Moment mal
Türöffner Krankheit
Von Burkhard Budde

Moment mal
Krankheit als Türöffner
Eine Krankheit, die sich kein Mensch wünscht, jeder möglichst schnell überwinden möchte, mit der manche lange leben oder scheinbar vergeblich kämpfen, ist ein Angriff auf den ganzen Menschen – auf seine Seele, die verletzt ist, auf seinen Geist, der betrübt ist, auf das soziale Miteinander, das verunsichert ist, auf seine Gewohnheit, die vertrieben ist. Das menschliche Selbstbewusstsein ist in Frage gestellt, wenn die Hilfe anderer notwendig und das Gefühl immer mächtiger wird, der neuen Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Es ist nicht witzig, kein Scherz, viel Stress, Frust und Schmerz, wenn brennende Fragen im ausgebrannten Herzen wie Stichflammen wirken: Ist denn wirklich alles – auch ich selbst – vergänglich, alles eitel – auch meine Selbstwahrnehmung-, alles umsonst – auch meine Verdienste -, alles sinnlos – auch mein Leben? Und warum gerade Ich?! Warum jetzt?!
Doch eine Krankheit kann auch ein Schlüssel sein, mit dem neue Räume des Dankens und Denkens geöffnet werden: Denn nichts ist selbstverständlich, auch nicht die Zuneigung und Liebe anderer. Und nichts Irdisches ist ewig, auch nicht Macht, Reichtum und Ruhm.
Im einmaligen Raum der begrenzten Lebenszeit können Menschen zugleich Anstrengendes und Befreiendes entdecken – trotz oder gerade wegen ihrer Krankheit, zum Beispiel ein gereiftes Leben mit Tiefgang, mit neuem Verstehen, Verständnis und Verständigung, mit überraschender Lebensfreude durch erneuerte Gemeinschaft.
Der Einzelne kann damit beginnen, sein Leben selbstkritisch zu betrachten, um es dann loszulassen, indem er es einer unsichtbaren, aber offenen Hand anvertraut. Und ihr zutraut, alles zu verwandeln. Einer Hand, die zwar nicht immer mit der Vernunft begreifbar ist, aber im Gott- und Christusvertrauen auf letzte Geborgenheit und letzten Sinn ergriffen werden kann.
Völlige Windstille der Gleichgültigkeit, aber auch orkanartige Stürme der Wut sowie ein wechselhaftes Wetter mit Zweifeln können die ewige und versöhnende Schöpferhand allen Lebens nicht vertreiben. Mit dem Schlüssel des Glaubens und der Liebe lernen kranke Menschen, ihre Situation anzunehmen. Und darauf zu vertrauen, geschwind und froh wieder auf die Beine zu kommen. Weil ein Strahl des ewigen Lichtes sie in ihrer Dunkelheit nicht verzweifeln lässt. Und selbst das Ende eines Kampfes ein neuer Anfang sein kann.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 18.6.2022 in der Kolumne „Moment mal“