Moment mal
Haltung zeigen
Von Burkhard Budde

Die fromme Helene auf der Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1982 zum 150. Geburtstag von Wilhelm Busch
Moment mal
Rückgrat und Haltung zeigen
Brauchen wir mehr „gute Menschen“? Aber was ist überhaupt ein „guter Mensch“? Wilhelm Busch, Autor der Bildergeschichte „Die fromme Helene“ (1872), schreibt: „Ein guter Mensch gibt gerne acht, ob auch der andre was Böses macht. Und strebt durch häufige Belehrung nach seiner Beß’rung und Bekehrung“. Und „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.“
Wer Buschs Worte gleichsam auf der Zunge zergehen lässt, verspürt den Spott, der mit einer Prise Humor garniert ist: Die „fromme Helene“ ist in Wahrheit ein Zerrbild im Zwielicht versteckter Kritik. Ungenießbare Moral und Verlogenheit des 19. Jahrhunderts werden durch scheinbaren Genuss serviert.
Auch eine moderne Gesellschaft braucht keine moralischen Klöße, die unverdaulich im Hals steckenbleiben, die die Freude am Leben nehmen und das Vertrauen zum Leben zerstören. Tugendbolde taugen nichts, wenn sie „gute Zutaten“ von anderen fordern, selbst aber ihr eigenes Süppchen kochen.
Wichtiger erscheinen Persönlichkeiten, die besonders in Krisenzeiten Haltung – kein Heldentum, keine Selbstherrlichkeit, keine Wichtigtuerei – zeigen und „taugliche Tugenden“, die in der Schatzkammer der Vergangenheit zu finden sind, glaubwürdig und aktualisiert vorleben; zum Beispiel:
Klugheit („prudentia“), mehr wissen und verstehen wollen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Und nicht nur nach Bauchgefühl und Vorurteilen entscheiden.
Gerechtigkeit („iustitia“), sich einsetzen für gleiche Chancen aller, für Solidarität mit Schwächeren, für das Gemeinwohl sowie für die Nachwelt. Und sich nicht von Neid oder von Gier beherrschen lassen.
Tapferkeit („fortitudo“), mit Rückgrat argumentativ widersprechen, spätestens wenn die Würde verletzt wird. Und sich nicht hochmütig oder gleichgültig, übermütig oder gedankenlos, buckelnd oder ängstlich verhalten.
Mäßigung („temperantia“), Maß und Mitte, angemessene Verhältnismäßigkeit und tragfähige Kompromisse suchen. Und nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen oder aus einer Mücke einen Elefanten machen.
Frömmigkeit („pietas“), sich in Demut seiner Geschaffenheit, aber auch seiner Ebenbildlichkeit mit dem Schöpfer vergegenwärtigen, damit Gott als letzte Verantwortungsinstanz aller sowie Quelle letzter Geborgenheit entdeckt werden kann.
Damit Liebe („caritas“, „agape“) eine Chance erhält, aus „gutschlechten“ Menschen menschliche Personen werden, die immer und überall mit Form und Format gebraucht werden.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe
in der Kolumne „Moment mal“ am 30.10.2021