Moment mal

Kirche als Geige

Von Burkhard Budde

Kirche als alte Geige

Moment mal

Alte Geige kann begeistern

Für manche Personen ist die alte Geige ein echter Hingucker. Sie schätzen sie, weil sie zu bestimmten Zeiten für eine würdige Stimmung sorgt. Den ästhetischen Genuss, den sie durch die Geige erfahren, vor allem den geistigen, seelischen und sozialen Gewinn, den sie bei Dankliedern, Klageliedern und Ritualliedern erleben, möchten sie nicht missen. Ihr Lebens- und Ereignishorizont wird erweitert und vertieft.

Andere Personen, die bislang keine oder selten Berührungspunkte mit der Geige – ein Bild für die Kirche – , den Geigern (Kirchenvertretern) und den Geigenliedern (Kirchenbotschaften) hatten, können mit dem Thema „Kirche“ nicht viel anfangen. Wieder andere Personen schließen die Ohren, wenn sie ständig Allerweltslieder hören. Oder sie sind wegen schiefer Töne empört, die moralische Überheblichkeit oder politische Besserwisserei anklingen lassen. Und nicht wenige Personen leiden an „ihrer Kirche“, wenn schillernde Geigenspieler in Misskredit geraten sind, selbstherrliche Täter die Würde ihrer Opfer mit Füßen treten.

Können Reformen helfen, die Institution Kirche Jesu Christi zu erneuern? Gibt es Schrittmacher auf dem Weg einer Rundumerneuerung?

Eine Geige ohne Notenbuch ist wie eine Geige, die im Geigenkasten schlummert. Die Kirche braucht die Botschaft der Bibel als Notenbuch, die den Takt vorgibt – die Bibel als geistliche Quelle, die zugleich ethischer Kompass und normative Instanz der christlichen und kirchlichen Existenz ist.

Eine Geige an der Wand ist ein Blickfang. Noch wichtiger ist es jedoch, dass der Geiger sie in die Hand nimmt, um die biblische Botschaft hörbar zu machen. Zuvor muss er lernen, mit der Geige umzugehen, sie spielbar zu machen und den richtigen Ton zu finden. Um von der Mitte der biblischen Botschaft – vom Glauben an Jesus Christus, der so zusagen den Geigenbau auf den Weg gebracht hat – Traditionen zu hinterfragen sowie Situation und Erneuerungsvorschläge zu würdigen.

Glaube entzündet sich vor allem durch gläubige Geigenspieler. Und durch einen Resonanzraum, indem Menschen vom Geist Gottes ergriffen werden können, um zu begreifen: Ich muss nicht im Chor eines Zeitgeistes mitsingen, die erste Geige auf der Bühne des Lebens spielen, brav in der ersten Reihe sitzen oder frustriert in einer Ecke herumstehen. Oder dem Geschehen den Rücken kehren.

Ich kann vielmehr Geige und Notenbuch in die Hand nehmen, betend hören und liebend mündig werden. Ich muss nicht perfekt spielen können, wohl aber werde ich in all meiner Menschlichkeit die froh- und neumachende Kraft des Geistes Gottes erfahren. Und deshalb im Geist Jesu Christi Verantwortung wahrnehmen – auch für die ständig zu erneuernde alte Geige.

Burkhard Budde

Der Aphorimus ist auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 19.6.2021 in der Kolumne „Moment mal“ veröffentlicht worden