Auf ein Wort
Suche gute Richterin
Von Burkhard Budde

Auf ein Wort
Suche gute Richterin
Viele Bürger versuchen, ihre Konflikte möglichst zeitnah sowie unter vier Augen oder im kleinen Kreis zu bewältigen. Bevor zum Beispiel bei Erb- oder Berufsstreitereien seelische Verletzungen passieren, setzen sie sich an einen Tisch, um sich friedlich und sachlich – ohne Hilfe von außen – zu einigen. „Wir sind ja erwachsen und schon groß“, erläuterte eine Konfliktpartei, „um im gegenseitigen Respekt und auf Augenhöhe Probleme zu benennen, zu besprechen und aus der Welt zu schaffen.“
Leider gelingt diese Lösung nicht immer.
Was tun, wenn Konflikte dramatisch eskalieren und alle Versuche mit Argumenten und Engelszungen gescheitert sind, eine Partei zum Beispiel eine andere über den Tisch ziehen will oder überhaupt nicht zum offenen und ehrlichen Gespräch bereit ist?
Kann die Justiz helfen? Und welche Erwartungen an die Justiz gibt es?
Fragen wir einmal „Justitia“, die Göttin der Gerechtigkeit, im Blick auf diese „Ultima-ratio“-Fälle, wenn alle Bemühungen um Klärung oder Ausgleich vergeblich waren oder sinnlos erscheinen?
Stolz und selbstbewusst erklärt Justitia ihr Selbstverständnis und ihre Aufgaben. „Ich bin unabhängig und neutral sowie unparteilich. Ich sorge für Fairness, indem ich beide Seiten zu Wort kommen lasse und – wenn es nötig ist – verschiedene Sachverständige oder Zeugen befrage, bevor ich mir ein unabhängiges Urteil erlaube“. Und dann weist sie auf ihre Augenbinde hin. „Die trage ich, um ohne Ansehen der Person urteilen zu können sowie stets die Gleichheit aller vor dem Gesetz zu beachten“. Die Verhandlung selbst sei ergebnisoffen. Wenn sie die Augenbinde absetze, wolle sie die Ungleichheit der Menschen und ihrer Situationen genau – ohne Scheuklappen und Schubfachdenken – erkennen und würdigen.
Doch welche Bedeutung hat die Balkenwaage in der linken Hand? „Bevor ich ein Urteil fälle“, erläutert Justitia, „muss ich abwägen, die Vorgeschichte, Bedingungen und Entwicklungen eines Streitfalls berücksichtigen, der häufig komplex, vielschichtig, mehrdeutig, dynamisch und kompliziert ist.“
Und warum steht Justitia mit einem Fuß auf einer Schlange? „Ich will verhindern, dass das Gift des Hasses und des Neides, der Gier und der Selbstsucht, der Doppelmoral und der Heuchelei das Gesetz des Denkens bestimmen“. Ganz allein die Werte und Normen sowie die Regeln und die Maßstäbe des Gesetzbuches – und darauf liegt die Schlange, die der Fuß der Justitia in Schach hält – bildeten das Fundament ihres Urteils, auch nicht ihre persönliche Meinung oder persönlichen Gefühle.
Und warum hält Justitia ein Schert in der rechten Hand? Ihre überraschende Antwort: „Im Rahmen der Gewaltenteilung einer Demokratie bin ich kein zahnloser Löwe. Mein Urteil bindet zum Beispiel die Gewalten, kann aber auch neue Freiheiten eröffnen“. Und mit dem Schwert der Urteilskraft könne sie selbst Unrecht und Recht leichter scheiden und unterscheiden sowie die Sach- und Gesetzeslage prüfen.
Allerdings brauche sie das Vertrauen aller. Und müsse sich deshalb vor einer Beauftragung zur Richterin und während der Zeit als Richterin in existentiellen Fragen und überhaupt mäßigen und in der Öffentlichkeit zurückhalten. Denn sonst verlöre sie als anerkannte und gute Richterin ihre Autorität.
Burkhard Budde
In Search of a Good Judge
Many citizens try to resolve their conflicts promptly and in private or small circles. Before emotional wounds occur in disputes over inheritance or the workplace, for example, they sit down together at a table to find a peaceful and reasonable solution – without outside help.
“We’re grown-ups,” explained one party in a dispute, “and mature enough to identify, discuss, and resolve problems respectfully and on equal footing.”
Unfortunately, such resolutions don’t always succeed.
So, what should be done when conflicts escalate dramatically, and all attempts at persuasion or reason have failed – when one party tries to take advantage of the other or is unwilling to engage in an open and honest conversation?
Can the justice system help? And what expectations do people have of it?
Let us ask “Justitia,” the goddess of justice, in reference to these “last resort” situations, when all efforts at clarification or reconciliation have failed or seem pointless.
Proud and confident, Justitia explains her self-image and her duties. “I am independent, neutral, and impartial. I ensure fairness by letting both sides speak and – if necessary – consult various experts or witnesses before forming an independent judgment.”
Then she points to the blindfold over her eyes. “I wear it so I can judge without bias and uphold the principle of equality before the law.”
The proceedings themselves are open-ended. When she removes the blindfold, she wants to recognize and acknowledge the inequality of people and their situations – with open eyes, free from prejudice or simplistic thinking.
But what is the meaning of the scales in her left hand?
“Before delivering a verdict,” Justitia explains, “I must weigh things carefully – take into account the history, circumstances, and development of a dispute, which is often complex, multi-layered, ambiguous, dynamic, and difficult.”
And why does she stand with one foot on a serpent?
“I want to prevent the poison of hatred and envy, greed and selfishness, double standards and hypocrisy from dominating human thought.”
Only the values and norms, the rules and standards of the law – and these are what the serpent lies upon, restrained under Justitia’s foot – form the foundation of her judgment. Not her personal opinions or emotions.
And why does Justitia hold a sword in her right hand?
Her surprising response: “As part of the separation of powers in a democracy, I am not a toothless lion. My judgment binds the other branches of power and can also open up new freedoms.”
With the sword of discernment, she can more clearly distinguish between right and wrong and examine the facts and the law.
However, she needs everyone’s trust. And that is why, before being appointed as a judge – and during her time in office – she must be moderate and reserved, especially in public and on fundamental issues.
Otherwise, she would lose her authority as a respected and good judge.
– Burkhard Budde