht sowie Inkompetenz verhindern Fortschritte. Aber im Korb gibt es auch umsichtigen Mut und konstruktive Zuversicht, möglichst schnell aus dem Korb herauszukommen. Denn die starke Sehnsucht nach dem Meer neuen Lebens bewegt die schöpferischen Kräfte der Vernunft und der Empathie. Und ermöglicht durch begründetes Vertrauen und persönliche Verantwortung jenseits von Chaos und Gleichmacherei pragmatische und menschengerechte Lösungen.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Wolfenbütteler Schaufenster am 28.3.2021 in der Rubrik „Auf ein Wort“ sowie im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 6.4.2021 in der Rubrik „Moment mal“