Moment mal
Gelebte Sprache
Von Burkhard Budde

Sprache in vielfältiger Einheit
Sprache gehört den Sprechenden
Sprache kann sprachlos machen, wenn sie die Würde eines Menschen verletzt. Zum Beispiel durch Verniedlichung: „Omi, öffne deine Äugelein.“ Durch einen Griff ins Klo: „Er ist ein Arschloch!“ Oder durch eine persönliche Beleidigung: „Du redest Quatsch.“ Solche Worte sind respektlos und würdelos.
Sprache kann jedoch auch einem Menschen Würde verleihen. Sie ist dann Türöffner, um den Raum zum Mitmenschen zu öffnen. Brücke, auf der sich Menschen begegnen und austauschen. Spiegel des eigenen Denkens und zugleich der Zeit. Kitt gelebter vielfältiger Kultur und gemeinsamer Identität. Königsweg zur Bildung einer Persönlichkeit und zur Integration unterschiedlicher Menschen.
Wird Sprache zu einem politischen Instrument, wenn erwachsene Bürger erzogen werden sollen?
Eine Person beispielsweise spricht von „Mutter“ und wird prompt korrigiert: „Du meinst wohl das Elternteil, das dich geboren hat.“ Oder eine Präsidentin einer Universität, die sich für geschlechtsneutrale Formulierungen einsetzt, will als „Herr Professorin“ angeredet werden.
Natürlich wandelt sich die Sprache mit der Zeit. Und mehr mitfühlendes Fingerspitzengefühl, soziale Sensibilität, sprachliche Bildung und der Einsatz für Gleichberechtigung sind für das Miteinander immer wichtig und notwendig. Aber darf man deshalb der natürlichen Entwicklung einer Sprache sowie ihrem Lesefluss und ihrer Ästhetik von oben herab Gewalt antun? Und versuchen, sprachliche Benimmregeln für alle anzuordnen, zum Beispiel mit dem sogenannten Binnen-I („die Verbraucher/Innen“) oder dem Sternchen inmitten eines Wortes („Trans*Autoren“)?
Wer die neuen Sprachweisen, die häufig dem Kästchendenken huldigen und ein Deutungsmonopol beanspruchen, kritisiert, wird schnell gerüffelt, persönlich geringeschätzt und sozial ausgegrenzt. Die Sprache wird dann zu einem Einfallstor von Intoleranz im Namen der Toleranz, von Einfalt im Namen der Vielfalt, von Spaltung im Namen von Integration.
Der Schriftsteller und Freidenker Reiner Kunze hat auf die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache hingewiesen: Es gibt ein grammatisches Geschlecht des Wortes (Genus) und ein natürliches Geschlecht von Lebewesen (Sexus). Es gibt maskuline Wörter wie der „Gast“, die nicht nur männliche Personen und feminine Wörter wie die „Majestät“, die nicht nur weibliche Personen bezeichnen – sowie geschlechtsübergreifende Neutra wie das „Kind“, die männliche und weibliche Personen bezeichnen. Dient diese Vielfalt nicht der Freiheit des Denkens, Schreibens und Redens?
Sprachliche Trophäen des Zeitgeistes sollen Zeichen des Besonderen und der Erhabenheit sein sowie Hoheitszeichen für alle. Doch einer selbsternannten Sprachelite gehört nicht die Sprache, sondern allen Sprechenden, die nicht bevormundet werden möchten – und Haltung zeigen, um die Wirklichkeit gerechter und menschlicher zu gestalten.
Burkhard Budde
Veröffentlicht im Westfalen-Blatt in Ostwestfalen und Lippe am 10.4.2021
in der Rubrik „Moment mal“