Moment mal
Licht unter Tränen
Von Burkhard Budde

Das adventliche Licht kann die Vernunft erhellen und wärmen.
Moment mal
Licht unter Tränen
Vier Kerzen, unterschiedlich hoch und dick, verziert und farbenfroh, erfüllen einen Raum mit ihrem Licht. Die strahlenden Schönheiten, die aus Wachs geschaffen sind, verzehren sich durch ihre Flammen. Ein frischer Wind fragt: „Warum leuchtet ihr überhaupt?“
Die erste Kerze antwortet: „Ich leuchte, weil ich dankbar bin.“ Für die entscheidenden Dinge, die sie nicht in der Hand habe, sei sie dankbar. Dazu zählten ihre Geburt, der Ort, die Zeit, Umstände, Menschen. Rückblickend habe sie bei allen eigenen Leistungen viel Glück gehabt, überraschende Wegbegleiter und unerwartete Wegbereiter erlebt, auch helfende „Engel“ auf ihrem Lebensweg, sogar Glück im Unglück.
Die zweite Kerze, die etwas unruhig brennt, aber zu einer festlichen Stimmung im Raum beiträgt, meint: „Ich leuchte, weil ich fühlen kann.“ Sie verspüre manchmal viel Angst und Wut, Traurigkeit und Kälte um sich herum. Aber wenn sie für neues Vertrauen und neue Gemeinschaft brenne, dann erleuchte und erwärme sie andere. Ohne dieses Licht sei das Leben schutz- und hilflos, antriebs- und kraftlos. Aber mit „Fingerspitzengefühlen“ würden Bedürfnisse nach Geborgenheit geweckt, die Leichtigkeit des Lebens beflügelt sowie leuchtende Augen geschenkt.
Die dritte Kerze, die eine innere Ruhe ausstrahlt, sagt nachdenklich: „Ich leuchte, weil ich denken kann“. Das Leben sei mehr als nur der eigene Erfahrungs- und Erwartungsraum. Denn – könne nicht auch in Krisen neues Licht durch die Risse der eigenen „vier Wände“ dringen? Die Vernunft aus ihren selbstgerechten Ecken ins Licht der Wahrheit treten, vernünftig werden, sich immer wieder neu aufklären lassen, wenn sie neugierig bleibe und ihre Grenzen anerkenne sowie neue Freiräume des Denkens entdecke?
Die vierte Kerze flüstert etwas verlegen: „Ich leuchte, weil ich lebe. Und weil ich lebe, leuchte ich.“ Sie spricht noch vom Sinn des Lebens, den sie in der Liebe entdecke. Und von der Liebe, in der beglückender Sinn aufleuchte. Und als Zugluft alle Flammen auszublasen versucht, bekennt diese Kerze in ihrem Lebenskampf: „Keine Macht der Finsternis kann das kostbare Licht des Vertrauens an das ewige Licht löschen, weil es selbst in der Ohnmacht mächtiger ist, den dunklen Raum heller und wärmer macht.“
Wenn diese Kerze Recht hat: Kann dann ein erloschenes Licht erneut Feuer fangen – zum Beispiel durch Gott- und Christusvertrauen? Weil ein unsichtbares Urbild seinem sichtbaren Abbild eine unverlierbare Würde bedingungslos geschenkt hat? Und unter Tränen ein Licht neuen Lebens erstrahlen lässt?!
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe
in der Kolumne „Moment mal“ am 27.11.2021