Moment mal

Lebenszeit

Von Burkhard Budde

Moment mal

Kostbare Lebenszeit 

Alles hat seine Zeit, das wissen viele. Ist jetzt die Zeit gekommen, über die Lebenszeit nachzudenken, da die Welt aus den Fugen zu geraten scheint?

Eine Fliege, die sich hektisch plagt, will nicht gestört werden: „Ich habe jetzt keine Zeit.“ Und knallt immer wieder verzweifelt gegen die Fensterscheibe, weil sie das „Wichtigere“ sieht, aber die offene Tür übersieht, die zur Freiheit und Sicherheit führt.

Ein Zeitgefährte jedoch, der in seinen Fragen und Ängsten Halt und Orientierung sucht, ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, als er eine Sanduhr sieht. Und er denkt in Ruhe nach.

Der Sand im oberen Kolben der Uhr rieselt scheinbar unbemerkt, aber unaufhaltsam. Der Sand – die einmalige Lebenszeit – wird immer weniger. Sie ist deshalb besonders wertvoll. Keiner kann die Zeit anhalten oder festhalten, zurückdrehen oder zurückholen, auch nicht einfach vermehren, herbeizaubern oder vorhersagen. Keiner kann eine Garantie geben, dass alles „beim Alten“ bleibt. Die Lebenszeit – wie sie auch immer „gemessen“ wird – bleibt ein kostbares Geschenk.

Manche stehlen jedoch anderen die Zeit, verplempern die eigene Zeit oder lassen sich von ihrem Terminkalender versklaven. Andere stecken den Kopf in den Sand, um die Endlichkeit und Zerbrechlichkeit nicht wahrnehmen zu müssen. Und missachten, dass sie kein Dauerabo auf unbegrenztes Leben haben, auch wenn sie sich wie halbe Götter oder halbe Teufel aufführen. Andere streuen Sand in die Augen, um zu täuschen, zu tricksen oder zu mauscheln Und verkennen, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen, dass sie zu jeder Zeit enttarnt werden und sich selbst schädigen können. Wieder andere sind Sand im Getriebe, indem sie ihre Mitmenschen mit Nichtigkeiten und Eitelkeiten nerven. Und merken nicht, dass sie mit ihrer Sucht nach Anerkennung das Miteinander belasten und vergiften.

Doch das Symbol der Sanduhr lädt zu einer neuen Haltung ein: die eigene Lebenszeit anzunehmen – dankbar, nicht überheblich; selbstbewusst, nicht selbstherrlich; genussvoll, nicht hartherzig. Und seine Zeit verantwortungsvoll zu füllen – z.B. mit echter Freude, liebender Vernunft und sinnstiftender Tätigkeit.

Wenn das Diesseits (oberer Kolben!) im Jenseits (unterer Kolben!) endet, geht nichts verloren. Und wenn die Sanduhr „auf den Kopf“ gestellt wird, dann kann das Jenseits im Diesseits durch die „enge Öffnung“ des Glaubens an den ewigen Gott eine Bedeutung erhalten: Meine Zeit, so ein Psalmbeter, steht (stets und dennoch) in Gottes Händen – nicht nur ihr Anfang und ihr Ende, sondern auch die Mitte meiner kostbaren Lebenszeit.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe in der Kolumne „Moment mal“ am 8.10.2022

sowie im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kolumne „Auf ein Wort“ am 9.10.2022