Moment mal
Karussell des Lebens
Von Burkhard Budde

Das besondere Karussell
Moment mal
Das besondere Karussell
Die Stimmung ist zugleich ausgelassen und angespannt. Neugierde und Lust verschmelzen fröhlich miteinander. Beim ständigen Drehen verlieren Bekanntes und Gewohntes ihre Eigenständigkeit. Mit größerer Beschleunigung scheint sich alles aufzulösen: Gedanken verschwimmen. Nachdenkliches verschwindet. Erinnerungen an Glück und Schönheit taumeln. Innere und äußere Bilder verzerren. Abwechslungsreiche Wahrnehmungen gehen ständig auf Entdeckungstour. Aber kurze Begegnungen lassen sich nicht einfach einfangen und festhalten.
Das Ich sitzt auf dem Karussell. Manchmal handelt es überlegt, manchmal leichtsinnig. In manchen Situationen wird die Leichtigkeit des Seins geweckt, in anderen bestimmt der Ernst das Gesetz des Handelns. Wenn der Schwindel jedoch zu mächtig und das Ich ohnmächtig wird, hält es sich krampfhaft fest. Ist das der Anfang vom Ende, die Höchstgeschwindigkeit mit Kontrollverlust? Oder ist das ein Schrecken ohne Ende, beginnt die Vollbremsung mit Sinnverlust?
Das Ich sitzt nicht allein auf dem Karussell: Ein Löwe, der mutig, lichtvoll und gerecht sein will. Ein Stier, liebenswürdig, kraftvoll und beharrlich. Ein Adler, stark, weitblickend und siegreich. Ein Engel, fromm, gottesfürchtig und hilfsbereit. Und immer wieder trifft das Ich auf unsichtbare Begleiter: Das Glück, das unbekannte und unverdiente Lebensmöglichkeiten eröffnet. Das Pech, flüchtige und unwiederholbare Gelegenheiten verpasst zu haben. Das Vertrauen, ohne das kein Leben gelingt. Die Angst, die das Vertrauen zerstören kann.
Doch zwei Begegnungen bewegen das Ich in besonderer Weise.
Ein unsichtbarer Gesell, den das Ich eigentlich vergessen, dem ich am liebsten nicht persönlich begegnen will – höchstens für einen augenzwinkernden Flirt, wenn er mit gruseligem Maskenspiel Heiterkeit zu generieren versucht. Aber wehe, wenn dieser Gesell zu sehr das Ich, das Du, das Wir daran erinnert, dass alle – unabhängig vom Alter oder Status – gleich behandelt werden, weil alle nur Gäste der Karussellfahrt sind. Aber wehe, wehe, wenn dieser ständige Mitfahrer plötzlich und brutal zuschlägt oder sich langsam zu Wort meldet. Und das Ich nicht vorbereitet ist, wenn es vom rotierenden Karussell geworfen wird.
Kann dann die Erinnerung an unsichtbare, aber liebende Hände helfen? An offene Hände, die Tränen trocknen, Schmerzen heilen, der Seele Halt geben und den Geist von Angst und Bitternis befreien? Die vor allem das Ich tragen und auffangen, wenn es aus der Bahn geworfen wird. Und die – wenn sie im Glauben ergriffen werden, ohne sie zu begreifen – die Kraft und den Mut zum Neuanfang schenken, damit Neues wachsen und reifen kann. Weil dieses Karussell des Gott- und Christusvertrauens sich ohne Anfang und Ende dreht – in Ewigkeit.
Burkhard Budde
Veröffentlicht auch im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe
in der Kolumne „Moment mal“ am 6.11.2021