Moment mal

„Luther“ tilgen?

Von Burkhard Budde

Auf den Spuren von Martin Luther in Wittenberg

Mehr Toleranz statt Säuberung

Luther von Schildern tilgen? 

Sollen Luther- Kirchen und Luther-Kindergarten in Bad Harzburg oder Goslar etwa umgetauft werden? Diese Frage stellt Jörg Kleine, Chefredakteur der Goslarschen Zeitung, in seinem NACHGEDACHT „Was Luther mit Wilhelm II verbindet“ vom 18.12.2021. Ausgangspunkt seines Kommentars ist eine neue Reformergruppe in Berlin, die „Luther am liebsten von allen Straßenschildern tilgen“ würde. „Begründung: Martin Luther sei ein Antisemit gewesen.“

Am 29.12. 2021 erschien dazu in der GZ der Leserbrief „Mehr Toleranz gegenüber Deutungsmöglichkeiten.“

Schwappt die Welle neuer Straßenbenennungen womöglich bis in den Harz?

Namen sind  für viele Menschen zunächst nur „Schall und Rauch“, keine unsichtbaren oder magischen Kräfte, die es politisch zu bändigen gilt. Straßennamen bieten vielen einfach eine Orientierungs- und Gedächtnisstütze: Hier wohne und lebe ich.

Straßen- oder Gebäudenamen können allerdings darüber hinaus zu kulturellen (Identitäts-) Ankern eines gemeinsamen Gedächtnisses werden. Namen historischer Personen gehören deshalb weder auf eine Müllhalde des Vergessens noch (nur) in den geschützten Raum eines Museums. Ihr Name ist auch kein Blankoscheck für jede Äußerung in ihrem Leben. Der Namenspatron kann vielmehr ein Türöffner sein, sich öffentlich mit seiner Person und ihrer Zeit kritisch, d.h. differenziert und sachlich, vor allem im historischen Kontext – und weniger mit heutigen Maßstäben – auseinanderzusetzen, um die Vergangenheit besser zu verstehen und daraus für die Gegenwart zu lernen.

Ein totalitärer Staat, der ein Deutungsmonopol beansprucht, versucht die Welt des freien Geistes zu reinigen, seine Untertanen im eigenständigen Denken und verantwortungsbewussten Erinnern zu bevormunden.

Ein liberaler  Staat mit mündigen Bürgern jedoch kann es sich leisten, nach historischen Wahrheiten zu suchen und Namenszeugnisse zu ertragen, selbst wenn eine Person kein „politischer Heiliger“ einer heutigen „Reformgruppe“ sein kann.

Weniger Political Correctness und mehr Toleranz gegenüber unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten ist besser als eine öffentliche Säuberungsaktion, getrieben von einer selektiven Wahrnehmung. 

Burkhard Budde

(ungekürzter Leserbrief)