Gefährliche Bahnfahrt

Feueralarm im Zug

Von Burkhard Budde

Gefährliche Bahnfahrt

Feueralarm im Zug 

Nur ein gefährlicher Einzelfall? Oder einfach nur Pech gehabt, im falschen Zug zur falschen Zeit gesessen? Eine Entscheidung jedenfalls, das beliebte Auto in der Garage zu lassen und lieber stressfrei mit dem Zug zu fahren, kann stark ins Wanken geraten.

Zunächst jedoch ist die Freude am Kopfbahnhof in Westerland groß, als der Intercity (IC) Nummer 2375 am 7. November 2025 über- und superpünktlich einfährt. Der IC soll, so der Fahrplan, seine Fahrgäste vom Tor zur Insel und jetzt von der Insel weg über den Hindenburgdamm, den es seit 1927 gibt, über Hamburg und Hannover bis nach Stuttgart transportieren – „sicher und zuverlässig“ wie allen Fahrgästen immer wieder neu von der Bahn versprochen wird. Doch bald werden alle erleben: Der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist tief.

Eine Frau mit einem sechs Wochen alten Kind, die im letzten Wagon des Zuges sitzt, scheint die Rauchentwicklung zuerst zu bemerken Schützend hält sie ihre Hände vor ihr Kind und sucht ein Fenster, das sich öffnen lässt. Dann die Durchsage, nachdem der Zug vor Itzehohe  bei Hemmingstedt (Kreis Dithmarschen in Schleswig Holstein) – natürlich „außerplanmäßig“ wie es im Bahn-Deutsch heißt – stoppt: Feueralarm! Eine von zwei Loks brennt und qualmt. Die Feuerwehr ist auf dem Weg. Und eine Hilfslok wird wohl erst in „166 Minuten“ eintreffen, um beide Loks auf das Nachbargleis umzusetzen. Auch ein Krisenmanager der Bahn sowie die Polizei sind gerufen worden. Und dann sollen zwei neue Loks vor den Zug gesetzt werden, damit die Fahrt fortgesetzt werden kann.

Bis dahin ist noch Zeit, viel Zeit; später, in der Rückschau wird klar, wie lange die Geduldsprobe dauern wird, nämlich fast drei Stunden – vergeudete Lebenszeit?

Die Schaffnerin, eine Powerperson, läuft durch den Gang, um nach dem Rechten zu sehen. „Wieviel Fahrgäste betroffen sind?“ Sie verrät die Zahl nicht. Erst zwei junge Polizisten, die wenig später vorbeikommen, geben sofort Auskunft: „250 Personen“.

Zum Glück sind unter ihnen etwa 30 junge Bundeswehrsoldaten aus ganz Deutschland, die an diesem Freitag nach Dienstschluss nach Hause fahren – einer will nach Friedrichshafen an den Bodensee, aber er werde wohl erst nach Mitternacht ankommen. Viele von ihnen besuchen die Unteroffiziersschule der Luftwaffe am Standort Heide. Gerne helfen sie der Zugschaffnerin, die Fensterluken mit einem speziellen Schlüssel zu öffnen, damit der Qualm abziehen kann und die zentral geöffneten Wagontüren zu „bewachen“, damit kein Passagier die gefährliche Flucht aufs freie Feld sucht. Die hilfsbereite Haltung der sympathischen und freundlichen Staatsbürger in Uniform ist vorbildlich: Sie bringen den Fahrgästen auch „Notfallwasser“ aus dem Wagen 10 und ein „Fahrgastsrechte-Formular“, mit dem man Entschädigungsbeiträge für Verspätung und Unannehmlichkeiten beantragen kann. Und sind sogar offen für ein kurzes Gespräch über ihren Dienst, das vom Stress durch den unfreiwilligen Stopp ablenkt und vor allem zum Vertrauen in die Parlamentsarmee beiträgt. „Was sie vom Gehorsamsprinzip in der Bundeswehr halten?“ Ein Unteroffiziersanwärter klärt gerne den neugierigen  Fragesteller auf: „Der Soldat gehorcht, aber der Gehorsam findet seine Grenzen, wenn ein Befehl rechtswidrig, nicht dienstlich oder gegen das Grundgesetz, gegen Recht und Gesetz ist.“ Und was ist im Dienst noch wichtig? Ein anderer Anwärter antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Ein kameradschaftliches Verhalten.“

Immer mehr wird aus einer ungewünschten Wartezeit eine bereichernde Chance zu Gesprächen. Ein älterer Herr, der zunächst das Magazin Focus liest und mit einem Kugelschreiber die für ihn wichtigsten Infos und Botschaften der Artikel unterstreicht, wird zum Gesprächspartner. Er verfügt über ein enormes Erfahrungs- und Detailwissen, auch über einen Wissensschatz im Blick auf die Bahn aus alter Zeit, den er gerne teilt. Der Gedanken- und Erfahrungsaustausch führt am Ende sogar dazu, E-Mail Adressen weiterzugeben, um im Kontakt zu bleiben. 

Und die persönliche Quintessenz des Geschehens? Fast mag man ohne Ironie und Zynismus formulieren: Was wie ein zeitlicher Verlust aussah, kann sich als sozialer Gewinn darstellen, wenn eine Krise als Herausforderung angenommen wird. Allerdings, weil es keine Personenschäden durch das Feuer gab und verantwortungsvolle Mitreisende nicht ihre Nerven verloren hatten, sondern einen kühlen Kopf behielten, offene Ohren hatten und helfende Hände reichten. 

Die Fahrt konnte fortgesetzt werden – leider mit weiteren Schwierigkeiten bei Zuganschlüssen. Aber sei es drum. Man erwartet ja selbst von der Bahn keine Zauberei, wohl aber dass sie aus solchen Erfahrungen lernt, um auf absehbare Zeit zuverlässiger und sicherer zu werden. Damit aus einem Einzelfall kein Regelfall wird. Und man nicht bei Urlaubsfahrten im Regelfall lieber das Auto aus der Garage holt. 

Burkhard Budde