Moment mal

Haifische im Aquarium

Von Burkhard Budde

Auf ein Wort

Haifische im Aquarium 

Nicht nur in einem Märchen, sondern auch im realen Leben soll es Haifische in Aquarien geben: Große Alphatiere, die sich in kleinen Teichen bewegen. Im überschaubaren Umfeld erleben sie mehr Sicherheit und häufiger Erfolge, Anerkennung und Selbstbefriedigung. Diese Haifische, die auf dem ersten Blick wie Goldfische aussehen können, spielen nicht selten zum Beispiel in ihrer Familie oder am Arbeitsplatz den mächtigen Macher, der es ja nur gut mit anderen (und mit sich selbst) meint. Oder sie zeigen in einer Organisation oder einem Verein den kleineren Fischen ihre Zähne, schüchtern sie ein oder beißen sie weg, um die Beute – den Ruhm, den Aufstieg – möglichst allein für sich zu behalten.

Manche Haifische in kleinen Teichen lernen sehr schnell von ihren Vorbildern in großen Teichen: Wie man das Maul aufreißen kann, auch wenn ihre Zähne sehr locker sitzen oder ihr Gebiss bereits große Lücken aufweist. Der Schein des Mächtigen erscheint dann wichtiger als das Sein des in Wahrheit Ohnmächtigen. Hauptsache, die anderen Fischlein um sie herum verhalten sich stromlinienförmig und lassen sich von der Inszenierung ihres Machtgehabes beeindrucken, erziehen oder zum Schweigen bringen! Hauptsache, sie werden als geachtete und zugleich gefürchtete Haifische hofiert und nicht durchschaut, erhalten Applaus und keine Kritik, sondern den größten Anteil des Futters! Hauptsache, sie sind selbst bei Einschränkungen nicht betroffen!

Goldfische, besonders wenn sie vertrauensselig sind, keinen Durchblick haben (wollen) und sich keine eigene Meinung bilden (können), erscheinen hilf- und machtlos gegenüber den Haifischen in großen wie in kleinen Teichen. Mit goldenen Worten und Engelszungen können Goldfische wenig oder gar nichts ausrichten. Auch nicht, indem sie den Kopf tief in den Sand stecken, sich täuschen oder gerne ködern lassen. Dann würde am Ende alles nur noch Schlimmer! Und alles bliebe beim Alten, wenn Goldfische einfach flüchteten und sich in einem verborgenen Loch verstecken würden. Fatal wäre es zudem, entnervt einfach in das Maul des Haifisches hin zu schwimmen, auf seine Güte zu vertrauen, sich selbst jedoch, seine Würde, Freiheit und Selbstbestimmung aufzugeben, zu kapitulieren – und gefressen zu werden.

Große und kleine Haifische, die das Leben anderer Fische zerstören, müssen gebändigt werden.

Aber wie? Vielleicht, indem sich immer mehr Fische, die den Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit anstreben, klug und mutig zusammentun. Und sich wehren, indem sie gemeinsam scharfe Zähne zeigen und sie auch verantwortungsvoll und wirksam einsetzen, wenn es um die Verteidigung und Wahrung der Würde sowie der Menschenrechte geht.

Aber vielleicht gibt es ja auch Haifische, die den Goldfisch der Selbstkritik und des gleichberechtigten Miteinanders in sich selbst entdecken. Weil sie sich der Vergänglichkeit, Vorläufigkeit, der Eitelkeit und Unvollkommenheit aller (All-)Macht bewusst geworden sind.

Oder Goldfische, die ihre inneren Haifischqualitäten wie Gier, Hass und Neid zivilisieren können. Weil sie zur Einsicht gekommen sind, dass sie das Wasser, das sie vergiften, selbst trinken müssen. Weil sie die Achtung der unterschiedlichen Fische in der Einheit der liebenden Vernunft gelernt haben. Und dass das Leben in einem Aquarium oder im Meer nicht ewig ist, sondern dass alle auf das Wasser des Lebens – auf Gott als letzter Verantwortungsinstanz – angewiesen sind.

Oder müssen solche Haifische und Goldfische erst geboren werden?!

Burkhard Budde

Veröffentlicht auch im Wolfenbütteler Schaufenster in der Region Wolfenbüttel in der Kolumne „Auf ein Wort“ am 30.4.2023