Moment mal

Genderstern

Von Burkhard Budde

Ein Stern triff auf verschiedene Türen, auch eine Drehtür.

Sternchen auf Reisen

Ein kleines Sternchen geht selbstbewusst auf große Reise.

Es findet offene Türen. Zum Beispiel bei Unternehmen, Organisationen, Institutionen und Parteien, die offensichtlich ihr Geschäftsmodell gefährdet sehen, wenn sie nicht das Sternchen in ihren Texten aufnehmen. Sie wollen ganz vorne im Zug der Zeit sitzen, um ihr modernes Image – „aufgeklärt, offen, lieb und nett“ – zu behalten oder zu polieren. Also heißt die Sprachregelung jetzt Kolleg*in, Mitarbeiter*in oder Direktor*in.

Aber das Sternchen trifft auch auf verschlossene Türen. Zum Beispiel bei aufgeklärten Menschen, die nicht hinter jedem Zug des Zeitgeistes herlaufen, aber sich auch nicht aufs Abstellgleis stellen lassen. Sie wissen, dass die Mode von heute der alte Zopf von morgen sein kann. Vor allem kennen sie erfolgreichere Wege, die realen Wirklichkeiten diskriminierungsfreier und gleichberechtigter zu gestalten als mit Sternchen, die glühen und aufglühen, aber auch wieder verglühen können. Sie gehen weiterhin zum Arzt oder zur Ärztin, nicht zur Ärzt*in oder zum Bäcker und nicht zur Bäcker*in.

Es gibt zudem Türen, die für das Sternchen nur einen Spalt geöffnet sind. Zum Beispiel bei kritischen Personen, die sich fragen, ob sie in den Zug der Zeit einsteigen bzw. aus dem Zug wieder aussteigen sollen, die irritiert und verunsichert sind. Einerseits sind sie für eine sensible und sensibilisierende Sprache, die menschengerecht ist und Würde verleiht. Andererseits soll diese Sprache auch verständlich, lesbar und vorlesbar bleiben, und nicht einem Genderdiktat unwürdig unterworfen werden. Der Atem dieser freien Bürger stockt, wenn eine Moderatorin einer Nachrichtensendung im Fernsehen das Sternchen mit kurzer Sprechpause „ausspricht“. Und sie fragen sich, ob das der Beginn eines schleichenden Erziehungsprogrammes eines sprachlichen Totalitarismus ist: Sollen am Ende das Grundgesetz, alle Gesetze, die gesamte Amtssprache, alte Klassiker umgeschrieben, bestimmte Kulturgüter zerlegt oder gar verbannt werden? Wird das Sternchen selbst, wenn es immer selbstverliebter und selbstgerechter geworden ist, zum Einfallstor einer Kultur der sprachlichen Einfalt statt Vielfalt, der autoritären Bevormundung statt der individuellen Freiheit in Würde und Verantwortung?

Manchmal erlebt das Sternchen auch Drehtüren. Es wird zunächst ins Haus der Alltagssprache aufgenommen, dann aber als Störenfried wieder verabschiedet. Zum Beispiel wenn die Sonne behauptet, ein geeigneteres Zeichen als das Sternchen zu sein, da sie nicht nur mehr Aufmerksamkeit erzeugt, sondern auch überzeugender für das diskriminierungsfreie Lebensrecht aller ist. Oder der Mond, der sich als Symbol ständiger Begleitung aller Menschen versteht. Oder die empathische Vernunft einem Menschen sagt, dass in einem Klima der Angst, etwas „Falsches“ zu sagen, und in einem Klima der Intoleranz, weil etwas anderes gesagt wird als verordnet, kein friedliches Miteinander und solidarisches Füreinander wachsen kann. Dass es überhaupt Wichtigeres gibt als Sonne, Mond und Sternchen, nämlich eine integrierende und identitätsstiftende Sprache, die sich wandeln kann, aber Menschen nicht unterwerfen, sondern dienen will, um in den gemeinsamen und vielfältigen Lebensraum mündiger Freiheit treten zu können.

Burkhard Budde