Kommentar

Intoleranter Zeitgeist

Von Burkhard Budde

Themen der Transgender-Bewegung, die offen­sicht­lich das körperliche Geschlecht juristisch ab­schaffen will, werden zwar jenseits der breiten Öffent­lich­keit verhandelt, sind aber keine zu vernach­lässi­gende Nischen- oder Elite-Themen poli­tischer Minder­heiten, da sie grund­sätz­liche und nach­haltige Auswir­kungen auf die ganze gesell­schaft­liche Ent­wick­lung haben, wenn sie erfolg­reich sein sollten.

Wenn „grüne“ und „liberale“ Kräfte Entwürfe für ein „Selbst­bestim­mungs­gesetz“ vorlegen, nach denen mit voll­endetem vier­zehnten Lebens­jahr jeder jähr­lich ent­scheiden können soll, ob er rechtlich als Mann oder Frau betrach­tet wird, reichen persön­liches Kopf­schütteln, ängstliches Weg­ducken, vornehmes Schweigen oder eine stille Depression, da man ja doch nichts ändern kann, ohne als Ewig­gestriger abge­stempelt zu werden, nicht aus.

Bei aller Offenheit für die Sehnsucht nach einem Wunsch­geschlecht darf eine Gender-Ideologie mit Absolutheits- und Wahrheits­ansprüchen nicht auf dem Rücken von Kindern und Eltern ausge­tragen werden. Eine Welt­anschauung, die zudem die Deutungs­hoheit von „Frau“, „Mann“ usw. für sich in Anspruch nimmt sowie sich zur wirklich­keits­fremden „Norm“ der gesell­schaft­lichen Ent­wick­lung erhebt, bevor­mundet und ent­mündigt den Einzelnen, der nicht mehr selbst­bestimmt, souverän und mündig ent­scheiden kann.

Wer diesen intoleranten Zeit­geist einmal persön­lich erlebt hat, weiß: Das Ver­trauen in die Werte unseres Grund­gesetzes ist gut, aber noch besser ist der enga­gierte Schutz dieser Werte durch Politiker, die den ethischen und poli­tischen Kompass des Grund­gesetzes wahr- und ernst­nehmen sowie mutig und argu­mentativ offen und öffent­lich vertei­digen.

Wer kontrolliert eigentlich die „Trans­gender“ zum Beispiel an den Universi­täten, die die Köpfe und Herzen, das Denken und Schreiben, das Sprechen und Verhalten bestimmen, kontrol­lieren und zensieren wollen? Gibt es Meinungs­freiheit für Studenten, die anderer Meinung sind oder sich eine unab­hängige Meinung bilden wollen? Sind Studie­rende nur Werkz­euge einer „Herr Profes­sorin“?

Vor der Bundestagswahl sollte das Thema „Gender“ nicht versteckt, sondern diskutiert werden.

Wer das Thema als nicht so wichtig ansieht oder es über­sieht, weil es Wich­tigeres – in der Tat! – gibt, sollte jedoch anschließend nicht erstaunt sein, wenn ein systematisch aufge­bautes politisches Erziehungs­programm mit juristischen Weihen auf den Weg gebracht wird: Dass im Namen von Freiheit und Vielfalt die Freiheit und Vielfalt ein­schränkt, die Gleich­berechti­gung und Gleich­stellung von Frauen und Männern, das Kindes­wohl sowie das vorrangige Recht und die Pflicht der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder geschwächt werden.

In der Hoffnung, dass Freunde der Vernunft und Wahr­heit, eines christ­lichen und humanen Menschen­bildes, zu dem nicht nur Geist und Seele gehören, sondern auch Körper und Sozialität, rechtzeitig gegen militante Gender­aggression und für Selbst­bestim­mung in Würde aufstehen.

Burkhard Budde

Leserbrief in der F.A.Z. am 3. Februar 2021 zum Artikel „Die Überwindung des Fleisches“ von Thomas Thiel (F.A.Z. vom 29.1.2021); gekürzte Fassung.