Moment mal

(K)ein Schamgefühl?!

Von Burkhard Budde

Freiheit in Frieden und Selbstbestimmung für die Ukraine

Moment mal

(K)ein Schamgefühl?!

Scham, die es auf der ganzen Welt gibt, ist ein starkes Gefühl: Das Gesicht errötet, die Hände werden feucht und das Herz schlägt wild. Der Beschämte fühlt sich beobachtet und bloßgestellt. Und wenn er tatsächlich zum Beispiel bei der Missachtung einer sozialen Norm „ertappt“ worden ist, wird es peinlich. Am liebsten würde er dann im Boden versinken.

Scham – der verlegene Blick des Beschämten aus der Perspektive des Mitmenschen – kann belasten, aber auch kontrollieren und erneuern helfen. Zu Recht wird gefragt: „Hast du kein Schamgefühl?“ – wenn einer täuscht, die Wahrheit verdreht, das Vertrauen missbraucht, die Gemeinschaft zerstört. Oder immer gefühlsloser wird, ohne eine Miene zu verziehen.

Peinlich wird es allerdings auch, wenn ein Mensch einen anderen auffordert, sich zu schämen, um die „Scham“ öffentlich zur Schau zu stellen und von seinem eigenen Scheitern abzulenken. Oder wenn „Ich schäme mich für dich“ nur ein Lippenbekenntnis ist, um die eigene moralische Überlegenheit und Bedeutsamkeit zu inszenieren.

Zu einem ehrlichen Schämen – wenn es durch Scheitern oder Makel wie Schuppen von den Augen fällt – gehört der Erkenntnisgewinn, sich geirrt, etwas falsch eingeschätzt oder falsch gemacht zu haben. Um daraus richtige Konsequenzen zu ziehen, Kontrollverlust, negativen Stress und Ohnmachtsgefühle zu überwinden.

Totalitäre und abgebrühte Gewaltverbrecher kennen weder Mitgefühl noch Schuldgefühl noch Schamgefühl. Sie sprechen von Befreiung ihrer „Brüder“, die sie zugleich vernichten; von „Rettung“, meinen aber bedingungslosen Gehorsam. Sie täuschen ihre „Freunde“, indem sie ihre hemmungslose Gier nach immer mehr Macht und Beute unter dem Gewand des Guten verstecken.

Seit der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies – nach der Übertretung des Verbotes vom Baum der Erkenntnis zu essen – gibt es keine heile Welt mehr. Aber nach diesem Scheitern können Menschen zwischen Gut und Böse unterscheiden. Und es gibt eine neue Perspektive: Die Welt muss nicht heillos und grausam bleiben. Sie kann vielmehr heilbarer werden – durch mutige Menschen, die selbst nicht schamlos, sondern nachdenklich und ehrlich sind, wehr- und entwicklungsfähig sowie souverän – wegen ihrer Schamfähigkeit.

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 2. April 2022

in der Kolumne „Moment mal“